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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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War Dürer ein Papist?
Ronrad Lange von

cum man alles populäre Geschreibsel über Kunst lesen sollte, so
hätte man wahrhaftig viel zu thun. Ich bilde mir nicht einmal
ein, aus der Dürerlitteratur, die ich doch ziemlich genau ver¬
folge, jede populäre Erscheinung zu kennen. So hatte ich denn
auch bis vor kurzem nicht Notiz genommen von der Dürer-
biographie eines gewissen Herrn Anton Weber, von dem wir schon ein schlechtes
Buch über Dill Riemenschneider habend) Da sie mir aber einmal durch Ver¬
mittlung eines meiner katholischen Zuhörer in die Hände gefallen ist, will ich
mich doch über die Frage, die hauptsächlich darin behandelt wird, eingehender
aussprechen, nicht etwa weil ich Herrn Weber für wichtig genug hielte, ihn
ausführlich zu widerlegen, sondern weil ich einmal an einem Beispiel zeigen
möchte, wie in klerikalen Kreisen heutzutage populäre Kunstgeschichte gemacht
wird.**)

Ich schlage die dünne Broschüre auf. Vermutlich wird es sich um einen
Versuch handeln, Dürer in konfessionellen Sinne auszuschlachten. Und richtig!
Von 148 Seiten einschließlich des Registers sind allein 70 dein "Glaubens¬
bekenntnis Dürers" gewidmet. Die vorhergehende eigentliche Biographie ist
im höchsten Grade dürstig, sie soll auch offenbar nur als Vorwand für das
folgende dienen. Der Verfasser wollte den größten Maler Deutschlands für die
katholische Kirche retten. So schrieb er in der Geschwindigkeit zu seiner Ten¬
denzschrift eine biographische Einleitung, die sein Buch verkäuflicher machen
sollte. Aber was für eine Einleitung! Welche heitere Selbstgenügsamkeit gehört
dazu, Dinge, die schon tausendmal gesagt, und zwar viel besser gesagt sind,
hier in angemessener Verkürzung und Verwässernng zum tausendundciuteumale
zu sagen! Welche Unkenntnis der Litteratur verrät sich darin, daß z. B. die




*) Albrecht Dürer, sei" Leben, Wirken und Glauben, dargestellt von Anton
Weber. Erste Auflage Regensburg 1893, zweite Auslage 1894
Ich bemerke dabei ausdrücklich, daß ich die wirklich wissenschaftliche" Kunsthistoriker
unter den Katholiken, wie Fr. X, Kraus, Fr. Schneider u. a., außerordentlich hochschätze. Wenn
aber für derartige Machwerke in angesehenen katholischen Zeitschriften Reklame gemacht wird,
so ist es wohl billig, daß das Urteil über sie die katholische Wissenschaft im allgemeinen trifft.


War Dürer ein Papist?
Ronrad Lange von

cum man alles populäre Geschreibsel über Kunst lesen sollte, so
hätte man wahrhaftig viel zu thun. Ich bilde mir nicht einmal
ein, aus der Dürerlitteratur, die ich doch ziemlich genau ver¬
folge, jede populäre Erscheinung zu kennen. So hatte ich denn
auch bis vor kurzem nicht Notiz genommen von der Dürer-
biographie eines gewissen Herrn Anton Weber, von dem wir schon ein schlechtes
Buch über Dill Riemenschneider habend) Da sie mir aber einmal durch Ver¬
mittlung eines meiner katholischen Zuhörer in die Hände gefallen ist, will ich
mich doch über die Frage, die hauptsächlich darin behandelt wird, eingehender
aussprechen, nicht etwa weil ich Herrn Weber für wichtig genug hielte, ihn
ausführlich zu widerlegen, sondern weil ich einmal an einem Beispiel zeigen
möchte, wie in klerikalen Kreisen heutzutage populäre Kunstgeschichte gemacht
wird.**)

Ich schlage die dünne Broschüre auf. Vermutlich wird es sich um einen
Versuch handeln, Dürer in konfessionellen Sinne auszuschlachten. Und richtig!
Von 148 Seiten einschließlich des Registers sind allein 70 dein „Glaubens¬
bekenntnis Dürers" gewidmet. Die vorhergehende eigentliche Biographie ist
im höchsten Grade dürstig, sie soll auch offenbar nur als Vorwand für das
folgende dienen. Der Verfasser wollte den größten Maler Deutschlands für die
katholische Kirche retten. So schrieb er in der Geschwindigkeit zu seiner Ten¬
denzschrift eine biographische Einleitung, die sein Buch verkäuflicher machen
sollte. Aber was für eine Einleitung! Welche heitere Selbstgenügsamkeit gehört
dazu, Dinge, die schon tausendmal gesagt, und zwar viel besser gesagt sind,
hier in angemessener Verkürzung und Verwässernng zum tausendundciuteumale
zu sagen! Welche Unkenntnis der Litteratur verrät sich darin, daß z. B. die




*) Albrecht Dürer, sei» Leben, Wirken und Glauben, dargestellt von Anton
Weber. Erste Auflage Regensburg 1893, zweite Auslage 1894
Ich bemerke dabei ausdrücklich, daß ich die wirklich wissenschaftliche» Kunsthistoriker
unter den Katholiken, wie Fr. X, Kraus, Fr. Schneider u. a., außerordentlich hochschätze. Wenn
aber für derartige Machwerke in angesehenen katholischen Zeitschriften Reklame gemacht wird,
so ist es wohl billig, daß das Urteil über sie die katholische Wissenschaft im allgemeinen trifft.
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[0274] [Abbildung] War Dürer ein Papist? Ronrad Lange von cum man alles populäre Geschreibsel über Kunst lesen sollte, so hätte man wahrhaftig viel zu thun. Ich bilde mir nicht einmal ein, aus der Dürerlitteratur, die ich doch ziemlich genau ver¬ folge, jede populäre Erscheinung zu kennen. So hatte ich denn auch bis vor kurzem nicht Notiz genommen von der Dürer- biographie eines gewissen Herrn Anton Weber, von dem wir schon ein schlechtes Buch über Dill Riemenschneider habend) Da sie mir aber einmal durch Ver¬ mittlung eines meiner katholischen Zuhörer in die Hände gefallen ist, will ich mich doch über die Frage, die hauptsächlich darin behandelt wird, eingehender aussprechen, nicht etwa weil ich Herrn Weber für wichtig genug hielte, ihn ausführlich zu widerlegen, sondern weil ich einmal an einem Beispiel zeigen möchte, wie in klerikalen Kreisen heutzutage populäre Kunstgeschichte gemacht wird.**) Ich schlage die dünne Broschüre auf. Vermutlich wird es sich um einen Versuch handeln, Dürer in konfessionellen Sinne auszuschlachten. Und richtig! Von 148 Seiten einschließlich des Registers sind allein 70 dein „Glaubens¬ bekenntnis Dürers" gewidmet. Die vorhergehende eigentliche Biographie ist im höchsten Grade dürstig, sie soll auch offenbar nur als Vorwand für das folgende dienen. Der Verfasser wollte den größten Maler Deutschlands für die katholische Kirche retten. So schrieb er in der Geschwindigkeit zu seiner Ten¬ denzschrift eine biographische Einleitung, die sein Buch verkäuflicher machen sollte. Aber was für eine Einleitung! Welche heitere Selbstgenügsamkeit gehört dazu, Dinge, die schon tausendmal gesagt, und zwar viel besser gesagt sind, hier in angemessener Verkürzung und Verwässernng zum tausendundciuteumale zu sagen! Welche Unkenntnis der Litteratur verrät sich darin, daß z. B. die *) Albrecht Dürer, sei» Leben, Wirken und Glauben, dargestellt von Anton Weber. Erste Auflage Regensburg 1893, zweite Auslage 1894 Ich bemerke dabei ausdrücklich, daß ich die wirklich wissenschaftliche» Kunsthistoriker unter den Katholiken, wie Fr. X, Kraus, Fr. Schneider u. a., außerordentlich hochschätze. Wenn aber für derartige Machwerke in angesehenen katholischen Zeitschriften Reklame gemacht wird, so ist es wohl billig, daß das Urteil über sie die katholische Wissenschaft im allgemeinen trifft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/274>, abgerufen am 26.11.2024.