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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englische historische Romane

Bei allem Aufwand an glänzenden Äußerlichkeiten, an religiösen und historischen
Gesprächen, an weltgeschichtlichen Ideen, die darauf hinauslaufen, daß in jedem
thatsächlichen Ereignis der Weltgeschichte ein höheres Gesetz walte, daß alles
nach unmittelbarem göttlichen Ratschluß geschehe, ist der Roman doch von
einer fast erschreckenden innern Leere. Die Idee, daß der Fall des entarteten
christlichen Byzanz notwendig, bei den Türken der "Fortschritt" und die große
Zukunft sei, wird poetisch dadurch verkörpert, daß die wunderschöne und tief¬
innerliche griechische Prinzessin Irene ihrem um sie werbenden Vetter, dem
letzten Paläologenkaiser, ihre Hand versagt und sich ausdrücklich für den Harem
des Sultans Mahommed II. aufspart, was Vater Marion, der Seelenrat der
Prinzessin, mit den Worten feiert: "Ich denke, ich verstehe den Plan des
großen Schöpfers. Er gab dir, o Tochter, deine Schönheit der Person und
des Geistes und zog dich inmitten unsagbaren Leides groß, damit die Religion
Christi nicht gänzlich im Osten unterginge." Nun wird man vom Standpunkt
katholisch gläubiger wie modern historischer Anschauung aus wenig an der
verblendeten Hartnäckigkeit zu bewundern finden, mit der sich die Byzantiner
noch in ihrer Todesnot gegen die Union der lateinischen und der orien¬
talischen Kirche sträubten. Aber in ihrer Zertretung durch die Türken eine ver¬
diente Strafe Gottes, in der Nachsucht des ewigen Juden gegen den letzten
Palüologen ein besondres Werkzeug des Höchsten zu sehen, die Herrschaft der
türkischen Barbarei als die Verkörperung eines Fluches darzustellen, der Völker
und Stätten trifft, wo man die göttliche Offenbarung mißachtet hat, das ist
doch ein Stück englischer Phantasie, in dem sich der Cent hergebrachter, an¬
geblich religiöser Betrachtungsweise und die Überreizung moderner Geschichts¬
mystik wunderlich genug begegnen. Ganze Reihen spezifisch englischer Vor¬
stellungen von heute spielen in die mit so künstlichem Aufwand historisch ge¬
färbte Erzählung hinein. Der ewige Jude, alias Prinz von Indien, muß
selbst die Anschauungen der englischen Teatotellers vertreten, er ruft, als er
Ael, dem Glaubensgenossen von Konstantinopel, das Theegetrünk einschenkt,
das diesem bisher unbekannt gewesen ist: "Willst du nicht auch sagen, daß es
besser als Wein ist? Die Welt wird eines Tages zu dieser Einsicht gelangen
und um so glücklicher sein!" Die Hauptanschauung bleibt doch die. daß der
geheimnisvolle Vorgang der Ausbreitung eines Glaubens an unerklärliche
Dinge jederzeit die unmittelbare Hilfe und Einwirkung Gottes voraussetzt.
"Es gab eine Zeit, sagt Ahasver, wo der Islam nur verächtliches Lachen
hervorrief, jetzt jedoch ist er der Glaube, der annehmbarerer scheint als irgendein
andrer." Im Munde des ewigen Juden, der andrerseits so stolz auf seine Ab¬
stammung vom Volke Gottes ist, daß ihm die edelsten Geschlechter von Kon¬
stantinopel wenig imponiren, mag sich das überlegen und staatsklug ausnehmen;
aber der Verlauf des Romans lehrt, daß es auch eine der Offenbarungen ist.
die uns Herr Lewis Wallace zuteil werden läßt. Es käme nicht viel darauf


Englische historische Romane

Bei allem Aufwand an glänzenden Äußerlichkeiten, an religiösen und historischen
Gesprächen, an weltgeschichtlichen Ideen, die darauf hinauslaufen, daß in jedem
thatsächlichen Ereignis der Weltgeschichte ein höheres Gesetz walte, daß alles
nach unmittelbarem göttlichen Ratschluß geschehe, ist der Roman doch von
einer fast erschreckenden innern Leere. Die Idee, daß der Fall des entarteten
christlichen Byzanz notwendig, bei den Türken der „Fortschritt" und die große
Zukunft sei, wird poetisch dadurch verkörpert, daß die wunderschöne und tief¬
innerliche griechische Prinzessin Irene ihrem um sie werbenden Vetter, dem
letzten Paläologenkaiser, ihre Hand versagt und sich ausdrücklich für den Harem
des Sultans Mahommed II. aufspart, was Vater Marion, der Seelenrat der
Prinzessin, mit den Worten feiert: „Ich denke, ich verstehe den Plan des
großen Schöpfers. Er gab dir, o Tochter, deine Schönheit der Person und
des Geistes und zog dich inmitten unsagbaren Leides groß, damit die Religion
Christi nicht gänzlich im Osten unterginge." Nun wird man vom Standpunkt
katholisch gläubiger wie modern historischer Anschauung aus wenig an der
verblendeten Hartnäckigkeit zu bewundern finden, mit der sich die Byzantiner
noch in ihrer Todesnot gegen die Union der lateinischen und der orien¬
talischen Kirche sträubten. Aber in ihrer Zertretung durch die Türken eine ver¬
diente Strafe Gottes, in der Nachsucht des ewigen Juden gegen den letzten
Palüologen ein besondres Werkzeug des Höchsten zu sehen, die Herrschaft der
türkischen Barbarei als die Verkörperung eines Fluches darzustellen, der Völker
und Stätten trifft, wo man die göttliche Offenbarung mißachtet hat, das ist
doch ein Stück englischer Phantasie, in dem sich der Cent hergebrachter, an¬
geblich religiöser Betrachtungsweise und die Überreizung moderner Geschichts¬
mystik wunderlich genug begegnen. Ganze Reihen spezifisch englischer Vor¬
stellungen von heute spielen in die mit so künstlichem Aufwand historisch ge¬
färbte Erzählung hinein. Der ewige Jude, alias Prinz von Indien, muß
selbst die Anschauungen der englischen Teatotellers vertreten, er ruft, als er
Ael, dem Glaubensgenossen von Konstantinopel, das Theegetrünk einschenkt,
das diesem bisher unbekannt gewesen ist: „Willst du nicht auch sagen, daß es
besser als Wein ist? Die Welt wird eines Tages zu dieser Einsicht gelangen
und um so glücklicher sein!" Die Hauptanschauung bleibt doch die. daß der
geheimnisvolle Vorgang der Ausbreitung eines Glaubens an unerklärliche
Dinge jederzeit die unmittelbare Hilfe und Einwirkung Gottes voraussetzt.
„Es gab eine Zeit, sagt Ahasver, wo der Islam nur verächtliches Lachen
hervorrief, jetzt jedoch ist er der Glaube, der annehmbarerer scheint als irgendein
andrer." Im Munde des ewigen Juden, der andrerseits so stolz auf seine Ab¬
stammung vom Volke Gottes ist, daß ihm die edelsten Geschlechter von Kon¬
stantinopel wenig imponiren, mag sich das überlegen und staatsklug ausnehmen;
aber der Verlauf des Romans lehrt, daß es auch eine der Offenbarungen ist.
die uns Herr Lewis Wallace zuteil werden läßt. Es käme nicht viel darauf


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[0197] Englische historische Romane Bei allem Aufwand an glänzenden Äußerlichkeiten, an religiösen und historischen Gesprächen, an weltgeschichtlichen Ideen, die darauf hinauslaufen, daß in jedem thatsächlichen Ereignis der Weltgeschichte ein höheres Gesetz walte, daß alles nach unmittelbarem göttlichen Ratschluß geschehe, ist der Roman doch von einer fast erschreckenden innern Leere. Die Idee, daß der Fall des entarteten christlichen Byzanz notwendig, bei den Türken der „Fortschritt" und die große Zukunft sei, wird poetisch dadurch verkörpert, daß die wunderschöne und tief¬ innerliche griechische Prinzessin Irene ihrem um sie werbenden Vetter, dem letzten Paläologenkaiser, ihre Hand versagt und sich ausdrücklich für den Harem des Sultans Mahommed II. aufspart, was Vater Marion, der Seelenrat der Prinzessin, mit den Worten feiert: „Ich denke, ich verstehe den Plan des großen Schöpfers. Er gab dir, o Tochter, deine Schönheit der Person und des Geistes und zog dich inmitten unsagbaren Leides groß, damit die Religion Christi nicht gänzlich im Osten unterginge." Nun wird man vom Standpunkt katholisch gläubiger wie modern historischer Anschauung aus wenig an der verblendeten Hartnäckigkeit zu bewundern finden, mit der sich die Byzantiner noch in ihrer Todesnot gegen die Union der lateinischen und der orien¬ talischen Kirche sträubten. Aber in ihrer Zertretung durch die Türken eine ver¬ diente Strafe Gottes, in der Nachsucht des ewigen Juden gegen den letzten Palüologen ein besondres Werkzeug des Höchsten zu sehen, die Herrschaft der türkischen Barbarei als die Verkörperung eines Fluches darzustellen, der Völker und Stätten trifft, wo man die göttliche Offenbarung mißachtet hat, das ist doch ein Stück englischer Phantasie, in dem sich der Cent hergebrachter, an¬ geblich religiöser Betrachtungsweise und die Überreizung moderner Geschichts¬ mystik wunderlich genug begegnen. Ganze Reihen spezifisch englischer Vor¬ stellungen von heute spielen in die mit so künstlichem Aufwand historisch ge¬ färbte Erzählung hinein. Der ewige Jude, alias Prinz von Indien, muß selbst die Anschauungen der englischen Teatotellers vertreten, er ruft, als er Ael, dem Glaubensgenossen von Konstantinopel, das Theegetrünk einschenkt, das diesem bisher unbekannt gewesen ist: „Willst du nicht auch sagen, daß es besser als Wein ist? Die Welt wird eines Tages zu dieser Einsicht gelangen und um so glücklicher sein!" Die Hauptanschauung bleibt doch die. daß der geheimnisvolle Vorgang der Ausbreitung eines Glaubens an unerklärliche Dinge jederzeit die unmittelbare Hilfe und Einwirkung Gottes voraussetzt. „Es gab eine Zeit, sagt Ahasver, wo der Islam nur verächtliches Lachen hervorrief, jetzt jedoch ist er der Glaube, der annehmbarerer scheint als irgendein andrer." Im Munde des ewigen Juden, der andrerseits so stolz auf seine Ab¬ stammung vom Volke Gottes ist, daß ihm die edelsten Geschlechter von Kon¬ stantinopel wenig imponiren, mag sich das überlegen und staatsklug ausnehmen; aber der Verlauf des Romans lehrt, daß es auch eine der Offenbarungen ist. die uns Herr Lewis Wallace zuteil werden läßt. Es käme nicht viel darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/197>, abgerufen am 01.09.2024.