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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Freiwillige Flottensteuer

doktrin, die es in Amerika bekämpft, in seinem Interesse auf Afrika übertrüge,
dann würde man in Deutschland mit Recht die Frage stellen, zu welchem
Zwecke wir uns an Englands Seite noch lange für die Aufrechterhaltung inter¬
nationaler Verbindlichkeiten in Europa erhitzen sollen. Wollte England die
Unabhängigkeit Transvaals nicht achten, so würde das ein Vorgang sein, der
in seinen Folgen allen Aussichten des deutschen Volkes ans selbständige Aus¬
dehnung auf dem einzigen Kontinent, wo wir lebensfähige Kolonien besitzen,
alles Licht verbaute. Das aber würde wieder nichts andres heißen, als auf
die Dauer unser nationales Leben in Frage zu stellen. Glauben denn die
Engländer wirklich, daß wir uns ruhig die Kehle von ihnen zuschnüren lassen
werden, ohne uns mich deu Mitteln umzuthun, die, mögen sie zu haben sein,
wo sie wollen, darnach angethan sind, den starken Verbündeten auf unsre Seite
zu ziehen, weil sie ihm Ersatz für frühere Verluste bieten?

So liegen für uns die Dinge. In der That sehr günstig, wenn man sie
nur von der Seite der Bündnismöglichkeit ausieht, und das wissen ernsthafte
englische Politiker sehr gut. Von dieser Seite also brauchen wir keine Furcht
zu haben, und wenn auch Sir John Balfour in einer großen Volksversamm¬
lung in Manchester für einen Staatsminister sehr laut tönende Worte geredet
hat, so hatten diese doch mehr deu Zweck, den Zorn des thörichten englischen
Publikums zu beschwichtigen, als eine Drohung an Deutschland zu richten.

Aber wenn das auch alles richtig ist, und es ließe sich dein Gesagten
noch eines oder das andre hinzufügen, so ist doch der Schatten an der Wand
dagewesen, oder er ist vielmehr noch da, und von einer andern Seite betrachtet,
sieht er sogar sehr bedenklich aus. Es soll nicht darauf hingedeutet werden,
daß bei dem Zwischenfall, den die Depesche unsers Kaisers hervorgerufen hat,
unsre teuern Verbündeten, wenn man auf Preßstimmeu etwas geben darf, eine
recht eigentümliche Miene machten, sondern das schlimme, ja furchtbare ist,
daß die große Mehrzahl des deutscheu Volkes uoch gar keine Ahnung davon
hat, um was es sich eigentlich handelt.

Es ist Thatsache, daß sich seit Jahrzehnten die Nationen der Neuzeit um
die großen Weltmeere zu gruppiren beginnen, wie die Staaten des Altertums
um das Becken des Mittelländischen Meeres. Bei der ungeheuern Macht-
entfaltung der Weltmächte, und noch mehr bei dein fabelhaften Aufschwung,
deu die Technik genommen hat, giebt es kaum uoch eine Entfernung, und auf
deu Wogen des Ozeans spielt sich dasselbe ab, was einst auf deu verhältnis¬
mäßig engen Räumen zwischen der Straße von Gibraltar und den Dardanellen
vor sich ging. Die eigentlichen Entscheidungsschlachten werden, man mag
sagen, was man will, der Hauptsache nach nicht zu Lande, sondern auf dem
Meere geschlagen werden.

Man hat trotz alles Geschichtsunterrichts in unsern Schulen, vielleicht
auch ebeu deswegen, eiuen wahre" Horror vor deu Lehren der Geschichte.


Freiwillige Flottensteuer

doktrin, die es in Amerika bekämpft, in seinem Interesse auf Afrika übertrüge,
dann würde man in Deutschland mit Recht die Frage stellen, zu welchem
Zwecke wir uns an Englands Seite noch lange für die Aufrechterhaltung inter¬
nationaler Verbindlichkeiten in Europa erhitzen sollen. Wollte England die
Unabhängigkeit Transvaals nicht achten, so würde das ein Vorgang sein, der
in seinen Folgen allen Aussichten des deutschen Volkes ans selbständige Aus¬
dehnung auf dem einzigen Kontinent, wo wir lebensfähige Kolonien besitzen,
alles Licht verbaute. Das aber würde wieder nichts andres heißen, als auf
die Dauer unser nationales Leben in Frage zu stellen. Glauben denn die
Engländer wirklich, daß wir uns ruhig die Kehle von ihnen zuschnüren lassen
werden, ohne uns mich deu Mitteln umzuthun, die, mögen sie zu haben sein,
wo sie wollen, darnach angethan sind, den starken Verbündeten auf unsre Seite
zu ziehen, weil sie ihm Ersatz für frühere Verluste bieten?

So liegen für uns die Dinge. In der That sehr günstig, wenn man sie
nur von der Seite der Bündnismöglichkeit ausieht, und das wissen ernsthafte
englische Politiker sehr gut. Von dieser Seite also brauchen wir keine Furcht
zu haben, und wenn auch Sir John Balfour in einer großen Volksversamm¬
lung in Manchester für einen Staatsminister sehr laut tönende Worte geredet
hat, so hatten diese doch mehr deu Zweck, den Zorn des thörichten englischen
Publikums zu beschwichtigen, als eine Drohung an Deutschland zu richten.

Aber wenn das auch alles richtig ist, und es ließe sich dein Gesagten
noch eines oder das andre hinzufügen, so ist doch der Schatten an der Wand
dagewesen, oder er ist vielmehr noch da, und von einer andern Seite betrachtet,
sieht er sogar sehr bedenklich aus. Es soll nicht darauf hingedeutet werden,
daß bei dem Zwischenfall, den die Depesche unsers Kaisers hervorgerufen hat,
unsre teuern Verbündeten, wenn man auf Preßstimmeu etwas geben darf, eine
recht eigentümliche Miene machten, sondern das schlimme, ja furchtbare ist,
daß die große Mehrzahl des deutscheu Volkes uoch gar keine Ahnung davon
hat, um was es sich eigentlich handelt.

Es ist Thatsache, daß sich seit Jahrzehnten die Nationen der Neuzeit um
die großen Weltmeere zu gruppiren beginnen, wie die Staaten des Altertums
um das Becken des Mittelländischen Meeres. Bei der ungeheuern Macht-
entfaltung der Weltmächte, und noch mehr bei dein fabelhaften Aufschwung,
deu die Technik genommen hat, giebt es kaum uoch eine Entfernung, und auf
deu Wogen des Ozeans spielt sich dasselbe ab, was einst auf deu verhältnis¬
mäßig engen Räumen zwischen der Straße von Gibraltar und den Dardanellen
vor sich ging. Die eigentlichen Entscheidungsschlachten werden, man mag
sagen, was man will, der Hauptsache nach nicht zu Lande, sondern auf dem
Meere geschlagen werden.

Man hat trotz alles Geschichtsunterrichts in unsern Schulen, vielleicht
auch ebeu deswegen, eiuen wahre» Horror vor deu Lehren der Geschichte.


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[0270] Freiwillige Flottensteuer doktrin, die es in Amerika bekämpft, in seinem Interesse auf Afrika übertrüge, dann würde man in Deutschland mit Recht die Frage stellen, zu welchem Zwecke wir uns an Englands Seite noch lange für die Aufrechterhaltung inter¬ nationaler Verbindlichkeiten in Europa erhitzen sollen. Wollte England die Unabhängigkeit Transvaals nicht achten, so würde das ein Vorgang sein, der in seinen Folgen allen Aussichten des deutschen Volkes ans selbständige Aus¬ dehnung auf dem einzigen Kontinent, wo wir lebensfähige Kolonien besitzen, alles Licht verbaute. Das aber würde wieder nichts andres heißen, als auf die Dauer unser nationales Leben in Frage zu stellen. Glauben denn die Engländer wirklich, daß wir uns ruhig die Kehle von ihnen zuschnüren lassen werden, ohne uns mich deu Mitteln umzuthun, die, mögen sie zu haben sein, wo sie wollen, darnach angethan sind, den starken Verbündeten auf unsre Seite zu ziehen, weil sie ihm Ersatz für frühere Verluste bieten? So liegen für uns die Dinge. In der That sehr günstig, wenn man sie nur von der Seite der Bündnismöglichkeit ausieht, und das wissen ernsthafte englische Politiker sehr gut. Von dieser Seite also brauchen wir keine Furcht zu haben, und wenn auch Sir John Balfour in einer großen Volksversamm¬ lung in Manchester für einen Staatsminister sehr laut tönende Worte geredet hat, so hatten diese doch mehr deu Zweck, den Zorn des thörichten englischen Publikums zu beschwichtigen, als eine Drohung an Deutschland zu richten. Aber wenn das auch alles richtig ist, und es ließe sich dein Gesagten noch eines oder das andre hinzufügen, so ist doch der Schatten an der Wand dagewesen, oder er ist vielmehr noch da, und von einer andern Seite betrachtet, sieht er sogar sehr bedenklich aus. Es soll nicht darauf hingedeutet werden, daß bei dem Zwischenfall, den die Depesche unsers Kaisers hervorgerufen hat, unsre teuern Verbündeten, wenn man auf Preßstimmeu etwas geben darf, eine recht eigentümliche Miene machten, sondern das schlimme, ja furchtbare ist, daß die große Mehrzahl des deutscheu Volkes uoch gar keine Ahnung davon hat, um was es sich eigentlich handelt. Es ist Thatsache, daß sich seit Jahrzehnten die Nationen der Neuzeit um die großen Weltmeere zu gruppiren beginnen, wie die Staaten des Altertums um das Becken des Mittelländischen Meeres. Bei der ungeheuern Macht- entfaltung der Weltmächte, und noch mehr bei dein fabelhaften Aufschwung, deu die Technik genommen hat, giebt es kaum uoch eine Entfernung, und auf deu Wogen des Ozeans spielt sich dasselbe ab, was einst auf deu verhältnis¬ mäßig engen Räumen zwischen der Straße von Gibraltar und den Dardanellen vor sich ging. Die eigentlichen Entscheidungsschlachten werden, man mag sagen, was man will, der Hauptsache nach nicht zu Lande, sondern auf dem Meere geschlagen werden. Man hat trotz alles Geschichtsunterrichts in unsern Schulen, vielleicht auch ebeu deswegen, eiuen wahre» Horror vor deu Lehren der Geschichte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/270>, abgerufen am 01.09.2024.