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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Gestaltung unsers Parteiwesens

können sich über eine gemeinnützige Ausgabe einigen, Hochbesteuerte und
Niedrigbesteuerte aber nie. Über die Sonntagsruhe werden Prinzipale und
Angestellte nie derselben Meinung sein, sie werden sich, wenn man sie so ge¬
trennt verhandeln läßt, nur gegenseitig erbittern. Die Besoldungsfrage der
Lehrer wird stets zwischen diesen und den Gemeindevertretern die härtesten
Kämpfe hervorrufen. Immer wird der eine darüber wütend werden, daß der
andre ihn in seinem Vermögensstand beeinträchtigen will, und das verzeiht
mau nie, wie allenfalls abweichende politische Überzeugungen. Die können sich
ja auch mit der Zeit ändern, der Stand aber bleibt immer derselbe und trennt
also immer, wenn man ihn zum maßgebenden Parteigrund macht. Die Kluft
wird immer weiter aufgerissen, der Parteienhaß ins tägliche Leben hinein¬
getragen.

Der Sinn für das Ganze muß aber dabei schwinden. Wird einem um
seinen Horizont eine deutliche hohe Mauer gezogen, dann kann er nicht darüber
hinwegsehen und erkennen, ob das Glück, das drinnen herrscht, auch draußen
zu finden ist. Alles wird aus der einen Rücksicht abgeurteilt -- damit läßt
sich die Sorge für das Gemeinwohl nicht verbinden. Wenn man auch bei
Verhandlungen über auswärtige Politik oder sittliche Fragen nur Gro߬
industrieller, nur Kleinbauer ist, daun kann man nicht in demselben Augenblick
auch Staatsmann und Vaterlandsfreund sein. Will man das aber, so sieht
man eben über jene Mauer hinweg und kann die nächstliegenden Standes¬
interessen nicht genug beachten, weil sie zu klein erscheinen, und für die ist
man doch gewühlt! Noch mehr gilt das natürlich von dem einzelnen Wähler;
ihm wird gesagt, er solle und müsse sich uur um seinen eignen Vorteil be¬
kümmern, und das thut der "gemeine Mann" nicht mehr als gern; dann
denkt er aber auch ganz gewiß nicht ans deutsche Reich. Wie soll einer
normalsichtig bleiben, wenn er zeitlebens in einer kleinen Stube eingesperrt
sitzt, mit dem Blick höchstens bis zur Gartenmauer?

Und noch eins möchte ich gern bemerken: nämlich daß ein Degen scharf
bleibt, wenn er auch in eine noch so feste Scheide eingezwängt wird. Man
kann sich in einem Menschen leicht versehen. Wenn man ihn für noch so gut
auf sein Standesprogramm eingeschworen hält, der Mann ist doch am Ende
imstande und hat in einer Falte seines Herzens von früher her etwas konser¬
vative oder liberale Gesinnung sitzen, und wenn ihm bei einer Verhandlung
das Herz recht "umgekrempelt" wird, kommt die mit einemmale zum Vorschein,
bekommt Gewalt über ihn und reißt ihn dann vielleicht gerade ganz gegen
das Interesse seiner Staudespartei fort. So kommt es denn nur auf das
richtige Umkrempeln an, und da giebts am Ende in einer Gegenpartei immer
boshafte Leute, die das verstehen. Und wozu hat man dann den Mann ge¬
wählt? Wollen wir aber, mit übernatürlichen Fähigkeiten begabt, vor der
Wahl alle unsre Kandidaten daraufhin genau untersuchen und alle beiseite


Zur Gestaltung unsers Parteiwesens

können sich über eine gemeinnützige Ausgabe einigen, Hochbesteuerte und
Niedrigbesteuerte aber nie. Über die Sonntagsruhe werden Prinzipale und
Angestellte nie derselben Meinung sein, sie werden sich, wenn man sie so ge¬
trennt verhandeln läßt, nur gegenseitig erbittern. Die Besoldungsfrage der
Lehrer wird stets zwischen diesen und den Gemeindevertretern die härtesten
Kämpfe hervorrufen. Immer wird der eine darüber wütend werden, daß der
andre ihn in seinem Vermögensstand beeinträchtigen will, und das verzeiht
mau nie, wie allenfalls abweichende politische Überzeugungen. Die können sich
ja auch mit der Zeit ändern, der Stand aber bleibt immer derselbe und trennt
also immer, wenn man ihn zum maßgebenden Parteigrund macht. Die Kluft
wird immer weiter aufgerissen, der Parteienhaß ins tägliche Leben hinein¬
getragen.

Der Sinn für das Ganze muß aber dabei schwinden. Wird einem um
seinen Horizont eine deutliche hohe Mauer gezogen, dann kann er nicht darüber
hinwegsehen und erkennen, ob das Glück, das drinnen herrscht, auch draußen
zu finden ist. Alles wird aus der einen Rücksicht abgeurteilt — damit läßt
sich die Sorge für das Gemeinwohl nicht verbinden. Wenn man auch bei
Verhandlungen über auswärtige Politik oder sittliche Fragen nur Gro߬
industrieller, nur Kleinbauer ist, daun kann man nicht in demselben Augenblick
auch Staatsmann und Vaterlandsfreund sein. Will man das aber, so sieht
man eben über jene Mauer hinweg und kann die nächstliegenden Standes¬
interessen nicht genug beachten, weil sie zu klein erscheinen, und für die ist
man doch gewühlt! Noch mehr gilt das natürlich von dem einzelnen Wähler;
ihm wird gesagt, er solle und müsse sich uur um seinen eignen Vorteil be¬
kümmern, und das thut der „gemeine Mann" nicht mehr als gern; dann
denkt er aber auch ganz gewiß nicht ans deutsche Reich. Wie soll einer
normalsichtig bleiben, wenn er zeitlebens in einer kleinen Stube eingesperrt
sitzt, mit dem Blick höchstens bis zur Gartenmauer?

Und noch eins möchte ich gern bemerken: nämlich daß ein Degen scharf
bleibt, wenn er auch in eine noch so feste Scheide eingezwängt wird. Man
kann sich in einem Menschen leicht versehen. Wenn man ihn für noch so gut
auf sein Standesprogramm eingeschworen hält, der Mann ist doch am Ende
imstande und hat in einer Falte seines Herzens von früher her etwas konser¬
vative oder liberale Gesinnung sitzen, und wenn ihm bei einer Verhandlung
das Herz recht „umgekrempelt" wird, kommt die mit einemmale zum Vorschein,
bekommt Gewalt über ihn und reißt ihn dann vielleicht gerade ganz gegen
das Interesse seiner Staudespartei fort. So kommt es denn nur auf das
richtige Umkrempeln an, und da giebts am Ende in einer Gegenpartei immer
boshafte Leute, die das verstehen. Und wozu hat man dann den Mann ge¬
wählt? Wollen wir aber, mit übernatürlichen Fähigkeiten begabt, vor der
Wahl alle unsre Kandidaten daraufhin genau untersuchen und alle beiseite


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[0071] Zur Gestaltung unsers Parteiwesens können sich über eine gemeinnützige Ausgabe einigen, Hochbesteuerte und Niedrigbesteuerte aber nie. Über die Sonntagsruhe werden Prinzipale und Angestellte nie derselben Meinung sein, sie werden sich, wenn man sie so ge¬ trennt verhandeln läßt, nur gegenseitig erbittern. Die Besoldungsfrage der Lehrer wird stets zwischen diesen und den Gemeindevertretern die härtesten Kämpfe hervorrufen. Immer wird der eine darüber wütend werden, daß der andre ihn in seinem Vermögensstand beeinträchtigen will, und das verzeiht mau nie, wie allenfalls abweichende politische Überzeugungen. Die können sich ja auch mit der Zeit ändern, der Stand aber bleibt immer derselbe und trennt also immer, wenn man ihn zum maßgebenden Parteigrund macht. Die Kluft wird immer weiter aufgerissen, der Parteienhaß ins tägliche Leben hinein¬ getragen. Der Sinn für das Ganze muß aber dabei schwinden. Wird einem um seinen Horizont eine deutliche hohe Mauer gezogen, dann kann er nicht darüber hinwegsehen und erkennen, ob das Glück, das drinnen herrscht, auch draußen zu finden ist. Alles wird aus der einen Rücksicht abgeurteilt — damit läßt sich die Sorge für das Gemeinwohl nicht verbinden. Wenn man auch bei Verhandlungen über auswärtige Politik oder sittliche Fragen nur Gro߬ industrieller, nur Kleinbauer ist, daun kann man nicht in demselben Augenblick auch Staatsmann und Vaterlandsfreund sein. Will man das aber, so sieht man eben über jene Mauer hinweg und kann die nächstliegenden Standes¬ interessen nicht genug beachten, weil sie zu klein erscheinen, und für die ist man doch gewühlt! Noch mehr gilt das natürlich von dem einzelnen Wähler; ihm wird gesagt, er solle und müsse sich uur um seinen eignen Vorteil be¬ kümmern, und das thut der „gemeine Mann" nicht mehr als gern; dann denkt er aber auch ganz gewiß nicht ans deutsche Reich. Wie soll einer normalsichtig bleiben, wenn er zeitlebens in einer kleinen Stube eingesperrt sitzt, mit dem Blick höchstens bis zur Gartenmauer? Und noch eins möchte ich gern bemerken: nämlich daß ein Degen scharf bleibt, wenn er auch in eine noch so feste Scheide eingezwängt wird. Man kann sich in einem Menschen leicht versehen. Wenn man ihn für noch so gut auf sein Standesprogramm eingeschworen hält, der Mann ist doch am Ende imstande und hat in einer Falte seines Herzens von früher her etwas konser¬ vative oder liberale Gesinnung sitzen, und wenn ihm bei einer Verhandlung das Herz recht „umgekrempelt" wird, kommt die mit einemmale zum Vorschein, bekommt Gewalt über ihn und reißt ihn dann vielleicht gerade ganz gegen das Interesse seiner Staudespartei fort. So kommt es denn nur auf das richtige Umkrempeln an, und da giebts am Ende in einer Gegenpartei immer boshafte Leute, die das verstehen. Und wozu hat man dann den Mann ge¬ wählt? Wollen wir aber, mit übernatürlichen Fähigkeiten begabt, vor der Wahl alle unsre Kandidaten daraufhin genau untersuchen und alle beiseite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/71>, abgerufen am 01.07.2024.