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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Gestaltung unsers Parteiwesens

werfen, die noch etwas verabscheuenswerte politische Überzeugung an sich haben,
dann fürchte ich, wird der Haufe des faulen Obstes sehr groß werden, und
was mau als rein befindet, das werden nicht gerade die schmackhaftesten Früchte
sein. Haben muß man aber doch einen Standesvertrcter. Ja ja, Wahl macht
Qual! '

So bliebe denn der Weisheit letzter Schluß, wird mich wieder einer
fragen, ders nicht gut mit mir meint, daß alles so am besten sei, mie es ist,
und nur so fortzubestehen brauche? Eine bequeme Weisheit! Aber wo habe
ich denn das gesagt? Das heißt untergelegt, nicht ausgelegt! Berechtigt, sage
ich, ist jener alte politische Gegensatz, berechtigt seine Verfechtung, da die
Staatsentwicklung weder stehen bleiben oder zurückgehen, noch zu rasch oder
zu weit vorschreiten darf; die allzu eifrige Verfechtung, die für Gründe Be¬
leidigungen gebraucht, muß aber entschieden in ihre Grenzen zurückgewiesen
werden, auch wenn ihr noch so ehrliche Gesinnung zu Grunde liegen sollte!
Denn wenn sich auch die homerischen Helden bekanntlich vor dem Kampf mit
allerlei unliebenswürdigen Worten angriffen, so ist es doch nicht gerade das,
wodurch sie bewundernswürdig geworden sind. Und so muß auch der Rüpel¬
haftigkeit eines Teils unsrer Presse ein Ende gemacht werden; und wenn sie
nicht ihr eignes Taktgefühl Anstand lehrt, dann muß es die allgemeine Ver¬
achtung und der Staatsanwalt thun. Und, wie gesagt, wo Verleumdungen
und Spitzbübereien ins Spiel kommen, da hört erst recht jede Entschuldbarkeit
auf; dafür wird jeder anständige Mensch, auch wenn es auf seiner eignen
Partei begangen wird, nur ein Pfui haben. Aber der Gegensatz an sich und
seine anständige Verfechtung muß bleiben und wird bleiben. Auch der Gegen¬
partei muß man sie zugestehen, mag das "Was du nicht willst, das man dir
thu" der menschlichen Natur auch noch so hart ankommen!

Aber die wirtschaftlichen Fragen, sind die ganz Nebensache? Soll man
nnr aufs Ganze und gar nicht aufs Eigne sehen? Nun, ich denke, das letztere
geschieht auch schon ohne Ermahnung, und natürlich muß es geschehen. Aber
erstens haben diese Fragen auch ihre konservative und ihre liberale Seite,
und es ist durchaus förderlich, sie auch von denen ans zu beurteilen. Dann
aber werden verständige Konservative und verständige Liberale doch auch wohl
verständige Menschen sein, und hoffentlich giebts doch in Deutschland noch
dreihundertsiebenundneuuzig verständige Menschen. Sie werden also prüfen,
ehe sie urteilen, und man kann ihnen wohl zutrauen, daß sie sich nach genauer
Durchforschung der Sache einigermaßen ein Urteil bilden können, auch wenn
sie nicht "Sachverständige" sind. Guter Wille thut viel, und die wirklichen
"Sachverständigen" sollen bisweilen, meint man, etwas voreingenommen sein.
Natürlich ist es gut, wenn aus möglichst vielen Ständen Sachkenner unter
deu Gesetzgebern sind, und man nicht nur auf "Enqueten" angewiesen ist, aber
sie sollen nicht als Sachverständige für ein bestimmtes Fach gewählt sein,


Zur Gestaltung unsers Parteiwesens

werfen, die noch etwas verabscheuenswerte politische Überzeugung an sich haben,
dann fürchte ich, wird der Haufe des faulen Obstes sehr groß werden, und
was mau als rein befindet, das werden nicht gerade die schmackhaftesten Früchte
sein. Haben muß man aber doch einen Standesvertrcter. Ja ja, Wahl macht
Qual! '

So bliebe denn der Weisheit letzter Schluß, wird mich wieder einer
fragen, ders nicht gut mit mir meint, daß alles so am besten sei, mie es ist,
und nur so fortzubestehen brauche? Eine bequeme Weisheit! Aber wo habe
ich denn das gesagt? Das heißt untergelegt, nicht ausgelegt! Berechtigt, sage
ich, ist jener alte politische Gegensatz, berechtigt seine Verfechtung, da die
Staatsentwicklung weder stehen bleiben oder zurückgehen, noch zu rasch oder
zu weit vorschreiten darf; die allzu eifrige Verfechtung, die für Gründe Be¬
leidigungen gebraucht, muß aber entschieden in ihre Grenzen zurückgewiesen
werden, auch wenn ihr noch so ehrliche Gesinnung zu Grunde liegen sollte!
Denn wenn sich auch die homerischen Helden bekanntlich vor dem Kampf mit
allerlei unliebenswürdigen Worten angriffen, so ist es doch nicht gerade das,
wodurch sie bewundernswürdig geworden sind. Und so muß auch der Rüpel¬
haftigkeit eines Teils unsrer Presse ein Ende gemacht werden; und wenn sie
nicht ihr eignes Taktgefühl Anstand lehrt, dann muß es die allgemeine Ver¬
achtung und der Staatsanwalt thun. Und, wie gesagt, wo Verleumdungen
und Spitzbübereien ins Spiel kommen, da hört erst recht jede Entschuldbarkeit
auf; dafür wird jeder anständige Mensch, auch wenn es auf seiner eignen
Partei begangen wird, nur ein Pfui haben. Aber der Gegensatz an sich und
seine anständige Verfechtung muß bleiben und wird bleiben. Auch der Gegen¬
partei muß man sie zugestehen, mag das „Was du nicht willst, das man dir
thu" der menschlichen Natur auch noch so hart ankommen!

Aber die wirtschaftlichen Fragen, sind die ganz Nebensache? Soll man
nnr aufs Ganze und gar nicht aufs Eigne sehen? Nun, ich denke, das letztere
geschieht auch schon ohne Ermahnung, und natürlich muß es geschehen. Aber
erstens haben diese Fragen auch ihre konservative und ihre liberale Seite,
und es ist durchaus förderlich, sie auch von denen ans zu beurteilen. Dann
aber werden verständige Konservative und verständige Liberale doch auch wohl
verständige Menschen sein, und hoffentlich giebts doch in Deutschland noch
dreihundertsiebenundneuuzig verständige Menschen. Sie werden also prüfen,
ehe sie urteilen, und man kann ihnen wohl zutrauen, daß sie sich nach genauer
Durchforschung der Sache einigermaßen ein Urteil bilden können, auch wenn
sie nicht „Sachverständige" sind. Guter Wille thut viel, und die wirklichen
„Sachverständigen" sollen bisweilen, meint man, etwas voreingenommen sein.
Natürlich ist es gut, wenn aus möglichst vielen Ständen Sachkenner unter
deu Gesetzgebern sind, und man nicht nur auf „Enqueten" angewiesen ist, aber
sie sollen nicht als Sachverständige für ein bestimmtes Fach gewählt sein,


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[0072] Zur Gestaltung unsers Parteiwesens werfen, die noch etwas verabscheuenswerte politische Überzeugung an sich haben, dann fürchte ich, wird der Haufe des faulen Obstes sehr groß werden, und was mau als rein befindet, das werden nicht gerade die schmackhaftesten Früchte sein. Haben muß man aber doch einen Standesvertrcter. Ja ja, Wahl macht Qual! ' So bliebe denn der Weisheit letzter Schluß, wird mich wieder einer fragen, ders nicht gut mit mir meint, daß alles so am besten sei, mie es ist, und nur so fortzubestehen brauche? Eine bequeme Weisheit! Aber wo habe ich denn das gesagt? Das heißt untergelegt, nicht ausgelegt! Berechtigt, sage ich, ist jener alte politische Gegensatz, berechtigt seine Verfechtung, da die Staatsentwicklung weder stehen bleiben oder zurückgehen, noch zu rasch oder zu weit vorschreiten darf; die allzu eifrige Verfechtung, die für Gründe Be¬ leidigungen gebraucht, muß aber entschieden in ihre Grenzen zurückgewiesen werden, auch wenn ihr noch so ehrliche Gesinnung zu Grunde liegen sollte! Denn wenn sich auch die homerischen Helden bekanntlich vor dem Kampf mit allerlei unliebenswürdigen Worten angriffen, so ist es doch nicht gerade das, wodurch sie bewundernswürdig geworden sind. Und so muß auch der Rüpel¬ haftigkeit eines Teils unsrer Presse ein Ende gemacht werden; und wenn sie nicht ihr eignes Taktgefühl Anstand lehrt, dann muß es die allgemeine Ver¬ achtung und der Staatsanwalt thun. Und, wie gesagt, wo Verleumdungen und Spitzbübereien ins Spiel kommen, da hört erst recht jede Entschuldbarkeit auf; dafür wird jeder anständige Mensch, auch wenn es auf seiner eignen Partei begangen wird, nur ein Pfui haben. Aber der Gegensatz an sich und seine anständige Verfechtung muß bleiben und wird bleiben. Auch der Gegen¬ partei muß man sie zugestehen, mag das „Was du nicht willst, das man dir thu" der menschlichen Natur auch noch so hart ankommen! Aber die wirtschaftlichen Fragen, sind die ganz Nebensache? Soll man nnr aufs Ganze und gar nicht aufs Eigne sehen? Nun, ich denke, das letztere geschieht auch schon ohne Ermahnung, und natürlich muß es geschehen. Aber erstens haben diese Fragen auch ihre konservative und ihre liberale Seite, und es ist durchaus förderlich, sie auch von denen ans zu beurteilen. Dann aber werden verständige Konservative und verständige Liberale doch auch wohl verständige Menschen sein, und hoffentlich giebts doch in Deutschland noch dreihundertsiebenundneuuzig verständige Menschen. Sie werden also prüfen, ehe sie urteilen, und man kann ihnen wohl zutrauen, daß sie sich nach genauer Durchforschung der Sache einigermaßen ein Urteil bilden können, auch wenn sie nicht „Sachverständige" sind. Guter Wille thut viel, und die wirklichen „Sachverständigen" sollen bisweilen, meint man, etwas voreingenommen sein. Natürlich ist es gut, wenn aus möglichst vielen Ständen Sachkenner unter deu Gesetzgebern sind, und man nicht nur auf „Enqueten" angewiesen ist, aber sie sollen nicht als Sachverständige für ein bestimmtes Fach gewählt sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/72>, abgerufen am 29.06.2024.