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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

der strengen Miene des Schuldespotcn? Die Verteidiger der Prügelpädagvgik
sind freilich mit der Ausrede bei der Hand, die erhöhten Forderungen der
Volksschule forderten auch, wenn das Lehrziel erreicht werden solle,eine schärfere
Anspannung der Arbeitskraft der Schüler. Wäre dieser Einwand gerechtfertigt,
dann wäre eben eine Herabsetzung dieser Forderungen und dieses Lehrziels,
aber nicht eine Weiterführung solcher Treibhauserziehung die vernünftige Fol¬
gerung, Denn nur ein ausgedorrter Schulpedant kann diese eingeprügelte,
armselige Buchstabenweishcit über den natürlichen Frohsinn einer glücklichen
Kindheit setzen. Ist denn das Wissen etwas so hohes, daß es um solchen
Preis erkauft werden muß? Nicht die Gelehrsamkeit sämtlicher Fakultäten
mochte ich um den Preis meiner froh verlebten Jugend besitzen, geschweige
denn die kläglichen Kenntnisse, die in der Elementarschule verzapft werden.
Es ist aber auch gar nicht wahr, daß eiserne Strenge das Lernen fördere,
das gerade Gegenteil ist der Fall. Die Lernlust verlangt freudiges Interesse
am Gegenstände; was mau nicht gern lernt, wird auch uicht rasch und nicht
gut gelernt, nicht tief gefaßt und behalten. Frohe Lehrer, frohe Schüler. Das
muß der Wahlspruch einer guten Schule sein. Wie lähmend ist die Gegen¬
wart des Stocks für das Gedächtnis! Wie geradezu tödlich ist für die un¬
befangne Hingebung an den Lehrstoff die stete Sorge um das körperliche Heil!
Es ist, als ob mau von dem Verbrecher, der das Schafott bestiegen hat, die
Bewunderung der entzückenden Aussicht von Rabenstein verlangte. Es ist auch
uicht zu unterschätzen, daß die erteilte Züchtigung das Kind stundenlang von
der Teilnahme am Unterricht ausschließt, denn man muß dem geschlagner Kinde
doch wenigstens Zeit lassen, aufzuschluchzen.

Durch die Prügelstrafe wird aber auch das Urteil über den Stand der
Schule gefälscht. Nur wo sie verboten ist, ist ein Einblick in die Tüchtigkeit
des Schulleiters, eine Beurteilung seines pädagogischen Geschicks, seiner Unter¬
richtskunst möglich. Die Möglichkeit, einen gewissen Grad von Leistungen zu
erzwingen, giebt dem Inspektor der Schule nur ein Scheinbild ihres Zustands,
namentlich bei der herkömmlichen Oberflächlichkeit der Prüfungen, wo der
Examinator nur auf die Ergebnisse sieht, nicht auf die Art, wie sie erreicht
worden sind. Welch himmelweiter Unterschied ist zwischen Leistungen, die aus
freiem Antrieb und durch pädagogischen Takt genommen, und solchen, die
durch scharfe Zuchtmittel erpreßt wurden, wenn sie auch vielleicht äußerlich
gleich find! Die seelische Haltung der Kinder, ihre ganze Stimmung und
Verfassung siud Dinge, die bei einer Prüfung nicht beachtet werden, obwohl sie
von außerordentlichem Gewicht für die Unterrichtsergebnisse sind. Leider wirken
die Vorgesetzten meist nur im Interesse einer bloßen Kenntnissteigerung bei
den Schülern und tragen so eine große Mitschuld an den Ausschreitungen der
Lehrer. Das erklärt dann auch die große Nachsicht der Schulbehörden bei
solchen Ausschreitungen.


Die Prügelstrafe in der Volksschule

der strengen Miene des Schuldespotcn? Die Verteidiger der Prügelpädagvgik
sind freilich mit der Ausrede bei der Hand, die erhöhten Forderungen der
Volksschule forderten auch, wenn das Lehrziel erreicht werden solle,eine schärfere
Anspannung der Arbeitskraft der Schüler. Wäre dieser Einwand gerechtfertigt,
dann wäre eben eine Herabsetzung dieser Forderungen und dieses Lehrziels,
aber nicht eine Weiterführung solcher Treibhauserziehung die vernünftige Fol¬
gerung, Denn nur ein ausgedorrter Schulpedant kann diese eingeprügelte,
armselige Buchstabenweishcit über den natürlichen Frohsinn einer glücklichen
Kindheit setzen. Ist denn das Wissen etwas so hohes, daß es um solchen
Preis erkauft werden muß? Nicht die Gelehrsamkeit sämtlicher Fakultäten
mochte ich um den Preis meiner froh verlebten Jugend besitzen, geschweige
denn die kläglichen Kenntnisse, die in der Elementarschule verzapft werden.
Es ist aber auch gar nicht wahr, daß eiserne Strenge das Lernen fördere,
das gerade Gegenteil ist der Fall. Die Lernlust verlangt freudiges Interesse
am Gegenstände; was mau nicht gern lernt, wird auch uicht rasch und nicht
gut gelernt, nicht tief gefaßt und behalten. Frohe Lehrer, frohe Schüler. Das
muß der Wahlspruch einer guten Schule sein. Wie lähmend ist die Gegen¬
wart des Stocks für das Gedächtnis! Wie geradezu tödlich ist für die un¬
befangne Hingebung an den Lehrstoff die stete Sorge um das körperliche Heil!
Es ist, als ob mau von dem Verbrecher, der das Schafott bestiegen hat, die
Bewunderung der entzückenden Aussicht von Rabenstein verlangte. Es ist auch
uicht zu unterschätzen, daß die erteilte Züchtigung das Kind stundenlang von
der Teilnahme am Unterricht ausschließt, denn man muß dem geschlagner Kinde
doch wenigstens Zeit lassen, aufzuschluchzen.

Durch die Prügelstrafe wird aber auch das Urteil über den Stand der
Schule gefälscht. Nur wo sie verboten ist, ist ein Einblick in die Tüchtigkeit
des Schulleiters, eine Beurteilung seines pädagogischen Geschicks, seiner Unter¬
richtskunst möglich. Die Möglichkeit, einen gewissen Grad von Leistungen zu
erzwingen, giebt dem Inspektor der Schule nur ein Scheinbild ihres Zustands,
namentlich bei der herkömmlichen Oberflächlichkeit der Prüfungen, wo der
Examinator nur auf die Ergebnisse sieht, nicht auf die Art, wie sie erreicht
worden sind. Welch himmelweiter Unterschied ist zwischen Leistungen, die aus
freiem Antrieb und durch pädagogischen Takt genommen, und solchen, die
durch scharfe Zuchtmittel erpreßt wurden, wenn sie auch vielleicht äußerlich
gleich find! Die seelische Haltung der Kinder, ihre ganze Stimmung und
Verfassung siud Dinge, die bei einer Prüfung nicht beachtet werden, obwohl sie
von außerordentlichem Gewicht für die Unterrichtsergebnisse sind. Leider wirken
die Vorgesetzten meist nur im Interesse einer bloßen Kenntnissteigerung bei
den Schülern und tragen so eine große Mitschuld an den Ausschreitungen der
Lehrer. Das erklärt dann auch die große Nachsicht der Schulbehörden bei
solchen Ausschreitungen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/84>, abgerufen am 24.07.2024.