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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

hat, dann ist es Zeit, ihn unter Aufsicht des Staats zu stellen und ihn für
die Gesamtheit des Volks in Anspruch zu nehmen. So lange die Handels¬
beziehungen noch so zersplittert oder verzweigt liegen, daß keine Übersicht zu
gewinnen ist, genaue Vorschriften sich nicht geben lassen, so lange wird man
damit einverstanden sein müssen, daß Privatleute die Dienste verrichten, deren
die Gesamtheit bedarf, und daß sie sich ihre Belohnung dafür selbst nehmen,
auch auf die Gefahr hin, daß diese Belohnung hie und da außer Verhältnis
zu dem steht, was sie dem Gemeinwohl leisten. Jeder Handel aber, der sich
so vereinfacht hat wie der Petroleumhandel, ist als Handel überflüssig. Die
kaufmännische Thätigkeit dabei ist nur ihrer selbst wegen da. Die gemein¬
nützige Arbeit wird heute deutlich übersehbar und ganz ausschließlich von In¬
genieuren, Kapitänen, Chemikern, Arbeitern und ein paar Rechnungsbeamten
verrichtet. Die Leiter des Trust mögen sehr thätig sein, aber diese ihre Thätig¬
keit hat doch nur den Zweck, ihnen ihren Naubnutzen zu sichern. Ein Taschen¬
dieb auf einem lebhaften Berliner Bahnhöfe hat auch keine Sinekure; man
wird ihm fieberhaft angestrengte Thätigkeit häufig nicht absprechen können, man
wird sogar einräumen müssen, daß er ein großes Unternehmerrisiko hat, wir
haben aber seine Bethätigung bisher doch noch nicht zur Arbeit gerechnet, und
ebenso wenig wie er arbeitet ein Mann wie Rockefeller.

Es wird weite Kreise geben, die diese meine Forderung, daß der Staat
Privatleuten den wirtschaftlichen Krieg erklären soll, ungeheuerlich finden. Die
Ältesten der Berliner Kaufmannschaft "zweifeln, ob wirksame Maßregeln über¬
haupt im Bereiche der Staatsthätigkeit liegen." Aber die Theorie, daß der
Staat zu weiter nichts dasei, als, um es mit dem bekannten kurzen Ausdruck
zu bezeichnen, zum -- Nachtwächter, verliert doch immer mehr an Anhängern.
Die Beziehungen der Völker zu einander und unsre internationale Diplomatie
wird immer mehr Wirtschaft und auch die Regierung nach innen wird immer
mehr Wirtschaft werden müssen. Man pflegt zu sagen, daß der Staat nicht
die Aufgabe habe, im wirtschaftlichen Kampfe die Dummen und die Unge¬
schickten zu schlitzen. Mag sein. Aber was würden die Herren Kommerzien-
räte sagen, wenn der Staat plötzlich alle Polizeimannschaften von Berlin zurück¬
zöge und erklärte, daß die Staatsgewalt sich künftig darauf beschränken werde,
die Grenzen zu schützen, daß sie nicht länger die natürliche Auslese dadurch
fälschen wolle, daß sie Leben und Eigentum der Bewohner gegen gewaltsamen
Angriff oder Diebstahl schütze. Wachsamkeit, Muskelkraft und Geschicklichkeit
in der Führung von Waffen sind auch schätzbare Eigenschaften und im Leben
der Völker gelegentlich sehr viel wichtiger, als die Kenntnis der Börsen¬
gebräuche.

Das Königtum war einst feudal, jetzt ist es bürgerlich, warum soll es
nicht sozial sein? Die drei Bezeichnungen sind nur zeitgemäße Ausdrücke für
den alten Gehalt, für den Hauptgedanken, den es durch alle Wandlungen be¬
wahrt, daß alle dem Vaterlande zu dienen haben, der Gesamtheit, und daß


Das Petroleum

hat, dann ist es Zeit, ihn unter Aufsicht des Staats zu stellen und ihn für
die Gesamtheit des Volks in Anspruch zu nehmen. So lange die Handels¬
beziehungen noch so zersplittert oder verzweigt liegen, daß keine Übersicht zu
gewinnen ist, genaue Vorschriften sich nicht geben lassen, so lange wird man
damit einverstanden sein müssen, daß Privatleute die Dienste verrichten, deren
die Gesamtheit bedarf, und daß sie sich ihre Belohnung dafür selbst nehmen,
auch auf die Gefahr hin, daß diese Belohnung hie und da außer Verhältnis
zu dem steht, was sie dem Gemeinwohl leisten. Jeder Handel aber, der sich
so vereinfacht hat wie der Petroleumhandel, ist als Handel überflüssig. Die
kaufmännische Thätigkeit dabei ist nur ihrer selbst wegen da. Die gemein¬
nützige Arbeit wird heute deutlich übersehbar und ganz ausschließlich von In¬
genieuren, Kapitänen, Chemikern, Arbeitern und ein paar Rechnungsbeamten
verrichtet. Die Leiter des Trust mögen sehr thätig sein, aber diese ihre Thätig¬
keit hat doch nur den Zweck, ihnen ihren Naubnutzen zu sichern. Ein Taschen¬
dieb auf einem lebhaften Berliner Bahnhöfe hat auch keine Sinekure; man
wird ihm fieberhaft angestrengte Thätigkeit häufig nicht absprechen können, man
wird sogar einräumen müssen, daß er ein großes Unternehmerrisiko hat, wir
haben aber seine Bethätigung bisher doch noch nicht zur Arbeit gerechnet, und
ebenso wenig wie er arbeitet ein Mann wie Rockefeller.

Es wird weite Kreise geben, die diese meine Forderung, daß der Staat
Privatleuten den wirtschaftlichen Krieg erklären soll, ungeheuerlich finden. Die
Ältesten der Berliner Kaufmannschaft „zweifeln, ob wirksame Maßregeln über¬
haupt im Bereiche der Staatsthätigkeit liegen." Aber die Theorie, daß der
Staat zu weiter nichts dasei, als, um es mit dem bekannten kurzen Ausdruck
zu bezeichnen, zum — Nachtwächter, verliert doch immer mehr an Anhängern.
Die Beziehungen der Völker zu einander und unsre internationale Diplomatie
wird immer mehr Wirtschaft und auch die Regierung nach innen wird immer
mehr Wirtschaft werden müssen. Man pflegt zu sagen, daß der Staat nicht
die Aufgabe habe, im wirtschaftlichen Kampfe die Dummen und die Unge¬
schickten zu schlitzen. Mag sein. Aber was würden die Herren Kommerzien-
räte sagen, wenn der Staat plötzlich alle Polizeimannschaften von Berlin zurück¬
zöge und erklärte, daß die Staatsgewalt sich künftig darauf beschränken werde,
die Grenzen zu schützen, daß sie nicht länger die natürliche Auslese dadurch
fälschen wolle, daß sie Leben und Eigentum der Bewohner gegen gewaltsamen
Angriff oder Diebstahl schütze. Wachsamkeit, Muskelkraft und Geschicklichkeit
in der Führung von Waffen sind auch schätzbare Eigenschaften und im Leben
der Völker gelegentlich sehr viel wichtiger, als die Kenntnis der Börsen¬
gebräuche.

Das Königtum war einst feudal, jetzt ist es bürgerlich, warum soll es
nicht sozial sein? Die drei Bezeichnungen sind nur zeitgemäße Ausdrücke für
den alten Gehalt, für den Hauptgedanken, den es durch alle Wandlungen be¬
wahrt, daß alle dem Vaterlande zu dienen haben, der Gesamtheit, und daß


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[0630] Das Petroleum hat, dann ist es Zeit, ihn unter Aufsicht des Staats zu stellen und ihn für die Gesamtheit des Volks in Anspruch zu nehmen. So lange die Handels¬ beziehungen noch so zersplittert oder verzweigt liegen, daß keine Übersicht zu gewinnen ist, genaue Vorschriften sich nicht geben lassen, so lange wird man damit einverstanden sein müssen, daß Privatleute die Dienste verrichten, deren die Gesamtheit bedarf, und daß sie sich ihre Belohnung dafür selbst nehmen, auch auf die Gefahr hin, daß diese Belohnung hie und da außer Verhältnis zu dem steht, was sie dem Gemeinwohl leisten. Jeder Handel aber, der sich so vereinfacht hat wie der Petroleumhandel, ist als Handel überflüssig. Die kaufmännische Thätigkeit dabei ist nur ihrer selbst wegen da. Die gemein¬ nützige Arbeit wird heute deutlich übersehbar und ganz ausschließlich von In¬ genieuren, Kapitänen, Chemikern, Arbeitern und ein paar Rechnungsbeamten verrichtet. Die Leiter des Trust mögen sehr thätig sein, aber diese ihre Thätig¬ keit hat doch nur den Zweck, ihnen ihren Naubnutzen zu sichern. Ein Taschen¬ dieb auf einem lebhaften Berliner Bahnhöfe hat auch keine Sinekure; man wird ihm fieberhaft angestrengte Thätigkeit häufig nicht absprechen können, man wird sogar einräumen müssen, daß er ein großes Unternehmerrisiko hat, wir haben aber seine Bethätigung bisher doch noch nicht zur Arbeit gerechnet, und ebenso wenig wie er arbeitet ein Mann wie Rockefeller. Es wird weite Kreise geben, die diese meine Forderung, daß der Staat Privatleuten den wirtschaftlichen Krieg erklären soll, ungeheuerlich finden. Die Ältesten der Berliner Kaufmannschaft „zweifeln, ob wirksame Maßregeln über¬ haupt im Bereiche der Staatsthätigkeit liegen." Aber die Theorie, daß der Staat zu weiter nichts dasei, als, um es mit dem bekannten kurzen Ausdruck zu bezeichnen, zum — Nachtwächter, verliert doch immer mehr an Anhängern. Die Beziehungen der Völker zu einander und unsre internationale Diplomatie wird immer mehr Wirtschaft und auch die Regierung nach innen wird immer mehr Wirtschaft werden müssen. Man pflegt zu sagen, daß der Staat nicht die Aufgabe habe, im wirtschaftlichen Kampfe die Dummen und die Unge¬ schickten zu schlitzen. Mag sein. Aber was würden die Herren Kommerzien- räte sagen, wenn der Staat plötzlich alle Polizeimannschaften von Berlin zurück¬ zöge und erklärte, daß die Staatsgewalt sich künftig darauf beschränken werde, die Grenzen zu schützen, daß sie nicht länger die natürliche Auslese dadurch fälschen wolle, daß sie Leben und Eigentum der Bewohner gegen gewaltsamen Angriff oder Diebstahl schütze. Wachsamkeit, Muskelkraft und Geschicklichkeit in der Führung von Waffen sind auch schätzbare Eigenschaften und im Leben der Völker gelegentlich sehr viel wichtiger, als die Kenntnis der Börsen¬ gebräuche. Das Königtum war einst feudal, jetzt ist es bürgerlich, warum soll es nicht sozial sein? Die drei Bezeichnungen sind nur zeitgemäße Ausdrücke für den alten Gehalt, für den Hauptgedanken, den es durch alle Wandlungen be¬ wahrt, daß alle dem Vaterlande zu dienen haben, der Gesamtheit, und daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/630>, abgerufen am 03.07.2024.