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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

Das bequeme Mittel des Stücks ist nur eine Verlockung zu pädagogischen
Schlendrian. Es wirkt auch in didaktischer Beziehung keineswegs hervorragend,
aber es täuscht über seine großen Nachteile, und der Scheinvvrteil, das er-
hastete, oberflächlich erschwindelte und eingepaukte Wissen, tritt so zu Tage,
daß es einem denkfaulen, nachlässigen Kopf eben als der passendste Erziehungs¬
hebel gelten kann. Die höhern, edlern und tiefer wirkenden Mittel erfordern
Kunst in der Anwendung, Lehrgabe, langjähriges, sorgsames Studium an der
Hand der Erfahrung und setzen überhaupt eine sittliche Persönlichkeit und herz¬
gewinnende Freundlichkeit im Erzieher voraus. Dazu sollte man aber in unsrer
Zeit endlich kommen, die sich soviel auf ihre pädagogischen Fortschritte ein¬
bildet und soviel Zeit und Mühe auf die Ausbildung auch der Elementar¬
lehrer verwendet. Als in der Mitte unsers Jahrhunderts der Stock aus den
Ghmnasien verschwand, als auch die Realschullehrer mit Stolz den Regierungen
melden konnten, daß sie von dem ihnen eingeräumten Zuchtmittel keinen Gebrauch
zu macheu mehr nötig Hütten, da begrüßte mau das allgemein als Triumph
der deutschen Erziehungskunst. Unsre Gymnasiallehrer würden entrüstet die
Zumutung zurückweisen, etwa zur Erweiterung ihrer Machtmittel wieder zu
dem verhaßten Stock zu greifen. Ist man doch hier sogar in der Arreststrafc
bis auf eine Stunde heruntergegangen, ohne daß sich schädliche Folgen gezeigt
Hütten. Warum halten die meisten Volksschullehrer, die doch die zarteste
Jugend, ein viel leichter zu regierendes Material in den Händen haben, an
ihrem "Recht" so fest? Sollte das nicht auf eine bedenkliche Unfähigkeit im
Regieren der Kinder hindeuten? Sonst so empfindlich für ihre Würde, so
eifrig bestrebt, es den höhern Lehrern gleichzuthun, fühlen sie ihr Ansehen durch
deu Charakter des Stvckknechts und Profvßen keineswegs beeinträchtigt. Ver¬
suche, die Prügelei in der Schule einzuschränken (wie z. V. der oberpfälzischen
Regierung im Jahre 1889), sind stets an dein Widerstände der Lehrer ge¬
scheitert !

Da kommt nun freilich der beliebte Einwand, die höhern Schulen könnten
ihre unbändigen Glieder abwerfen, und darin liege ein mächtiges Drohungs¬
mittel gegen Widerspenstigkeit. Aber wie oft machen sie denn Gebrauch davon?
Und gar aus Gründen der Disziplin? Das würde ein schöner Schulbestaud
werden, wenn jeder Lehrer die Macht hätte, die Schüler, die ihm Schwierig¬
keiten bereiten, einfach aus der Klasse zu entfernen. Die Lehrer der höhern
Schulen sind eben genötigt, sich durch feinere Mittel in Autorität zu halten.
Man könnte ja für besonders widerhaarige und verlotterte Jungen eine Sonder¬
klasse (wie bei den Fortbildungsschulen) errichten; die Gefahr, in diese versetzt
zu werden, würde denselben heilsamen Einfluß üben wie das oonsilimn, a.deo.mal
an den Gymnasien.

Kurz: alle Einwände sind, wie Kant sagt, Ausreden der faulen Vernunft;
nicht der begabte, gewissenhafte, sondern nur der träge, gewaltthätige Er-


Die Prügelstrafe in der Volksschule

Das bequeme Mittel des Stücks ist nur eine Verlockung zu pädagogischen
Schlendrian. Es wirkt auch in didaktischer Beziehung keineswegs hervorragend,
aber es täuscht über seine großen Nachteile, und der Scheinvvrteil, das er-
hastete, oberflächlich erschwindelte und eingepaukte Wissen, tritt so zu Tage,
daß es einem denkfaulen, nachlässigen Kopf eben als der passendste Erziehungs¬
hebel gelten kann. Die höhern, edlern und tiefer wirkenden Mittel erfordern
Kunst in der Anwendung, Lehrgabe, langjähriges, sorgsames Studium an der
Hand der Erfahrung und setzen überhaupt eine sittliche Persönlichkeit und herz¬
gewinnende Freundlichkeit im Erzieher voraus. Dazu sollte man aber in unsrer
Zeit endlich kommen, die sich soviel auf ihre pädagogischen Fortschritte ein¬
bildet und soviel Zeit und Mühe auf die Ausbildung auch der Elementar¬
lehrer verwendet. Als in der Mitte unsers Jahrhunderts der Stock aus den
Ghmnasien verschwand, als auch die Realschullehrer mit Stolz den Regierungen
melden konnten, daß sie von dem ihnen eingeräumten Zuchtmittel keinen Gebrauch
zu macheu mehr nötig Hütten, da begrüßte mau das allgemein als Triumph
der deutschen Erziehungskunst. Unsre Gymnasiallehrer würden entrüstet die
Zumutung zurückweisen, etwa zur Erweiterung ihrer Machtmittel wieder zu
dem verhaßten Stock zu greifen. Ist man doch hier sogar in der Arreststrafc
bis auf eine Stunde heruntergegangen, ohne daß sich schädliche Folgen gezeigt
Hütten. Warum halten die meisten Volksschullehrer, die doch die zarteste
Jugend, ein viel leichter zu regierendes Material in den Händen haben, an
ihrem „Recht" so fest? Sollte das nicht auf eine bedenkliche Unfähigkeit im
Regieren der Kinder hindeuten? Sonst so empfindlich für ihre Würde, so
eifrig bestrebt, es den höhern Lehrern gleichzuthun, fühlen sie ihr Ansehen durch
deu Charakter des Stvckknechts und Profvßen keineswegs beeinträchtigt. Ver¬
suche, die Prügelei in der Schule einzuschränken (wie z. V. der oberpfälzischen
Regierung im Jahre 1889), sind stets an dein Widerstände der Lehrer ge¬
scheitert !

Da kommt nun freilich der beliebte Einwand, die höhern Schulen könnten
ihre unbändigen Glieder abwerfen, und darin liege ein mächtiges Drohungs¬
mittel gegen Widerspenstigkeit. Aber wie oft machen sie denn Gebrauch davon?
Und gar aus Gründen der Disziplin? Das würde ein schöner Schulbestaud
werden, wenn jeder Lehrer die Macht hätte, die Schüler, die ihm Schwierig¬
keiten bereiten, einfach aus der Klasse zu entfernen. Die Lehrer der höhern
Schulen sind eben genötigt, sich durch feinere Mittel in Autorität zu halten.
Man könnte ja für besonders widerhaarige und verlotterte Jungen eine Sonder¬
klasse (wie bei den Fortbildungsschulen) errichten; die Gefahr, in diese versetzt
zu werden, würde denselben heilsamen Einfluß üben wie das oonsilimn, a.deo.mal
an den Gymnasien.

Kurz: alle Einwände sind, wie Kant sagt, Ausreden der faulen Vernunft;
nicht der begabte, gewissenhafte, sondern nur der träge, gewaltthätige Er-


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[0085] Die Prügelstrafe in der Volksschule Das bequeme Mittel des Stücks ist nur eine Verlockung zu pädagogischen Schlendrian. Es wirkt auch in didaktischer Beziehung keineswegs hervorragend, aber es täuscht über seine großen Nachteile, und der Scheinvvrteil, das er- hastete, oberflächlich erschwindelte und eingepaukte Wissen, tritt so zu Tage, daß es einem denkfaulen, nachlässigen Kopf eben als der passendste Erziehungs¬ hebel gelten kann. Die höhern, edlern und tiefer wirkenden Mittel erfordern Kunst in der Anwendung, Lehrgabe, langjähriges, sorgsames Studium an der Hand der Erfahrung und setzen überhaupt eine sittliche Persönlichkeit und herz¬ gewinnende Freundlichkeit im Erzieher voraus. Dazu sollte man aber in unsrer Zeit endlich kommen, die sich soviel auf ihre pädagogischen Fortschritte ein¬ bildet und soviel Zeit und Mühe auf die Ausbildung auch der Elementar¬ lehrer verwendet. Als in der Mitte unsers Jahrhunderts der Stock aus den Ghmnasien verschwand, als auch die Realschullehrer mit Stolz den Regierungen melden konnten, daß sie von dem ihnen eingeräumten Zuchtmittel keinen Gebrauch zu macheu mehr nötig Hütten, da begrüßte mau das allgemein als Triumph der deutschen Erziehungskunst. Unsre Gymnasiallehrer würden entrüstet die Zumutung zurückweisen, etwa zur Erweiterung ihrer Machtmittel wieder zu dem verhaßten Stock zu greifen. Ist man doch hier sogar in der Arreststrafc bis auf eine Stunde heruntergegangen, ohne daß sich schädliche Folgen gezeigt Hütten. Warum halten die meisten Volksschullehrer, die doch die zarteste Jugend, ein viel leichter zu regierendes Material in den Händen haben, an ihrem „Recht" so fest? Sollte das nicht auf eine bedenkliche Unfähigkeit im Regieren der Kinder hindeuten? Sonst so empfindlich für ihre Würde, so eifrig bestrebt, es den höhern Lehrern gleichzuthun, fühlen sie ihr Ansehen durch deu Charakter des Stvckknechts und Profvßen keineswegs beeinträchtigt. Ver¬ suche, die Prügelei in der Schule einzuschränken (wie z. V. der oberpfälzischen Regierung im Jahre 1889), sind stets an dein Widerstände der Lehrer ge¬ scheitert ! Da kommt nun freilich der beliebte Einwand, die höhern Schulen könnten ihre unbändigen Glieder abwerfen, und darin liege ein mächtiges Drohungs¬ mittel gegen Widerspenstigkeit. Aber wie oft machen sie denn Gebrauch davon? Und gar aus Gründen der Disziplin? Das würde ein schöner Schulbestaud werden, wenn jeder Lehrer die Macht hätte, die Schüler, die ihm Schwierig¬ keiten bereiten, einfach aus der Klasse zu entfernen. Die Lehrer der höhern Schulen sind eben genötigt, sich durch feinere Mittel in Autorität zu halten. Man könnte ja für besonders widerhaarige und verlotterte Jungen eine Sonder¬ klasse (wie bei den Fortbildungsschulen) errichten; die Gefahr, in diese versetzt zu werden, würde denselben heilsamen Einfluß üben wie das oonsilimn, a.deo.mal an den Gymnasien. Kurz: alle Einwände sind, wie Kant sagt, Ausreden der faulen Vernunft; nicht der begabte, gewissenhafte, sondern nur der träge, gewaltthätige Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/85>, abgerufen am 21.06.2024.