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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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zu üben und geistliche Strafen zu verhängen (darunter auch die größte, den
Ausschluß aus der Kirche, die thatsächlich eintritt, wenn die heiligen Sakra¬
mente verweigert werden; die öffentlich bekannt gemachte Exkommunikation ist
keine geistliche, sondern eine eminent bürgerliche Strafe, da sie dem Exkom-
mnnizirten, falls er unter Katholiken lebt, das Leben nicht bloß unerträglich,
sondern unmöglich macht), von allen diesen Rechten wird in der Adresse keins
bestritten, sondern, soweit ich mich erinnere, nur das Recht, in Angelegenheiten
gemischt bürgerlich-kirchlicher Natur die Grenze zu bestimmen. Nun weiß ich
allerdings, daß der Kirche oder richtiger gesagt der höchsten kirchlichen Be¬
hörde (die neuerdings beharrlich mit der Kirche identifizirt wird, ähnlich wie
die Schriftsteller des spätern Mittelalters "Kirche" zu schreiben pflegten, wenn
sie den Kirchenstaat meinten) von extremen Systematikern nicht allein dieses
Recht, sondern überhaupt jedes Recht zugesprochen wird, sodaß für die Geist¬
lichen und die Laien, sowie für die weltlichen Regierungen schlechterdings nichts
übrig bleibt, als die Pflicht unbedingten Gehorsams in allen geistlichen und
geistlich-weltlichen Dingen. Ich weiß aber auch, daß die Träume der Syste¬
matiker niemals Wirklichkeit geworden sind, daß vielmehr, so oft und so lange
der Kirche überhaupt ein Staat gegenüberstand, der Staat das Recht der
Grenzbestimmung geübt hat, vom Staate der römischen Cäsaren bis auf den
Staat Ludwigs XIV. und der Maria Theresia herab.. .. Die Unterzeichnung
der Adresse habe ich für Pflicht gehalten, weil ich die doppelte Überzeugung
hege, daß einerseits die Kirche durch die sogenannten Kirchengesetze an der Er¬
füllung ihrer Mission nicht gehindert wird, und daß andrerseits, wenn die
Opposition der sogenannten katholischen Presse gegen die Staatsregierung Er¬
folg haben sollte, die Existenz des deutschen Reichs nicht bloß, sondern auch
die des preußischen Staats in Frage gestellt würde. Es ist notorisch, daß
sich diese Presse gegenwärtig einer höhern Autorität erfreut als selbst der
Episkopat, denn noch jedesmal, so oft einer der Hochwürdigsten Bischöfe mit
einem einflußreichen katholischen Blatte in Kollision geriet, hat er nachgeben
müssen. Nun haben vor drei Jahren die Historisch-Politischen Blatter, wohl
die angesehenste der katholischen Zeitschriften Deutschlands, den Bischöfen und
dem katholischen Volke Preußens den katholischen Charakter abgesprochen, letzteren,
weil es 1866 -- wenn gleich ungern -- doch in den Krieg gegen Österreich
gezogen sei, den erstem, weil sie diesen Krieg nicht öffentlich und nachdrück¬
lich verurteilt hätten. Wenn sich diese Anschauung Bahn bricht, und wenn,
zugleich dem katholischen Volke Deutschlands die Meinung beigebracht wird,
die die besagten Organe unablässig predigen, daß die Staatsregierung darauf
ausgehe, ihm fein heiligstes Gut, die Religion, zu rauben (einfache Leute meiner
Gemeinde haben wiederholt gefragt: ist es denn wahr, daß wir nicht mehr
zur heiligen Beichte und in die heilige Messe gehen dürfen?), dann werden
bei einer kriegerischen Verwicklung die Stimmen der Hochwürdigsten Bischöfe


Grcnzlwte" I 1890 ^

zu üben und geistliche Strafen zu verhängen (darunter auch die größte, den
Ausschluß aus der Kirche, die thatsächlich eintritt, wenn die heiligen Sakra¬
mente verweigert werden; die öffentlich bekannt gemachte Exkommunikation ist
keine geistliche, sondern eine eminent bürgerliche Strafe, da sie dem Exkom-
mnnizirten, falls er unter Katholiken lebt, das Leben nicht bloß unerträglich,
sondern unmöglich macht), von allen diesen Rechten wird in der Adresse keins
bestritten, sondern, soweit ich mich erinnere, nur das Recht, in Angelegenheiten
gemischt bürgerlich-kirchlicher Natur die Grenze zu bestimmen. Nun weiß ich
allerdings, daß der Kirche oder richtiger gesagt der höchsten kirchlichen Be¬
hörde (die neuerdings beharrlich mit der Kirche identifizirt wird, ähnlich wie
die Schriftsteller des spätern Mittelalters »Kirche« zu schreiben pflegten, wenn
sie den Kirchenstaat meinten) von extremen Systematikern nicht allein dieses
Recht, sondern überhaupt jedes Recht zugesprochen wird, sodaß für die Geist¬
lichen und die Laien, sowie für die weltlichen Regierungen schlechterdings nichts
übrig bleibt, als die Pflicht unbedingten Gehorsams in allen geistlichen und
geistlich-weltlichen Dingen. Ich weiß aber auch, daß die Träume der Syste¬
matiker niemals Wirklichkeit geworden sind, daß vielmehr, so oft und so lange
der Kirche überhaupt ein Staat gegenüberstand, der Staat das Recht der
Grenzbestimmung geübt hat, vom Staate der römischen Cäsaren bis auf den
Staat Ludwigs XIV. und der Maria Theresia herab.. .. Die Unterzeichnung
der Adresse habe ich für Pflicht gehalten, weil ich die doppelte Überzeugung
hege, daß einerseits die Kirche durch die sogenannten Kirchengesetze an der Er¬
füllung ihrer Mission nicht gehindert wird, und daß andrerseits, wenn die
Opposition der sogenannten katholischen Presse gegen die Staatsregierung Er¬
folg haben sollte, die Existenz des deutschen Reichs nicht bloß, sondern auch
die des preußischen Staats in Frage gestellt würde. Es ist notorisch, daß
sich diese Presse gegenwärtig einer höhern Autorität erfreut als selbst der
Episkopat, denn noch jedesmal, so oft einer der Hochwürdigsten Bischöfe mit
einem einflußreichen katholischen Blatte in Kollision geriet, hat er nachgeben
müssen. Nun haben vor drei Jahren die Historisch-Politischen Blatter, wohl
die angesehenste der katholischen Zeitschriften Deutschlands, den Bischöfen und
dem katholischen Volke Preußens den katholischen Charakter abgesprochen, letzteren,
weil es 1866 — wenn gleich ungern — doch in den Krieg gegen Österreich
gezogen sei, den erstem, weil sie diesen Krieg nicht öffentlich und nachdrück¬
lich verurteilt hätten. Wenn sich diese Anschauung Bahn bricht, und wenn,
zugleich dem katholischen Volke Deutschlands die Meinung beigebracht wird,
die die besagten Organe unablässig predigen, daß die Staatsregierung darauf
ausgehe, ihm fein heiligstes Gut, die Religion, zu rauben (einfache Leute meiner
Gemeinde haben wiederholt gefragt: ist es denn wahr, daß wir nicht mehr
zur heiligen Beichte und in die heilige Messe gehen dürfen?), dann werden
bei einer kriegerischen Verwicklung die Stimmen der Hochwürdigsten Bischöfe


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[0337] zu üben und geistliche Strafen zu verhängen (darunter auch die größte, den Ausschluß aus der Kirche, die thatsächlich eintritt, wenn die heiligen Sakra¬ mente verweigert werden; die öffentlich bekannt gemachte Exkommunikation ist keine geistliche, sondern eine eminent bürgerliche Strafe, da sie dem Exkom- mnnizirten, falls er unter Katholiken lebt, das Leben nicht bloß unerträglich, sondern unmöglich macht), von allen diesen Rechten wird in der Adresse keins bestritten, sondern, soweit ich mich erinnere, nur das Recht, in Angelegenheiten gemischt bürgerlich-kirchlicher Natur die Grenze zu bestimmen. Nun weiß ich allerdings, daß der Kirche oder richtiger gesagt der höchsten kirchlichen Be¬ hörde (die neuerdings beharrlich mit der Kirche identifizirt wird, ähnlich wie die Schriftsteller des spätern Mittelalters »Kirche« zu schreiben pflegten, wenn sie den Kirchenstaat meinten) von extremen Systematikern nicht allein dieses Recht, sondern überhaupt jedes Recht zugesprochen wird, sodaß für die Geist¬ lichen und die Laien, sowie für die weltlichen Regierungen schlechterdings nichts übrig bleibt, als die Pflicht unbedingten Gehorsams in allen geistlichen und geistlich-weltlichen Dingen. Ich weiß aber auch, daß die Träume der Syste¬ matiker niemals Wirklichkeit geworden sind, daß vielmehr, so oft und so lange der Kirche überhaupt ein Staat gegenüberstand, der Staat das Recht der Grenzbestimmung geübt hat, vom Staate der römischen Cäsaren bis auf den Staat Ludwigs XIV. und der Maria Theresia herab.. .. Die Unterzeichnung der Adresse habe ich für Pflicht gehalten, weil ich die doppelte Überzeugung hege, daß einerseits die Kirche durch die sogenannten Kirchengesetze an der Er¬ füllung ihrer Mission nicht gehindert wird, und daß andrerseits, wenn die Opposition der sogenannten katholischen Presse gegen die Staatsregierung Er¬ folg haben sollte, die Existenz des deutschen Reichs nicht bloß, sondern auch die des preußischen Staats in Frage gestellt würde. Es ist notorisch, daß sich diese Presse gegenwärtig einer höhern Autorität erfreut als selbst der Episkopat, denn noch jedesmal, so oft einer der Hochwürdigsten Bischöfe mit einem einflußreichen katholischen Blatte in Kollision geriet, hat er nachgeben müssen. Nun haben vor drei Jahren die Historisch-Politischen Blatter, wohl die angesehenste der katholischen Zeitschriften Deutschlands, den Bischöfen und dem katholischen Volke Preußens den katholischen Charakter abgesprochen, letzteren, weil es 1866 — wenn gleich ungern — doch in den Krieg gegen Österreich gezogen sei, den erstem, weil sie diesen Krieg nicht öffentlich und nachdrück¬ lich verurteilt hätten. Wenn sich diese Anschauung Bahn bricht, und wenn, zugleich dem katholischen Volke Deutschlands die Meinung beigebracht wird, die die besagten Organe unablässig predigen, daß die Staatsregierung darauf ausgehe, ihm fein heiligstes Gut, die Religion, zu rauben (einfache Leute meiner Gemeinde haben wiederholt gefragt: ist es denn wahr, daß wir nicht mehr zur heiligen Beichte und in die heilige Messe gehen dürfen?), dann werden bei einer kriegerischen Verwicklung die Stimmen der Hochwürdigsten Bischöfe Grcnzlwte» I 1890 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/337>, abgerufen am 01.09.2024.