Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Zur Gestaltung unsers Parteiwesens politisch denken, nach seinen Gedanken in anständiger Weise reden und ver¬ Was aber nun und nimmer zum Guten ausschlagen kann, das sind wirt¬ Der Unfriede ist eben in der Brotfrage immer am größten -7 wer hat Zur Gestaltung unsers Parteiwesens politisch denken, nach seinen Gedanken in anständiger Weise reden und ver¬ Was aber nun und nimmer zum Guten ausschlagen kann, das sind wirt¬ Der Unfriede ist eben in der Brotfrage immer am größten -7 wer hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221046"/> <fw type="header" place="top"> Zur Gestaltung unsers Parteiwesens</fw><lb/> <p xml:id="ID_173" prev="#ID_172"> politisch denken, nach seinen Gedanken in anständiger Weise reden und ver¬<lb/> nünftig handeln, das soll nicht nur jeder dürfen, sondern das ist auch seine<lb/> Pflicht; sonst hat er eben sein Vaterland nicht recht lieb. Damit wird nichts<lb/> geschündet, sondern Gutes vollbracht."</p><lb/> <p xml:id="ID_174"> Was aber nun und nimmer zum Guten ausschlagen kann, das sind wirt¬<lb/> schaftliche oder ständische Parteien. Denn da wird die Scheidung gerade an<lb/> den Punkt gelegt, wo „die Gemütlichkeit aufhört." Bisher sagte man: „Bringt<lb/> euer materielles Interesse zum Opfer für das Beste des Ganzen!" und wenn<lb/> dies Ganze auch nur Partei hieß, es brachte doch einen Blick ins Weite, es<lb/> arbeitete doch die einzelnen Bestandteile in eins zusammen, es wirkte dem<lb/> Egoismus entgegen, der keinen Staat erhalten, nur verderben kann. Jetzt<lb/> aber soll es heißen: „Sorgt vor allem dafür, daß ihr gut zu leben habt, daß<lb/> sich eure Arbeit lohnt, daß eure Kunden gut bezahlen müssen!" Ja freilich,<lb/> die Parole, die versteht jeder, die braucht man ihm nicht in langen Wahlreden<lb/> zu erklären! Und die Regierung weiß dann immer ganz genau, mit was für<lb/> einem Landtag oder Reichstag sie es zu thun bekommt; denn nach dem<lb/> statistischen Handbuch kommen ja so und so viel Prozent der Bevölkerung auf<lb/> die Landwirtschaft, so und so viel auf das Handwerk, die Industrie, den Handel,<lb/> den Veamtenstand, den königlichen, den städtischen und den privaten, auf die<lb/> Geistlichen, die Gelehrten, die Rentiers. Das verschiebt sich im Laufe der<lb/> Jahre nur wenig und bietet eine vorzügliche Grundlage für eine „stabile<lb/> Politik." Sachverständige wird man bei jedem Etatsposten und jedem Gesetz<lb/> stets zur Hand haben, außer etwa bei der Zivilliste. Auch die Diätenfrage<lb/> erledigt sich leicht; denn von der Körperschaft, die er zu vertreten hat, kann<lb/> sich ein Abgeordneter schon seine Kosten bezahlen lassen — er bringt es ihr<lb/> ja wieder ein. So viel Vorteile, die lassen es ja leicht übersehen, daß der<lb/> Unfriede größer wird als je, und daß niemand mehr an das Wohl des Ganzen<lb/> denkt, sondern nur an den Geldbeutel der Seinigen. Ob der Staat dann dem<lb/> einzelnen mehr oder weniger Freiheit läßt, ob die Verfassung genau befolgt<lb/> wird, und andre solche Kleinigkeiten, auf die kommts nicht an, wenn nur jeder<lb/> sein Huhn im Topfe hat. Aber eins kann ich mir dabei doch gar nicht recht<lb/> klar beantworten: die Mehrheit im Staate hat doch kein einzelner Stand;<lb/> jedem einzelnen stehen aber die andern Stände alle zusammen als Zahler<lb/> gegenüber. Wenn nun dem einen etwas zugewendet werden soll, werden da<lb/> nicht die andern alle sagen: „Nein, die dürfen nicht auf unsre Kosten bevorzugt<lb/> werden!" Und wenn der eine auch wirklich „Not leidet," werden es dann nicht<lb/> die andern bestreikn? Jeder sorgt doch nur für seinen Stand, und soll er<lb/> Hekuba aus seiner Tasche unterhalten? Wo sollen da die Mehrheiten für die<lb/> Förderung der einzelnen Stände herkommen?</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> Der Unfriede ist eben in der Brotfrage immer am größten -7 wer hat<lb/> das nicht schon in seiner nächsten Umgebung gesehen? Konservative und Liberale</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
Zur Gestaltung unsers Parteiwesens
politisch denken, nach seinen Gedanken in anständiger Weise reden und ver¬
nünftig handeln, das soll nicht nur jeder dürfen, sondern das ist auch seine
Pflicht; sonst hat er eben sein Vaterland nicht recht lieb. Damit wird nichts
geschündet, sondern Gutes vollbracht."
Was aber nun und nimmer zum Guten ausschlagen kann, das sind wirt¬
schaftliche oder ständische Parteien. Denn da wird die Scheidung gerade an
den Punkt gelegt, wo „die Gemütlichkeit aufhört." Bisher sagte man: „Bringt
euer materielles Interesse zum Opfer für das Beste des Ganzen!" und wenn
dies Ganze auch nur Partei hieß, es brachte doch einen Blick ins Weite, es
arbeitete doch die einzelnen Bestandteile in eins zusammen, es wirkte dem
Egoismus entgegen, der keinen Staat erhalten, nur verderben kann. Jetzt
aber soll es heißen: „Sorgt vor allem dafür, daß ihr gut zu leben habt, daß
sich eure Arbeit lohnt, daß eure Kunden gut bezahlen müssen!" Ja freilich,
die Parole, die versteht jeder, die braucht man ihm nicht in langen Wahlreden
zu erklären! Und die Regierung weiß dann immer ganz genau, mit was für
einem Landtag oder Reichstag sie es zu thun bekommt; denn nach dem
statistischen Handbuch kommen ja so und so viel Prozent der Bevölkerung auf
die Landwirtschaft, so und so viel auf das Handwerk, die Industrie, den Handel,
den Veamtenstand, den königlichen, den städtischen und den privaten, auf die
Geistlichen, die Gelehrten, die Rentiers. Das verschiebt sich im Laufe der
Jahre nur wenig und bietet eine vorzügliche Grundlage für eine „stabile
Politik." Sachverständige wird man bei jedem Etatsposten und jedem Gesetz
stets zur Hand haben, außer etwa bei der Zivilliste. Auch die Diätenfrage
erledigt sich leicht; denn von der Körperschaft, die er zu vertreten hat, kann
sich ein Abgeordneter schon seine Kosten bezahlen lassen — er bringt es ihr
ja wieder ein. So viel Vorteile, die lassen es ja leicht übersehen, daß der
Unfriede größer wird als je, und daß niemand mehr an das Wohl des Ganzen
denkt, sondern nur an den Geldbeutel der Seinigen. Ob der Staat dann dem
einzelnen mehr oder weniger Freiheit läßt, ob die Verfassung genau befolgt
wird, und andre solche Kleinigkeiten, auf die kommts nicht an, wenn nur jeder
sein Huhn im Topfe hat. Aber eins kann ich mir dabei doch gar nicht recht
klar beantworten: die Mehrheit im Staate hat doch kein einzelner Stand;
jedem einzelnen stehen aber die andern Stände alle zusammen als Zahler
gegenüber. Wenn nun dem einen etwas zugewendet werden soll, werden da
nicht die andern alle sagen: „Nein, die dürfen nicht auf unsre Kosten bevorzugt
werden!" Und wenn der eine auch wirklich „Not leidet," werden es dann nicht
die andern bestreikn? Jeder sorgt doch nur für seinen Stand, und soll er
Hekuba aus seiner Tasche unterhalten? Wo sollen da die Mehrheiten für die
Förderung der einzelnen Stände herkommen?
Der Unfriede ist eben in der Brotfrage immer am größten -7 wer hat
das nicht schon in seiner nächsten Umgebung gesehen? Konservative und Liberale
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