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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gar nicht daran denken, sich von den "maßgebenden Kreisen" zu emanzipiren und
etwa einmal über deren Köpfe hinweg frischweg mit seinen Unterthanen in un¬
mittelbaren Meinungsaustausch zu treten. Kurioses Bild! Dieser Monarch und
diese Unterthanen, die einander in einem Saale gegenüber stehen, gern mit ein¬
ander reden möchten und nicht dürfen!

Dabei fällt uns ein Geschichtchen vom vorige" Jahre ein. Im Dezember
1894 war der Kronprinz von Italien in Berlin und empfing da natürlich u. a.
auch eine Abordnung der dortigen italienischen Kolonie. Der mitanwesende Ber¬
liner Korrespondent des Mailänder Secolo, Dalbelli, berichtete über die Audienz
an sein Blatt -- der Berliner Börsenkurier hat dann den Bericht übersetzt-- und
fügte hinzu^ "Dem Gesandten Lanza möchte ich sagen, daß wir Abgeordnete des
Unterstützungsvereins erwarteten, über die moralischen und finanziellen Verhältnisse
unsers Vereins befragt zu werden. Wir hätten dann Gelegenheit gehabt, dem
Prinzen zu erzählen, wie viele unglückliche, unterstützungsbedürftige Italiener durch
Berlin reisen, wie viel wir thun, und wie viel zu thun übrig bleibt. Das war
eine schwere Unterlassungssünde." Also nicht einmal einem Prinzen gegenüber
dürfen seine Landsleute, die er im Auslande trifft, den Mund aufthun, um über
Dinge mit ihm zu sprechen, die ihnen am Herzen liegen, wenn sie nicht darnach
gefragt werden, und der Prinz darf nur solche Fragen an seine Landsleute richten,
die ihm der Agent der Regierung seines Landes in den Mund legt. Armer Prinz!
Arme Regenten!


Die Börsenkrisis und die Grundschulden.

Der Krach von 1873 war
zum großen Teil durch das Vorhandensein vieler jungen Effekten erzeugt, die von
vornherein nicht das wert waren, was sie kosteten, auf Unternehmungen gegründet,
die von Anfang an notleidend waren. Dies gilt heute nur von einigen ungarischen
Jndustrieaktieu. Jetzt sind vielmehr alte, solide Wertpapiere so hoch getrieben,
als wenn sie immer die Ausnahmedividende der letzten Hcmsscjahre bringen würden,
und der Zinsfuß so niedrig bleiben würde wie in der letzten Zeit.

Ganz ähnliches ist mit Grundbesitz in Nordostdeutschland geschehe", nur daß
sich bei ihm auf 40 bis SO Jahre verteilt, was jetzt bei Wertpapieren oder Effekten
nur 4 Jahre gedauert hat. Aber dafür ist der Grundbesitz höher gestiegen als
die Effekten.

Ich nehme als Beispiel Mecklenburg, wo die Verkaufs- und Pachtpreise der
Güter von 1340 bis 1373 bekannt sind und auch die Pachtabschlüsse im Jahre 1895,
woraus ich die Kaufpreise für 1395 berechne. Setze ich den Verkaufspreis der
Allodgüter in den Jahren 1840 bis 1844, 90400 Mark für die Hufe von etwa
185 Hektaren, gleich 100, so erhalte ich folgende Verkaufspreise sür die Hufe:

1640 bis 1644100
1345 " 1849l03
18S0 " 135410S
1865 " 1859153
1360 " 1864M4
t36S " 1869192
1870 " 1874169
1875 " 1378181
berechnet
1395101

Setze ich die Preise von 1850 bis 1854, wo das Steigen der Güterpreise begann,
gleich 100, so erhalte ich:


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gar nicht daran denken, sich von den „maßgebenden Kreisen" zu emanzipiren und
etwa einmal über deren Köpfe hinweg frischweg mit seinen Unterthanen in un¬
mittelbaren Meinungsaustausch zu treten. Kurioses Bild! Dieser Monarch und
diese Unterthanen, die einander in einem Saale gegenüber stehen, gern mit ein¬
ander reden möchten und nicht dürfen!

Dabei fällt uns ein Geschichtchen vom vorige» Jahre ein. Im Dezember
1894 war der Kronprinz von Italien in Berlin und empfing da natürlich u. a.
auch eine Abordnung der dortigen italienischen Kolonie. Der mitanwesende Ber¬
liner Korrespondent des Mailänder Secolo, Dalbelli, berichtete über die Audienz
an sein Blatt — der Berliner Börsenkurier hat dann den Bericht übersetzt— und
fügte hinzu^ „Dem Gesandten Lanza möchte ich sagen, daß wir Abgeordnete des
Unterstützungsvereins erwarteten, über die moralischen und finanziellen Verhältnisse
unsers Vereins befragt zu werden. Wir hätten dann Gelegenheit gehabt, dem
Prinzen zu erzählen, wie viele unglückliche, unterstützungsbedürftige Italiener durch
Berlin reisen, wie viel wir thun, und wie viel zu thun übrig bleibt. Das war
eine schwere Unterlassungssünde." Also nicht einmal einem Prinzen gegenüber
dürfen seine Landsleute, die er im Auslande trifft, den Mund aufthun, um über
Dinge mit ihm zu sprechen, die ihnen am Herzen liegen, wenn sie nicht darnach
gefragt werden, und der Prinz darf nur solche Fragen an seine Landsleute richten,
die ihm der Agent der Regierung seines Landes in den Mund legt. Armer Prinz!
Arme Regenten!


Die Börsenkrisis und die Grundschulden.

Der Krach von 1873 war
zum großen Teil durch das Vorhandensein vieler jungen Effekten erzeugt, die von
vornherein nicht das wert waren, was sie kosteten, auf Unternehmungen gegründet,
die von Anfang an notleidend waren. Dies gilt heute nur von einigen ungarischen
Jndustrieaktieu. Jetzt sind vielmehr alte, solide Wertpapiere so hoch getrieben,
als wenn sie immer die Ausnahmedividende der letzten Hcmsscjahre bringen würden,
und der Zinsfuß so niedrig bleiben würde wie in der letzten Zeit.

Ganz ähnliches ist mit Grundbesitz in Nordostdeutschland geschehe», nur daß
sich bei ihm auf 40 bis SO Jahre verteilt, was jetzt bei Wertpapieren oder Effekten
nur 4 Jahre gedauert hat. Aber dafür ist der Grundbesitz höher gestiegen als
die Effekten.

Ich nehme als Beispiel Mecklenburg, wo die Verkaufs- und Pachtpreise der
Güter von 1340 bis 1373 bekannt sind und auch die Pachtabschlüsse im Jahre 1895,
woraus ich die Kaufpreise für 1395 berechne. Setze ich den Verkaufspreis der
Allodgüter in den Jahren 1840 bis 1844, 90400 Mark für die Hufe von etwa
185 Hektaren, gleich 100, so erhalte ich folgende Verkaufspreise sür die Hufe:

1640 bis 1644100
1345 „ 1849l03
18S0 „ 135410S
1865 „ 1859153
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t36S „ 1869192
1870 „ 1874169
1875 „ 1378181
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1395101

Setze ich die Preise von 1850 bis 1854, wo das Steigen der Güterpreise begann,
gleich 100, so erhalte ich:


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[0657] Maßgebliches und Unmaßgebliches gar nicht daran denken, sich von den „maßgebenden Kreisen" zu emanzipiren und etwa einmal über deren Köpfe hinweg frischweg mit seinen Unterthanen in un¬ mittelbaren Meinungsaustausch zu treten. Kurioses Bild! Dieser Monarch und diese Unterthanen, die einander in einem Saale gegenüber stehen, gern mit ein¬ ander reden möchten und nicht dürfen! Dabei fällt uns ein Geschichtchen vom vorige» Jahre ein. Im Dezember 1894 war der Kronprinz von Italien in Berlin und empfing da natürlich u. a. auch eine Abordnung der dortigen italienischen Kolonie. Der mitanwesende Ber¬ liner Korrespondent des Mailänder Secolo, Dalbelli, berichtete über die Audienz an sein Blatt — der Berliner Börsenkurier hat dann den Bericht übersetzt— und fügte hinzu^ „Dem Gesandten Lanza möchte ich sagen, daß wir Abgeordnete des Unterstützungsvereins erwarteten, über die moralischen und finanziellen Verhältnisse unsers Vereins befragt zu werden. Wir hätten dann Gelegenheit gehabt, dem Prinzen zu erzählen, wie viele unglückliche, unterstützungsbedürftige Italiener durch Berlin reisen, wie viel wir thun, und wie viel zu thun übrig bleibt. Das war eine schwere Unterlassungssünde." Also nicht einmal einem Prinzen gegenüber dürfen seine Landsleute, die er im Auslande trifft, den Mund aufthun, um über Dinge mit ihm zu sprechen, die ihnen am Herzen liegen, wenn sie nicht darnach gefragt werden, und der Prinz darf nur solche Fragen an seine Landsleute richten, die ihm der Agent der Regierung seines Landes in den Mund legt. Armer Prinz! Arme Regenten! Die Börsenkrisis und die Grundschulden. Der Krach von 1873 war zum großen Teil durch das Vorhandensein vieler jungen Effekten erzeugt, die von vornherein nicht das wert waren, was sie kosteten, auf Unternehmungen gegründet, die von Anfang an notleidend waren. Dies gilt heute nur von einigen ungarischen Jndustrieaktieu. Jetzt sind vielmehr alte, solide Wertpapiere so hoch getrieben, als wenn sie immer die Ausnahmedividende der letzten Hcmsscjahre bringen würden, und der Zinsfuß so niedrig bleiben würde wie in der letzten Zeit. Ganz ähnliches ist mit Grundbesitz in Nordostdeutschland geschehe», nur daß sich bei ihm auf 40 bis SO Jahre verteilt, was jetzt bei Wertpapieren oder Effekten nur 4 Jahre gedauert hat. Aber dafür ist der Grundbesitz höher gestiegen als die Effekten. Ich nehme als Beispiel Mecklenburg, wo die Verkaufs- und Pachtpreise der Güter von 1340 bis 1373 bekannt sind und auch die Pachtabschlüsse im Jahre 1895, woraus ich die Kaufpreise für 1395 berechne. Setze ich den Verkaufspreis der Allodgüter in den Jahren 1840 bis 1844, 90400 Mark für die Hufe von etwa 185 Hektaren, gleich 100, so erhalte ich folgende Verkaufspreise sür die Hufe: 1640 bis 1644100 1345 „ 1849l03 18S0 „ 135410S 1865 „ 1859153 1360 „ 1864M4 t36S „ 1869192 1870 „ 1874169 1875 „ 1378181 berechnet 1395101 Setze ich die Preise von 1850 bis 1854, wo das Steigen der Güterpreise begann, gleich 100, so erhalte ich:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/657>, abgerufen am 27.06.2024.