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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu Putlitz

kleines Meisterstück ist) erlebt zu haben, als an seinem Drama. Er schrieb
(2. Juni 1860) an Gisbert von Vincke: "Das schlimme bei dramatischen Ar¬
beiten ist, daß, wenn wir fertig sind, der letzte Stein, die Aufführung, von
andern gelegt werden muß. Wir gehen dann immer um das unfertige Haus
herum, und das giebt eine Spannung, die uns beim Neubau höchstens bis zu
den Fundamenten gelangen läßt. Schließlich poltert das alte Haus um und
schlägt das neu begonnene mit in Trümmer. O wer es lassen könnte, für die
Bühnen zu schreiben!" Und wenig später gestand er sich und andern, daß
trotz der Bühnenerfolge seinem "Wilhelm von Oranien" der erwärmende Herz¬
schlag fehle, daß er "im Stoff brauchbar, technisch richtig gezimmert, aber
schwung- und gemütlos, was man im gewöhnlichen Leben ledern nennt" er¬
scheine. Hier ist einmal etwas von der erbarmungslosen Selbstkritik, mit
der der echte Künstler sich selbst überwinden muß, ehe er die Welt über¬
windet.

Leider war es Putlitz nicht vergönnt, in stillem Schaffen die Erkenntnis
ausreifen zu lassen, daß er "zu den Müttern hinabsteigen" müsse. Die Folgen
seiner äußern Lebensstellung machten sich geltend. Er mußte sich als Guts¬
besitzer zum Abgeordneten des preußischen Landtags wählen lassen, er wurde
dem Königshofe durch die Ernennung zum Kammerherrn nahe gerückt und in
die Fesseln jener eigentümlichen glanzvollen Unfreiheit geschlagen, die keinem,
der diesen Lebenskreisen nahe tritt, erspart bleibt. Da er sich einmal die volle
Unabhängigkeit des amtlosen Landedelmannes nicht bewahren konnte, durfte es
der Dichter zunächst als ein besondres Glück ansehen, daß ihm 1863 der Groß-
herzog von Mecklenburg-Schwerin die Intendanz seines Hoftheaters an Flotvws
Stelle antrug. Die Aufgabe raubte ihm ja auch einen guten Teil seiner Frei¬
heit und seiner Muße, aber sie stand wenigstens in besserm Zusammenhang
mit seinen eigentlichen Lebensinteressen, als der Kammerherrndienst. Prächtig
ist die Stelle der Biographie, die erzählt, wie Putlitzens Söhne den Entschluß
ihres Vaters aufnahmen. "Im ganzen reizte das Neue ihre jugendliche Phan¬
tasie, aber befriedigt waren sie doch erst, als Gustav ihnen erklärte, daß sie
Preußen bleiben würden, denn der Partikularismus steckte tief in den Herzen
dieser echten Söhne der Mark."

Seine Aufgabe faßte der neue Bühnenleiter mit angebornem Geschick und
dem frischen Anteil an dem ewig wechselnden Leben und Treiben der Bühne
an, der für eine solche Stellung schlechthin unentbehrlich ist. Mit der Über¬
nahme der Schweriner Intendanz, deren Leiden und Freuden Putlitz schon
selbst in seinen "Theatererinnerungen" geschildert hat, wird die biographische
Darstellung der Frau von Putlitz ausführlicher und breiter, die Zahl der
interessanten Menschen, zu denen der Bühnenleiter in ein näheres oder ferneres
Verhältnis trat, mehrt sich bestündig, und für neuere Litteratur- und Theater¬
geschichte werdeu sowohl die persönlichen Aufzeichnungen der Frau von Putlitz,


Gustav zu Putlitz

kleines Meisterstück ist) erlebt zu haben, als an seinem Drama. Er schrieb
(2. Juni 1860) an Gisbert von Vincke: „Das schlimme bei dramatischen Ar¬
beiten ist, daß, wenn wir fertig sind, der letzte Stein, die Aufführung, von
andern gelegt werden muß. Wir gehen dann immer um das unfertige Haus
herum, und das giebt eine Spannung, die uns beim Neubau höchstens bis zu
den Fundamenten gelangen läßt. Schließlich poltert das alte Haus um und
schlägt das neu begonnene mit in Trümmer. O wer es lassen könnte, für die
Bühnen zu schreiben!" Und wenig später gestand er sich und andern, daß
trotz der Bühnenerfolge seinem „Wilhelm von Oranien" der erwärmende Herz¬
schlag fehle, daß er „im Stoff brauchbar, technisch richtig gezimmert, aber
schwung- und gemütlos, was man im gewöhnlichen Leben ledern nennt" er¬
scheine. Hier ist einmal etwas von der erbarmungslosen Selbstkritik, mit
der der echte Künstler sich selbst überwinden muß, ehe er die Welt über¬
windet.

Leider war es Putlitz nicht vergönnt, in stillem Schaffen die Erkenntnis
ausreifen zu lassen, daß er „zu den Müttern hinabsteigen" müsse. Die Folgen
seiner äußern Lebensstellung machten sich geltend. Er mußte sich als Guts¬
besitzer zum Abgeordneten des preußischen Landtags wählen lassen, er wurde
dem Königshofe durch die Ernennung zum Kammerherrn nahe gerückt und in
die Fesseln jener eigentümlichen glanzvollen Unfreiheit geschlagen, die keinem,
der diesen Lebenskreisen nahe tritt, erspart bleibt. Da er sich einmal die volle
Unabhängigkeit des amtlosen Landedelmannes nicht bewahren konnte, durfte es
der Dichter zunächst als ein besondres Glück ansehen, daß ihm 1863 der Groß-
herzog von Mecklenburg-Schwerin die Intendanz seines Hoftheaters an Flotvws
Stelle antrug. Die Aufgabe raubte ihm ja auch einen guten Teil seiner Frei¬
heit und seiner Muße, aber sie stand wenigstens in besserm Zusammenhang
mit seinen eigentlichen Lebensinteressen, als der Kammerherrndienst. Prächtig
ist die Stelle der Biographie, die erzählt, wie Putlitzens Söhne den Entschluß
ihres Vaters aufnahmen. „Im ganzen reizte das Neue ihre jugendliche Phan¬
tasie, aber befriedigt waren sie doch erst, als Gustav ihnen erklärte, daß sie
Preußen bleiben würden, denn der Partikularismus steckte tief in den Herzen
dieser echten Söhne der Mark."

Seine Aufgabe faßte der neue Bühnenleiter mit angebornem Geschick und
dem frischen Anteil an dem ewig wechselnden Leben und Treiben der Bühne
an, der für eine solche Stellung schlechthin unentbehrlich ist. Mit der Über¬
nahme der Schweriner Intendanz, deren Leiden und Freuden Putlitz schon
selbst in seinen „Theatererinnerungen" geschildert hat, wird die biographische
Darstellung der Frau von Putlitz ausführlicher und breiter, die Zahl der
interessanten Menschen, zu denen der Bühnenleiter in ein näheres oder ferneres
Verhältnis trat, mehrt sich bestündig, und für neuere Litteratur- und Theater¬
geschichte werdeu sowohl die persönlichen Aufzeichnungen der Frau von Putlitz,


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[0480] Gustav zu Putlitz kleines Meisterstück ist) erlebt zu haben, als an seinem Drama. Er schrieb (2. Juni 1860) an Gisbert von Vincke: „Das schlimme bei dramatischen Ar¬ beiten ist, daß, wenn wir fertig sind, der letzte Stein, die Aufführung, von andern gelegt werden muß. Wir gehen dann immer um das unfertige Haus herum, und das giebt eine Spannung, die uns beim Neubau höchstens bis zu den Fundamenten gelangen läßt. Schließlich poltert das alte Haus um und schlägt das neu begonnene mit in Trümmer. O wer es lassen könnte, für die Bühnen zu schreiben!" Und wenig später gestand er sich und andern, daß trotz der Bühnenerfolge seinem „Wilhelm von Oranien" der erwärmende Herz¬ schlag fehle, daß er „im Stoff brauchbar, technisch richtig gezimmert, aber schwung- und gemütlos, was man im gewöhnlichen Leben ledern nennt" er¬ scheine. Hier ist einmal etwas von der erbarmungslosen Selbstkritik, mit der der echte Künstler sich selbst überwinden muß, ehe er die Welt über¬ windet. Leider war es Putlitz nicht vergönnt, in stillem Schaffen die Erkenntnis ausreifen zu lassen, daß er „zu den Müttern hinabsteigen" müsse. Die Folgen seiner äußern Lebensstellung machten sich geltend. Er mußte sich als Guts¬ besitzer zum Abgeordneten des preußischen Landtags wählen lassen, er wurde dem Königshofe durch die Ernennung zum Kammerherrn nahe gerückt und in die Fesseln jener eigentümlichen glanzvollen Unfreiheit geschlagen, die keinem, der diesen Lebenskreisen nahe tritt, erspart bleibt. Da er sich einmal die volle Unabhängigkeit des amtlosen Landedelmannes nicht bewahren konnte, durfte es der Dichter zunächst als ein besondres Glück ansehen, daß ihm 1863 der Groß- herzog von Mecklenburg-Schwerin die Intendanz seines Hoftheaters an Flotvws Stelle antrug. Die Aufgabe raubte ihm ja auch einen guten Teil seiner Frei¬ heit und seiner Muße, aber sie stand wenigstens in besserm Zusammenhang mit seinen eigentlichen Lebensinteressen, als der Kammerherrndienst. Prächtig ist die Stelle der Biographie, die erzählt, wie Putlitzens Söhne den Entschluß ihres Vaters aufnahmen. „Im ganzen reizte das Neue ihre jugendliche Phan¬ tasie, aber befriedigt waren sie doch erst, als Gustav ihnen erklärte, daß sie Preußen bleiben würden, denn der Partikularismus steckte tief in den Herzen dieser echten Söhne der Mark." Seine Aufgabe faßte der neue Bühnenleiter mit angebornem Geschick und dem frischen Anteil an dem ewig wechselnden Leben und Treiben der Bühne an, der für eine solche Stellung schlechthin unentbehrlich ist. Mit der Über¬ nahme der Schweriner Intendanz, deren Leiden und Freuden Putlitz schon selbst in seinen „Theatererinnerungen" geschildert hat, wird die biographische Darstellung der Frau von Putlitz ausführlicher und breiter, die Zahl der interessanten Menschen, zu denen der Bühnenleiter in ein näheres oder ferneres Verhältnis trat, mehrt sich bestündig, und für neuere Litteratur- und Theater¬ geschichte werdeu sowohl die persönlichen Aufzeichnungen der Frau von Putlitz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/480>, abgerufen am 27.11.2024.