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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Freiwillige Flottenstener

Trotzdem hier ein Beispiel. Im zweiten punischen Kriege würde trotz allen
Heldenmutö und der zähesten Widerstandskraft das römische Volk haben unter¬
liegen müssen, wenn es sich nicht zur See behauptet hätte. Die kleinen See¬
siege, die die Römer über die karthagische Flotte an der spanischen und sizilischen
Küste davontrugen, wogen mehr als alle glänzenden Landsiege des Hannibal,
weil sie den Römern die Herrschaft auf dein Meere sicherten. Nur wer so
diesen Riesenkampf zwischen den beiden Nationen des Altertums betrachtet,
kann seinen wahren Sinn verstehen-

In diesen Tagen hat ein Hauptmann vom großen Generalstabe, Freiherr
von Lüttwitz, im Militär-Wochenblatt eine Studie darüber veröffentlicht, ob
eine Invasion in England, wie man gewöhnlich annehme, unmöglich sei oder
nicht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß eine solche, richtig ins Werk gesetzt,
ebenso wohl durchführbar sei wie die letzte, die im Jahre 1688 dem spätern
Könige Wilhelm III. gelang. Ohne der übrigen Beweisführung näher zu
treten, so ist das genannte Beispiel deshalb nicht sonderlich gut gewählt, weil
fünf Sechstel der Bewohner von England der damals geplanten Invasion mit
gespanntester Hoffnung entgegensahen. Als Wilhelm von Oranien einmal in
der Bai von Tvrboy gelandet war, dn glich sein Vorrücken gegen London
mehr einem Triumphzug als einer feindlichen Annäherung. Daß unter
günstigen Umständen ein feindlicher Einfall in England anch jetzt noch möglich
sei, soll nicht bestritten werden, aber eine andre Frage ist es, ob, wenn die
Bevölkerung dein Feinde gegenüber einig ist und die Flotte noch schwimmt,
diese Landung auch Aussicht aus Erfolg habe. Mögen alle weitern Erörterungen
hierüber unterbleiben; aber das Bedauern darüber kann ich nicht unterdrücken,
daß die Studie überhaupt in diesem Augenblick veröffentlicht worden ist. Denn
da sie von der Voraussetzung ausgeht, "daß schnelle und durchschlagende Er¬
folge nur zu Lande würden errungen werde" können," so leistet sie den Gegnern
unsrer Marine Vorschub in der Behauptung, daß das deutsche Reich an dem
gegenwärtigen Bestände seiner Flotte genug habe. Nun, mögen diese Leute
die Sätze des Herrn von Lüttwitz für ihre Zwecke verwerten, wie sie Lust haben,
sie sind ja unverbesserlich. Aber das schlimme ist, daß damit auch vielen
andern, wohldenkenden Menschen das Kissen glatt gestrichen wird, auf dem sie
weiter dämmern möchten.

Von einem Offizier der Landarmee erscheint es als selbstverständlich, daß
er seine Waffe unter allen Umständen für die entscheidende ansieht. Auch
Hannibal hat das gethan. Aber es war trotz all seines militärischen und
staatsmännischen Genies ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn demnächst - - wie
lange es noch dauern kann, wer will das wissen? -- der große Krieg cuis-
bricht, dann wird es sich, was England angeht, zunächst nicht um eine In¬
vasion handeln, sondern um eine Vekämpfnng seiner Flotte auf dem Weltmeere
und um Niederlegung der starke" Bollwerke, durch'die es die Herrschaft über


Freiwillige Flottenstener

Trotzdem hier ein Beispiel. Im zweiten punischen Kriege würde trotz allen
Heldenmutö und der zähesten Widerstandskraft das römische Volk haben unter¬
liegen müssen, wenn es sich nicht zur See behauptet hätte. Die kleinen See¬
siege, die die Römer über die karthagische Flotte an der spanischen und sizilischen
Küste davontrugen, wogen mehr als alle glänzenden Landsiege des Hannibal,
weil sie den Römern die Herrschaft auf dein Meere sicherten. Nur wer so
diesen Riesenkampf zwischen den beiden Nationen des Altertums betrachtet,
kann seinen wahren Sinn verstehen-

In diesen Tagen hat ein Hauptmann vom großen Generalstabe, Freiherr
von Lüttwitz, im Militär-Wochenblatt eine Studie darüber veröffentlicht, ob
eine Invasion in England, wie man gewöhnlich annehme, unmöglich sei oder
nicht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß eine solche, richtig ins Werk gesetzt,
ebenso wohl durchführbar sei wie die letzte, die im Jahre 1688 dem spätern
Könige Wilhelm III. gelang. Ohne der übrigen Beweisführung näher zu
treten, so ist das genannte Beispiel deshalb nicht sonderlich gut gewählt, weil
fünf Sechstel der Bewohner von England der damals geplanten Invasion mit
gespanntester Hoffnung entgegensahen. Als Wilhelm von Oranien einmal in
der Bai von Tvrboy gelandet war, dn glich sein Vorrücken gegen London
mehr einem Triumphzug als einer feindlichen Annäherung. Daß unter
günstigen Umständen ein feindlicher Einfall in England anch jetzt noch möglich
sei, soll nicht bestritten werden, aber eine andre Frage ist es, ob, wenn die
Bevölkerung dein Feinde gegenüber einig ist und die Flotte noch schwimmt,
diese Landung auch Aussicht aus Erfolg habe. Mögen alle weitern Erörterungen
hierüber unterbleiben; aber das Bedauern darüber kann ich nicht unterdrücken,
daß die Studie überhaupt in diesem Augenblick veröffentlicht worden ist. Denn
da sie von der Voraussetzung ausgeht, „daß schnelle und durchschlagende Er¬
folge nur zu Lande würden errungen werde» können," so leistet sie den Gegnern
unsrer Marine Vorschub in der Behauptung, daß das deutsche Reich an dem
gegenwärtigen Bestände seiner Flotte genug habe. Nun, mögen diese Leute
die Sätze des Herrn von Lüttwitz für ihre Zwecke verwerten, wie sie Lust haben,
sie sind ja unverbesserlich. Aber das schlimme ist, daß damit auch vielen
andern, wohldenkenden Menschen das Kissen glatt gestrichen wird, auf dem sie
weiter dämmern möchten.

Von einem Offizier der Landarmee erscheint es als selbstverständlich, daß
er seine Waffe unter allen Umständen für die entscheidende ansieht. Auch
Hannibal hat das gethan. Aber es war trotz all seines militärischen und
staatsmännischen Genies ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn demnächst - - wie
lange es noch dauern kann, wer will das wissen? — der große Krieg cuis-
bricht, dann wird es sich, was England angeht, zunächst nicht um eine In¬
vasion handeln, sondern um eine Vekämpfnng seiner Flotte auf dem Weltmeere
und um Niederlegung der starke» Bollwerke, durch'die es die Herrschaft über


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[0271] Freiwillige Flottenstener Trotzdem hier ein Beispiel. Im zweiten punischen Kriege würde trotz allen Heldenmutö und der zähesten Widerstandskraft das römische Volk haben unter¬ liegen müssen, wenn es sich nicht zur See behauptet hätte. Die kleinen See¬ siege, die die Römer über die karthagische Flotte an der spanischen und sizilischen Küste davontrugen, wogen mehr als alle glänzenden Landsiege des Hannibal, weil sie den Römern die Herrschaft auf dein Meere sicherten. Nur wer so diesen Riesenkampf zwischen den beiden Nationen des Altertums betrachtet, kann seinen wahren Sinn verstehen- In diesen Tagen hat ein Hauptmann vom großen Generalstabe, Freiherr von Lüttwitz, im Militär-Wochenblatt eine Studie darüber veröffentlicht, ob eine Invasion in England, wie man gewöhnlich annehme, unmöglich sei oder nicht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß eine solche, richtig ins Werk gesetzt, ebenso wohl durchführbar sei wie die letzte, die im Jahre 1688 dem spätern Könige Wilhelm III. gelang. Ohne der übrigen Beweisführung näher zu treten, so ist das genannte Beispiel deshalb nicht sonderlich gut gewählt, weil fünf Sechstel der Bewohner von England der damals geplanten Invasion mit gespanntester Hoffnung entgegensahen. Als Wilhelm von Oranien einmal in der Bai von Tvrboy gelandet war, dn glich sein Vorrücken gegen London mehr einem Triumphzug als einer feindlichen Annäherung. Daß unter günstigen Umständen ein feindlicher Einfall in England anch jetzt noch möglich sei, soll nicht bestritten werden, aber eine andre Frage ist es, ob, wenn die Bevölkerung dein Feinde gegenüber einig ist und die Flotte noch schwimmt, diese Landung auch Aussicht aus Erfolg habe. Mögen alle weitern Erörterungen hierüber unterbleiben; aber das Bedauern darüber kann ich nicht unterdrücken, daß die Studie überhaupt in diesem Augenblick veröffentlicht worden ist. Denn da sie von der Voraussetzung ausgeht, „daß schnelle und durchschlagende Er¬ folge nur zu Lande würden errungen werde» können," so leistet sie den Gegnern unsrer Marine Vorschub in der Behauptung, daß das deutsche Reich an dem gegenwärtigen Bestände seiner Flotte genug habe. Nun, mögen diese Leute die Sätze des Herrn von Lüttwitz für ihre Zwecke verwerten, wie sie Lust haben, sie sind ja unverbesserlich. Aber das schlimme ist, daß damit auch vielen andern, wohldenkenden Menschen das Kissen glatt gestrichen wird, auf dem sie weiter dämmern möchten. Von einem Offizier der Landarmee erscheint es als selbstverständlich, daß er seine Waffe unter allen Umständen für die entscheidende ansieht. Auch Hannibal hat das gethan. Aber es war trotz all seines militärischen und staatsmännischen Genies ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn demnächst - - wie lange es noch dauern kann, wer will das wissen? — der große Krieg cuis- bricht, dann wird es sich, was England angeht, zunächst nicht um eine In¬ vasion handeln, sondern um eine Vekämpfnng seiner Flotte auf dem Weltmeere und um Niederlegung der starke» Bollwerke, durch'die es die Herrschaft über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/271>, abgerufen am 27.11.2024.