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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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U?ar Vürer ein Papist?

nackt darzustellen." Welche Harmlosigkeit in kulturgeschichtlicher Beziehung
gehört dazu, wenn man über derartige Dinge schreibt, nicht zu wissen, daß
kleine Kinder damals sehr häufig nackt herumliefen! Hat der Verfasser nie¬
mals etwas von der Holbeinschen Madonna des (katholischen) Bürgermeisters
Meyer von Basel gehört, auf der das jüngste Kind des Stifters im Vorder¬
grunde splitternackt, und zwar in einer Weise dargestellt ist, daß man sieht,
wie sehr sich der Künstler über diese herzigen nackten Formen gefreut hat? Ich
rate dem Verfasser, sich dieses nackte Kind, das einst an geheiligter Stätte
stand, recht genau anzusehen, er wird vieles an ihm finden, worüber er
sich höchlich ärgern muß. O diese sündige Nacktheit! Ferner rate ich ihm,
das erste beste Buch über die Geschichte der Malerei oder des Kupferstichs
durchzublättern, damit er sich überzeugt, daß nicht erst Dürer, nicht erst die
Künstler des Humanismus das Christkind nackt dargestellt haben, sondern schon
die alten Niederländer und die deutschen Vorgänger Dürers, der Meister E. S.,
Martin Schongauer usw. Aber freilich, alles, was diesen Herren in der
Kunst unbequem ist, wird dem Humanismus und der Reformation in die Schuhe
geschoben. Denn nach Janssenscher Geschichtsauffassung ist der Humanismus
ebenso wie die Reformation eitel Verirrung und Teufelsspuk.

Aber von diesem ersten Abschnitt wollte ich ja eigentlich nicht reden,
sondern nur von dem über Dürers Glaubensbekenntnis. Was darin stehen
würde, wußte ich freilich schon im voraus. Es ist auf katholischer Seite in
den letzten Jahren so oft von Dürers katholischem Glaubensbekenntnis geredet
worden, daß es ganz überflüssig war, all das ungereimte Zeug noch einmal
wiederzukäuen. Dennoch hören wir hier die ganze Litanei wieder von neuem:
Dürer hat sich zwar vorübergehend von Luther irremachen lassen, aber "als
frommer Katholik wollte er von der kirchlichen und politischen Reformation
nichts wissen, zumal da ihn die traurigen Sittenzustande, die die Neuerung mit
sich brachte, mit Abscheu erfüllten. Ebenso wie Pirkheimer hat er sich von ihr ab¬
gewendet, als er bemerkte, daß es sich nicht um Verbesserungen in der alten Kirche,
sondern um eine Trennung von ihr handelte." Seine begeisterten Äußerungen
über Luther, sein brieflich bezeugtes Geschenk an diesen, seine innige Freundschaft
mit Melanchthon, das eigne Geständnis seiner ketzerischen Gesinnung, seine
heftige Verdammung des Kultus der schönen Maria in Regensburg, Luthers
Äußerungen über ihn bei seinem Tode, alles das will nichts besagen, beweist
nichts, als eine gewisse "Unklarheit," einen gewissen "Widerspruch" in seiner
Gesinnung. Im Herzen ist er immer ein echter Katholik geblieben. "Es ist
über jeden Zweifel erhaben, daß Dürer mit aller Wärme seines Herzens die
allseitig ersehnte kirchliche Reform herbeiwünschte, und daß er mit manchem
seiner Nürnberger Freunde das erste Auftreten Luthers begrüßte. Aber es
ist ebenfalls gewiß, daß Dürer sich nicht von der alten Lehre abgewendet hat
und im Frieden mit der katholischen Kirche gestorben ist."


U?ar Vürer ein Papist?

nackt darzustellen." Welche Harmlosigkeit in kulturgeschichtlicher Beziehung
gehört dazu, wenn man über derartige Dinge schreibt, nicht zu wissen, daß
kleine Kinder damals sehr häufig nackt herumliefen! Hat der Verfasser nie¬
mals etwas von der Holbeinschen Madonna des (katholischen) Bürgermeisters
Meyer von Basel gehört, auf der das jüngste Kind des Stifters im Vorder¬
grunde splitternackt, und zwar in einer Weise dargestellt ist, daß man sieht,
wie sehr sich der Künstler über diese herzigen nackten Formen gefreut hat? Ich
rate dem Verfasser, sich dieses nackte Kind, das einst an geheiligter Stätte
stand, recht genau anzusehen, er wird vieles an ihm finden, worüber er
sich höchlich ärgern muß. O diese sündige Nacktheit! Ferner rate ich ihm,
das erste beste Buch über die Geschichte der Malerei oder des Kupferstichs
durchzublättern, damit er sich überzeugt, daß nicht erst Dürer, nicht erst die
Künstler des Humanismus das Christkind nackt dargestellt haben, sondern schon
die alten Niederländer und die deutschen Vorgänger Dürers, der Meister E. S.,
Martin Schongauer usw. Aber freilich, alles, was diesen Herren in der
Kunst unbequem ist, wird dem Humanismus und der Reformation in die Schuhe
geschoben. Denn nach Janssenscher Geschichtsauffassung ist der Humanismus
ebenso wie die Reformation eitel Verirrung und Teufelsspuk.

Aber von diesem ersten Abschnitt wollte ich ja eigentlich nicht reden,
sondern nur von dem über Dürers Glaubensbekenntnis. Was darin stehen
würde, wußte ich freilich schon im voraus. Es ist auf katholischer Seite in
den letzten Jahren so oft von Dürers katholischem Glaubensbekenntnis geredet
worden, daß es ganz überflüssig war, all das ungereimte Zeug noch einmal
wiederzukäuen. Dennoch hören wir hier die ganze Litanei wieder von neuem:
Dürer hat sich zwar vorübergehend von Luther irremachen lassen, aber „als
frommer Katholik wollte er von der kirchlichen und politischen Reformation
nichts wissen, zumal da ihn die traurigen Sittenzustande, die die Neuerung mit
sich brachte, mit Abscheu erfüllten. Ebenso wie Pirkheimer hat er sich von ihr ab¬
gewendet, als er bemerkte, daß es sich nicht um Verbesserungen in der alten Kirche,
sondern um eine Trennung von ihr handelte." Seine begeisterten Äußerungen
über Luther, sein brieflich bezeugtes Geschenk an diesen, seine innige Freundschaft
mit Melanchthon, das eigne Geständnis seiner ketzerischen Gesinnung, seine
heftige Verdammung des Kultus der schönen Maria in Regensburg, Luthers
Äußerungen über ihn bei seinem Tode, alles das will nichts besagen, beweist
nichts, als eine gewisse „Unklarheit," einen gewissen „Widerspruch" in seiner
Gesinnung. Im Herzen ist er immer ein echter Katholik geblieben. „Es ist
über jeden Zweifel erhaben, daß Dürer mit aller Wärme seines Herzens die
allseitig ersehnte kirchliche Reform herbeiwünschte, und daß er mit manchem
seiner Nürnberger Freunde das erste Auftreten Luthers begrüßte. Aber es
ist ebenfalls gewiß, daß Dürer sich nicht von der alten Lehre abgewendet hat
und im Frieden mit der katholischen Kirche gestorben ist."


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[0276] U?ar Vürer ein Papist? nackt darzustellen." Welche Harmlosigkeit in kulturgeschichtlicher Beziehung gehört dazu, wenn man über derartige Dinge schreibt, nicht zu wissen, daß kleine Kinder damals sehr häufig nackt herumliefen! Hat der Verfasser nie¬ mals etwas von der Holbeinschen Madonna des (katholischen) Bürgermeisters Meyer von Basel gehört, auf der das jüngste Kind des Stifters im Vorder¬ grunde splitternackt, und zwar in einer Weise dargestellt ist, daß man sieht, wie sehr sich der Künstler über diese herzigen nackten Formen gefreut hat? Ich rate dem Verfasser, sich dieses nackte Kind, das einst an geheiligter Stätte stand, recht genau anzusehen, er wird vieles an ihm finden, worüber er sich höchlich ärgern muß. O diese sündige Nacktheit! Ferner rate ich ihm, das erste beste Buch über die Geschichte der Malerei oder des Kupferstichs durchzublättern, damit er sich überzeugt, daß nicht erst Dürer, nicht erst die Künstler des Humanismus das Christkind nackt dargestellt haben, sondern schon die alten Niederländer und die deutschen Vorgänger Dürers, der Meister E. S., Martin Schongauer usw. Aber freilich, alles, was diesen Herren in der Kunst unbequem ist, wird dem Humanismus und der Reformation in die Schuhe geschoben. Denn nach Janssenscher Geschichtsauffassung ist der Humanismus ebenso wie die Reformation eitel Verirrung und Teufelsspuk. Aber von diesem ersten Abschnitt wollte ich ja eigentlich nicht reden, sondern nur von dem über Dürers Glaubensbekenntnis. Was darin stehen würde, wußte ich freilich schon im voraus. Es ist auf katholischer Seite in den letzten Jahren so oft von Dürers katholischem Glaubensbekenntnis geredet worden, daß es ganz überflüssig war, all das ungereimte Zeug noch einmal wiederzukäuen. Dennoch hören wir hier die ganze Litanei wieder von neuem: Dürer hat sich zwar vorübergehend von Luther irremachen lassen, aber „als frommer Katholik wollte er von der kirchlichen und politischen Reformation nichts wissen, zumal da ihn die traurigen Sittenzustande, die die Neuerung mit sich brachte, mit Abscheu erfüllten. Ebenso wie Pirkheimer hat er sich von ihr ab¬ gewendet, als er bemerkte, daß es sich nicht um Verbesserungen in der alten Kirche, sondern um eine Trennung von ihr handelte." Seine begeisterten Äußerungen über Luther, sein brieflich bezeugtes Geschenk an diesen, seine innige Freundschaft mit Melanchthon, das eigne Geständnis seiner ketzerischen Gesinnung, seine heftige Verdammung des Kultus der schönen Maria in Regensburg, Luthers Äußerungen über ihn bei seinem Tode, alles das will nichts besagen, beweist nichts, als eine gewisse „Unklarheit," einen gewissen „Widerspruch" in seiner Gesinnung. Im Herzen ist er immer ein echter Katholik geblieben. „Es ist über jeden Zweifel erhaben, daß Dürer mit aller Wärme seines Herzens die allseitig ersehnte kirchliche Reform herbeiwünschte, und daß er mit manchem seiner Nürnberger Freunde das erste Auftreten Luthers begrüßte. Aber es ist ebenfalls gewiß, daß Dürer sich nicht von der alten Lehre abgewendet hat und im Frieden mit der katholischen Kirche gestorben ist."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/276>, abgerufen am 01.09.2024.