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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

Unterricht, sind elende Borwände, ein roher Prügler ist nie ein gewissen¬
hafter Lehrer.

Liebe schließt Strenge keineswegs aus, aber die Strenge muß durch die
sittliche Persönlichkeit hindurchgegangen sein und von ihr die Eigenschaften
der Weisheit, des Maßes und der Liebe empfangen haben. "Wenn du Spürst,
daß du nicht Liebe genug hast zum Strafen, denn laß es!" sagt Jean Paul.

Es sind elende Stümper, die bei jeder Regung kindlichen Übermuts gleich
nach der Rute greifen. Weckt Interesse beim Unterricht, Ehrfurcht vor eurer
Person, und sie werden von selbst folgen! Furcht wirkt ja doch nur soweit,
als der Stock sichtbar ist; kehrt der Lehrer den Rücken, so macht sich der ver-
haltne Groll um so unbändiger Luft. Daher haben die Stockhelden stets die
schlechteste Disziplin in der Schule, da sie die Augen doch nicht überall haben
können, und Kinder boshaft werden, wo sie hassen. Wo dagegen der Lehrer
das Herz der Schüler gewonnen hat, wirkt er auch in der Entfernung. Gut-
gelcitete Kinder gehen für ihren Lehrer durchs Feuer, es giebt vielleicht keine
Anhänglichkeit auf der Welt, die so rein, so treu und innig wäre, als die
eines gut gearteten Zöglings an einen guten Erzieher. Selbst den leiblichen
Vater kann der geistige Vater und Nährer leicht ausstechen.

Zu den bedenklichen Wirkungen der Körperstrafen kommen endlich noch
die sittlichen Schädigungen. Wie sanfte Führung des Kindes alle guten Keime
der Seele nährt: Mitleid, Güte, Fleiß, Aufrichtigkeit, Ordnung u. f. w., so
wuchert durch rohe Behandlung eine ganze Brut häßlicher Giftpflanzen auf:
Neid, Lüge, Schadenfreude, Heimtücke und was noch alles!

Es ist eine unumstößliche Erfahrung, daß Wahrhaftigkeit, diese oberste
Tugend, die der Erzieher vor allem wecken muß, schon um Einfluß zu ge¬
winnen, nur bei milder und schonender Zucht zu erreichen ist. Wie kann man
Aufrichtigkeit verlangen, wenn man den peinlichen Inquisitor mit der Rute in
der Hand macht? Namentlich, wenn das Kind etwas schlimmes begangen hat,
kann unsre Frage, die so leicht eine peinliche wird, nicht schonend und zart
genug sein. Aber auch Haß und Schadenfreude sind gewöhnlich Folgen roher
Züchtigung, Haß in dem gestraften Kinde gegen die Angeber und Spötter,
Schadenfreude in dem zuschauenden Kinde, besonders wenn sich dieses durch die
Stellung seiner Eltern und die Gunst des Lehrers gegen gleiche Behandlung
ziemlich gesichert weiß. Ebenso wird das Mitleid durch den beständigen
Anblick widerlicher Prügelszenen bald abgestumpft, und Roheit, Tierquälerei,
Grausamkeit wachsen im Kindergemüt auf. obwohl der Lehrer, der die Roheit
felbst übt, vorgiebt, damit der Verrohung der Jugend steuern zu wollen! Und
welche Angeberei, welche Gehässigkeit und Feindschaft erwacht und greift um
sich in solchen Zuchtstätten! Im Zusammenhang damit steht das Schwinden
der kindlichen Naivität. Immer mehr schwindet der Humor aus der Kinder¬
schule wie aus dem Leben überhaupt. Wie könnte er sich auch regen angesichts


Die Prügelstrafe in der Volksschule

Unterricht, sind elende Borwände, ein roher Prügler ist nie ein gewissen¬
hafter Lehrer.

Liebe schließt Strenge keineswegs aus, aber die Strenge muß durch die
sittliche Persönlichkeit hindurchgegangen sein und von ihr die Eigenschaften
der Weisheit, des Maßes und der Liebe empfangen haben. „Wenn du Spürst,
daß du nicht Liebe genug hast zum Strafen, denn laß es!" sagt Jean Paul.

Es sind elende Stümper, die bei jeder Regung kindlichen Übermuts gleich
nach der Rute greifen. Weckt Interesse beim Unterricht, Ehrfurcht vor eurer
Person, und sie werden von selbst folgen! Furcht wirkt ja doch nur soweit,
als der Stock sichtbar ist; kehrt der Lehrer den Rücken, so macht sich der ver-
haltne Groll um so unbändiger Luft. Daher haben die Stockhelden stets die
schlechteste Disziplin in der Schule, da sie die Augen doch nicht überall haben
können, und Kinder boshaft werden, wo sie hassen. Wo dagegen der Lehrer
das Herz der Schüler gewonnen hat, wirkt er auch in der Entfernung. Gut-
gelcitete Kinder gehen für ihren Lehrer durchs Feuer, es giebt vielleicht keine
Anhänglichkeit auf der Welt, die so rein, so treu und innig wäre, als die
eines gut gearteten Zöglings an einen guten Erzieher. Selbst den leiblichen
Vater kann der geistige Vater und Nährer leicht ausstechen.

Zu den bedenklichen Wirkungen der Körperstrafen kommen endlich noch
die sittlichen Schädigungen. Wie sanfte Führung des Kindes alle guten Keime
der Seele nährt: Mitleid, Güte, Fleiß, Aufrichtigkeit, Ordnung u. f. w., so
wuchert durch rohe Behandlung eine ganze Brut häßlicher Giftpflanzen auf:
Neid, Lüge, Schadenfreude, Heimtücke und was noch alles!

Es ist eine unumstößliche Erfahrung, daß Wahrhaftigkeit, diese oberste
Tugend, die der Erzieher vor allem wecken muß, schon um Einfluß zu ge¬
winnen, nur bei milder und schonender Zucht zu erreichen ist. Wie kann man
Aufrichtigkeit verlangen, wenn man den peinlichen Inquisitor mit der Rute in
der Hand macht? Namentlich, wenn das Kind etwas schlimmes begangen hat,
kann unsre Frage, die so leicht eine peinliche wird, nicht schonend und zart
genug sein. Aber auch Haß und Schadenfreude sind gewöhnlich Folgen roher
Züchtigung, Haß in dem gestraften Kinde gegen die Angeber und Spötter,
Schadenfreude in dem zuschauenden Kinde, besonders wenn sich dieses durch die
Stellung seiner Eltern und die Gunst des Lehrers gegen gleiche Behandlung
ziemlich gesichert weiß. Ebenso wird das Mitleid durch den beständigen
Anblick widerlicher Prügelszenen bald abgestumpft, und Roheit, Tierquälerei,
Grausamkeit wachsen im Kindergemüt auf. obwohl der Lehrer, der die Roheit
felbst übt, vorgiebt, damit der Verrohung der Jugend steuern zu wollen! Und
welche Angeberei, welche Gehässigkeit und Feindschaft erwacht und greift um
sich in solchen Zuchtstätten! Im Zusammenhang damit steht das Schwinden
der kindlichen Naivität. Immer mehr schwindet der Humor aus der Kinder¬
schule wie aus dem Leben überhaupt. Wie könnte er sich auch regen angesichts


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[0083] Die Prügelstrafe in der Volksschule Unterricht, sind elende Borwände, ein roher Prügler ist nie ein gewissen¬ hafter Lehrer. Liebe schließt Strenge keineswegs aus, aber die Strenge muß durch die sittliche Persönlichkeit hindurchgegangen sein und von ihr die Eigenschaften der Weisheit, des Maßes und der Liebe empfangen haben. „Wenn du Spürst, daß du nicht Liebe genug hast zum Strafen, denn laß es!" sagt Jean Paul. Es sind elende Stümper, die bei jeder Regung kindlichen Übermuts gleich nach der Rute greifen. Weckt Interesse beim Unterricht, Ehrfurcht vor eurer Person, und sie werden von selbst folgen! Furcht wirkt ja doch nur soweit, als der Stock sichtbar ist; kehrt der Lehrer den Rücken, so macht sich der ver- haltne Groll um so unbändiger Luft. Daher haben die Stockhelden stets die schlechteste Disziplin in der Schule, da sie die Augen doch nicht überall haben können, und Kinder boshaft werden, wo sie hassen. Wo dagegen der Lehrer das Herz der Schüler gewonnen hat, wirkt er auch in der Entfernung. Gut- gelcitete Kinder gehen für ihren Lehrer durchs Feuer, es giebt vielleicht keine Anhänglichkeit auf der Welt, die so rein, so treu und innig wäre, als die eines gut gearteten Zöglings an einen guten Erzieher. Selbst den leiblichen Vater kann der geistige Vater und Nährer leicht ausstechen. Zu den bedenklichen Wirkungen der Körperstrafen kommen endlich noch die sittlichen Schädigungen. Wie sanfte Führung des Kindes alle guten Keime der Seele nährt: Mitleid, Güte, Fleiß, Aufrichtigkeit, Ordnung u. f. w., so wuchert durch rohe Behandlung eine ganze Brut häßlicher Giftpflanzen auf: Neid, Lüge, Schadenfreude, Heimtücke und was noch alles! Es ist eine unumstößliche Erfahrung, daß Wahrhaftigkeit, diese oberste Tugend, die der Erzieher vor allem wecken muß, schon um Einfluß zu ge¬ winnen, nur bei milder und schonender Zucht zu erreichen ist. Wie kann man Aufrichtigkeit verlangen, wenn man den peinlichen Inquisitor mit der Rute in der Hand macht? Namentlich, wenn das Kind etwas schlimmes begangen hat, kann unsre Frage, die so leicht eine peinliche wird, nicht schonend und zart genug sein. Aber auch Haß und Schadenfreude sind gewöhnlich Folgen roher Züchtigung, Haß in dem gestraften Kinde gegen die Angeber und Spötter, Schadenfreude in dem zuschauenden Kinde, besonders wenn sich dieses durch die Stellung seiner Eltern und die Gunst des Lehrers gegen gleiche Behandlung ziemlich gesichert weiß. Ebenso wird das Mitleid durch den beständigen Anblick widerlicher Prügelszenen bald abgestumpft, und Roheit, Tierquälerei, Grausamkeit wachsen im Kindergemüt auf. obwohl der Lehrer, der die Roheit felbst übt, vorgiebt, damit der Verrohung der Jugend steuern zu wollen! Und welche Angeberei, welche Gehässigkeit und Feindschaft erwacht und greift um sich in solchen Zuchtstätten! Im Zusammenhang damit steht das Schwinden der kindlichen Naivität. Immer mehr schwindet der Humor aus der Kinder¬ schule wie aus dem Leben überhaupt. Wie könnte er sich auch regen angesichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/83>, abgerufen am 02.07.2024.