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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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koar Viirer ein Papist?

Dürerbiographie des Katholiken Springer, die dem Verfasser freilich sehr un-
bequem war, ebenso die Schriften von Bischer und Thode, um nur ein paar
zu nennen, mit keinem Wort erwähnt werden, wahrend der Verfasser ganz
gleichgiltige Spezialfvrschungen, die in einer populären Darstellung überhaupt
nichts zu suchen haben, nur deshalb anführt oder gar ausführlich beurteilt,
weil sie ihm zufällig in die Hände gefallen sind! So kann man sich denn
nicht wundern, daß dieser Teil schlechterdings nichts neues enthält. Doch
halt, ich will nicht ungerecht sein. Einiges Neue findet sich doch, und es ist
so schön, daß ich es dem Leser nicht vorenthalten will.

So wird uus z. B. erzählt, daß Dürers Braut, Agnes Frey, ein "schönes"
Mädchen gewesen sei, an den Holzschnitten der Apokalypse wird hervorgehoben,
daß sie ausgezeichnet seien durch die "Gewandtheit der Formengebung." Wir
erfahren, daß Dürer in der deutschen Litteratur eine hervorragende Stelle ein¬
nehme als Vorgänger -- Winckelmanns. Wir hören, daß der Künstler seine
Gemälde erst seit 1503 mit der Jahreszahl bezeichnet habe, in beweglichen Worten
wird uns erzählt, wie Dürer kurz vor seinem Tode einen Salvator gemalt
habe, seinen "Schwanengesang, seine letzte Betrachtung beim Nahen des Todes" --
während das betreffende Bild (der Sammlung Felix) aus der frühesten Zeit
seiner künstlerischen Thätigkeit stammt! Es würde zu weit führen, wenn ich
jedes dilettantische Mißverständnis, jede Schiefheit des Urteils, jede Aus¬
lassung wichtiger Dinge,") die dieser Abschnitt enthält, einzeln aufführen wollte.
Daß der Verfasser trotz aller Liederlichkeit der Arbeit doch die Anmerkungen
der neuen, von Fusse und mir unternommnen Dürerausgabe, und zwar bei
ganz gleichgiltigen Dingen wie Preisberechnungen n. dergl., kräftig benutzt und
teilweise wörtlich ausgeschrieben hat, sei nur nebenbei erwähnt.

Am schönsten sind aber in diesem Teile die Bemerkungen des Verfassers
über die Darstellung des Nackten.*") Das Nackte wirkt auf ihn, wie ein rotes
Tuch ans den Puter. Wie unangenehm, daß der "katholische" Künstler Dürer
so viele nackte Figuren gemalt und gestochen hat! Wie bringt man nur diese
Nacktheit ans der "katholischen" Kunst weg? Nichts einfacher als das: mau
bürdet sie dem Humanismus auf. "Sein (Dürers) häufiger Gebrauch des
nackten aber ist eine allzu große Nachgiebigkeit gegen humanistische Ge¬
schmacksverirrung und ein Vergehen gegen die Wahrheit. Denn in Wirk¬
lichkeit erscheint nicht einmal ein Kind unter regelrechten Verhältnissen un¬
bekleidet vor unserm Auge, und es ist schlechthin widersinnig, den menschen-
gewordnen Sohn mis Kind auf dem Arme der Mutter oder in der Krippe




*) Eine Dürerbiographie, die nur zwei Handzeichnungen aus der Jugend Dürers zu
ernähren weiß, dafür aber seitenlange Erörterungen über die Unsittlichkeit Luthers und seiner
Lehre bringt, ist j^dnifalls etwas sehr eigentümliches.
Vgl. "Kunst und Polizei," Grenzboten 18V6, I V. S. 224 ff.
koar Viirer ein Papist?

Dürerbiographie des Katholiken Springer, die dem Verfasser freilich sehr un-
bequem war, ebenso die Schriften von Bischer und Thode, um nur ein paar
zu nennen, mit keinem Wort erwähnt werden, wahrend der Verfasser ganz
gleichgiltige Spezialfvrschungen, die in einer populären Darstellung überhaupt
nichts zu suchen haben, nur deshalb anführt oder gar ausführlich beurteilt,
weil sie ihm zufällig in die Hände gefallen sind! So kann man sich denn
nicht wundern, daß dieser Teil schlechterdings nichts neues enthält. Doch
halt, ich will nicht ungerecht sein. Einiges Neue findet sich doch, und es ist
so schön, daß ich es dem Leser nicht vorenthalten will.

So wird uus z. B. erzählt, daß Dürers Braut, Agnes Frey, ein „schönes"
Mädchen gewesen sei, an den Holzschnitten der Apokalypse wird hervorgehoben,
daß sie ausgezeichnet seien durch die „Gewandtheit der Formengebung." Wir
erfahren, daß Dürer in der deutschen Litteratur eine hervorragende Stelle ein¬
nehme als Vorgänger — Winckelmanns. Wir hören, daß der Künstler seine
Gemälde erst seit 1503 mit der Jahreszahl bezeichnet habe, in beweglichen Worten
wird uns erzählt, wie Dürer kurz vor seinem Tode einen Salvator gemalt
habe, seinen „Schwanengesang, seine letzte Betrachtung beim Nahen des Todes" —
während das betreffende Bild (der Sammlung Felix) aus der frühesten Zeit
seiner künstlerischen Thätigkeit stammt! Es würde zu weit führen, wenn ich
jedes dilettantische Mißverständnis, jede Schiefheit des Urteils, jede Aus¬
lassung wichtiger Dinge,") die dieser Abschnitt enthält, einzeln aufführen wollte.
Daß der Verfasser trotz aller Liederlichkeit der Arbeit doch die Anmerkungen
der neuen, von Fusse und mir unternommnen Dürerausgabe, und zwar bei
ganz gleichgiltigen Dingen wie Preisberechnungen n. dergl., kräftig benutzt und
teilweise wörtlich ausgeschrieben hat, sei nur nebenbei erwähnt.

Am schönsten sind aber in diesem Teile die Bemerkungen des Verfassers
über die Darstellung des Nackten.*") Das Nackte wirkt auf ihn, wie ein rotes
Tuch ans den Puter. Wie unangenehm, daß der „katholische" Künstler Dürer
so viele nackte Figuren gemalt und gestochen hat! Wie bringt man nur diese
Nacktheit ans der „katholischen" Kunst weg? Nichts einfacher als das: mau
bürdet sie dem Humanismus auf. „Sein (Dürers) häufiger Gebrauch des
nackten aber ist eine allzu große Nachgiebigkeit gegen humanistische Ge¬
schmacksverirrung und ein Vergehen gegen die Wahrheit. Denn in Wirk¬
lichkeit erscheint nicht einmal ein Kind unter regelrechten Verhältnissen un¬
bekleidet vor unserm Auge, und es ist schlechthin widersinnig, den menschen-
gewordnen Sohn mis Kind auf dem Arme der Mutter oder in der Krippe




*) Eine Dürerbiographie, die nur zwei Handzeichnungen aus der Jugend Dürers zu
ernähren weiß, dafür aber seitenlange Erörterungen über die Unsittlichkeit Luthers und seiner
Lehre bringt, ist j^dnifalls etwas sehr eigentümliches.
Vgl. „Kunst und Polizei," Grenzboten 18V6, I V. S. 224 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/275>, abgerufen am 26.11.2024.