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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Sudermanns neueste Dramen

angelegte Frau empfindet er die kleinen Demütigungen, die ihm in seiner be¬
scheidnen Stellung von Landratsdttnkel, Schulrcitsdünkel und kleinstädtischen
Kastenstolz gelegentlich auferlegt werden.

Auf diese Sachlage baut Herr von Röcknitz, der frühere Gastfreund
Elisabeths, der es nicht verschmerzt hat, daß diese Frau nicht seine Beute ge¬
worden ist, den Plan, sich ihrer doch noch zu bemächtigen. Er ist seiner eignen
Frau, die angeblich "immer schläft" und nun zum Glück einen Jungen hat,
gründlich müde, und die Weiber, mit denen er sonst sein Spiel treibt, be¬
friedigen ihn auch nicht mehr. Also bricht er bei Gelegenheit eines Pferde-
marktes im Städtchen, bei dem er außerdem ein paar Pferdejuden gründlich
"bemogelt," mit selbstherrlicher Liebenswürdigkeit in das Hans des Rektors
und ehemaligen Zöglings ein und nötigt die Wiedemanns, ihm und seiner
Gemahlin Gastfreundschaft zu gewähren. Er eröffnet dem Rektor, daß er sich
in den Reichstag wühlen lassen wolle, und da ihm nach seiner Versicherung
alles gelingt, wird wohl das nicht besonders schwer halten. Er versichert,
daß er einen Vertrauensmann und Stellvertreter brauche, dringt in den Schul-
mann, seine Stelle zu verlassen, als sein Verwalter, Pächter, alles, was Wiede-
mann will, auf seinen, des Freiherrn, Gütern ein neues Leben zu beginnen.
Um seines Weibes willen und ohne Ahnung, daß der Antrag des Barons
Röcknitz in ganz anderm Sinne, um der Frau willen, erfolgt, tritt der Rektor
der für ihn doch ein wenig fremdartigen Aussicht näher. Röcknitz aber drängt
zur raschen Entscheidung. Er' hat bis hierher die früher vor ihm Geflohene
in ihrem Winkel geschont, jetzt trägt er es nicht länger, sie soll sein werden,
soll wenigstens wieder neben ihm leben, das weitere wird sich von selbst finden.
Stürmisch flehend, gewaltsam fordernd überfällt er die Abwehrende mit seinen
Vorschlügen, seiner unverhohlen bekannten Leidenschaft. Frau Elisabeth windet
sich zitternd unter der Hand, die so in ihr Leben eingreifen will, sie giebt
umsonst immer deutlicher kund, daß sie dem Andringen des Freiherr" niemals
nachgeben werde. Und wie Röcknitz in seinem Herrengefühl und mit der Wit¬
terung eines erfahrnen Jägers für den Wind, leidenschaftlicher und zugleich
demütiger in sie dringt, kommt es zu Tage, daß Frau Elisabeth seinerzeit
vor ihm geflohen ist, um ihm nicht zu erliegen, um uicht Verrat an ihrer
Freundin Bettina zu üben, daß sie ihn geliebt hat, ihn noch liebt. Einen
selbstvergessener Augenblick hängt sie am Halse des Mannes, der ihr heim¬
liches Ideal war und bis zur Stunde noch ist, ein langer, banger Kuß soll
den Abschied auf Nimmerwiedersehen besiegeln. Doch Röcknitz jauchzt auf,
jetzt glaubt er sich Elisabeths gewiß, er wird die Frau, die ihm das gestanden
hat, nie wieder loslassen. Brutal droht er, wenn sie sich nicht füge, die ganze
Nektorbude in die Luft zu sprengen, er will sie zwingen, seine Geliebte zu
werden und zu bleiben. Was kümmert ihn der einfältige Rektor mit seiner
Brut, der ganz unberechtigt die Hand nach einer solchen Perle ausgestreckt
hat! Schaudernd erkennt Frau Elisabeth in diesem rücksichtslosen Fordern, in


Sudermanns neueste Dramen

angelegte Frau empfindet er die kleinen Demütigungen, die ihm in seiner be¬
scheidnen Stellung von Landratsdttnkel, Schulrcitsdünkel und kleinstädtischen
Kastenstolz gelegentlich auferlegt werden.

Auf diese Sachlage baut Herr von Röcknitz, der frühere Gastfreund
Elisabeths, der es nicht verschmerzt hat, daß diese Frau nicht seine Beute ge¬
worden ist, den Plan, sich ihrer doch noch zu bemächtigen. Er ist seiner eignen
Frau, die angeblich „immer schläft" und nun zum Glück einen Jungen hat,
gründlich müde, und die Weiber, mit denen er sonst sein Spiel treibt, be¬
friedigen ihn auch nicht mehr. Also bricht er bei Gelegenheit eines Pferde-
marktes im Städtchen, bei dem er außerdem ein paar Pferdejuden gründlich
„bemogelt," mit selbstherrlicher Liebenswürdigkeit in das Hans des Rektors
und ehemaligen Zöglings ein und nötigt die Wiedemanns, ihm und seiner
Gemahlin Gastfreundschaft zu gewähren. Er eröffnet dem Rektor, daß er sich
in den Reichstag wühlen lassen wolle, und da ihm nach seiner Versicherung
alles gelingt, wird wohl das nicht besonders schwer halten. Er versichert,
daß er einen Vertrauensmann und Stellvertreter brauche, dringt in den Schul-
mann, seine Stelle zu verlassen, als sein Verwalter, Pächter, alles, was Wiede-
mann will, auf seinen, des Freiherrn, Gütern ein neues Leben zu beginnen.
Um seines Weibes willen und ohne Ahnung, daß der Antrag des Barons
Röcknitz in ganz anderm Sinne, um der Frau willen, erfolgt, tritt der Rektor
der für ihn doch ein wenig fremdartigen Aussicht näher. Röcknitz aber drängt
zur raschen Entscheidung. Er' hat bis hierher die früher vor ihm Geflohene
in ihrem Winkel geschont, jetzt trägt er es nicht länger, sie soll sein werden,
soll wenigstens wieder neben ihm leben, das weitere wird sich von selbst finden.
Stürmisch flehend, gewaltsam fordernd überfällt er die Abwehrende mit seinen
Vorschlügen, seiner unverhohlen bekannten Leidenschaft. Frau Elisabeth windet
sich zitternd unter der Hand, die so in ihr Leben eingreifen will, sie giebt
umsonst immer deutlicher kund, daß sie dem Andringen des Freiherr» niemals
nachgeben werde. Und wie Röcknitz in seinem Herrengefühl und mit der Wit¬
terung eines erfahrnen Jägers für den Wind, leidenschaftlicher und zugleich
demütiger in sie dringt, kommt es zu Tage, daß Frau Elisabeth seinerzeit
vor ihm geflohen ist, um ihm nicht zu erliegen, um uicht Verrat an ihrer
Freundin Bettina zu üben, daß sie ihn geliebt hat, ihn noch liebt. Einen
selbstvergessener Augenblick hängt sie am Halse des Mannes, der ihr heim¬
liches Ideal war und bis zur Stunde noch ist, ein langer, banger Kuß soll
den Abschied auf Nimmerwiedersehen besiegeln. Doch Röcknitz jauchzt auf,
jetzt glaubt er sich Elisabeths gewiß, er wird die Frau, die ihm das gestanden
hat, nie wieder loslassen. Brutal droht er, wenn sie sich nicht füge, die ganze
Nektorbude in die Luft zu sprengen, er will sie zwingen, seine Geliebte zu
werden und zu bleiben. Was kümmert ihn der einfältige Rektor mit seiner
Brut, der ganz unberechtigt die Hand nach einer solchen Perle ausgestreckt
hat! Schaudernd erkennt Frau Elisabeth in diesem rücksichtslosen Fordern, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/50>, abgerufen am 01.09.2024.