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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

der Theorie. In der Praxis würden die kapitalistisch so hoch zivilisirten
Volker längst verkommen und von dem ersten besten Nachbar über den Haufen
gerannt sein. Denn sollte wirklich einmal die gelbe Rasse wieder gegen den
Westen herausfinden, so wird man gegen diesen fürchterlichen Anprall nicht die
Kupons marschieren lassen können.

Aber ich sehe gar nicht ein, weshalb es so weiter gehen müßte. Der
Handel als der einzige oder doch der wesentliche und bestimmende Inhalt aller
Weltkultur und Kauf und Verkauf als einzige Beziehung von Mensch zu
Mensch -- das ist doch Heller Wahnsinn. Achtung vor der Heiligkeit eines
Eigentums, wie es sich Rockefeller aufgebaut hat, bedeutet für unsre Fürsten
Abdankung und für die Völker Selbstmord. Ich will hier kein System ent¬
wickeln, der Hang zum System ist mir immer als das deutscheste von allem
deutschen Unglück vorgekommen. Wir können unmöglich darauf warten, bis
wir uns in der Theorie geeinigt haben, wie nach fünfhundert Jahren die
Welt aussehen wird. Wir müssen von Fall zu Fall die Aufgaben lösen, die
uns gestellt werden, aber mit sicherm Blick auf große Leitsterne in der Ferne.
Die Antwort auf die Frage, die ich an die Spitze dieses Aufsatzes gestellt
habe, die Autwort, die nicht zweifelhaft sein kann, ist so ein Leitstern, nach
dem sich eine lange Strecke wird segeln lassen: Königtum, uicht Gaunerherr¬
schaft! Wir sind soweit, daß wir den aristokratischen Gedanken mit demo¬
kratischen Grundsätzen auf sozialer Basis versöhnen können: freie Bahn und
gleiche Ausrüstung für alle, nur was der Gesamtheit nützt, zeichnet den Einzelnen
aus, herrschen soll der Adel der Rasse, des Geistes und der Arbeit, der Adel,
der sich immer aufs neue erzeugt oder immer aufs neue bewährt! Es braucht
Deutschlands Fürsten nur gesagt zu werden, was da heranrückt, so werden sie
den Kampf aufnehmen, und die dazu berufen sind, sollten ihnen die Dinge
zeigen, wie sie sind, denn es wird die höchste Zeit. Wir brauchen an der
heutigen "Gesellschaftsordnung" gar nichts zu ändern, um die Herren auf den
Rücken zu legen; Änderungen kommen von selbst, jede Gesellschaftsordnung
verändert sich, alles fließt. Was kommen muß, wird kommen, aber es wird
organisch wachsen, wir brauchen auf nichts zu warten. Unter unsern heutigen
Einrichtungen und mit unsern bestehenden Gesetzen kann ein Exempel statuirt
werden zum Beweise, daß sie noch etwas taugen. Man beginne erbarmungslos
den Krieg gegen Rockefeller, man ruhe nicht, bis er vollständig zu Grunde
gerichtet und zu dem Bettler gemacht ist, der er vor dreißig Jahren war, und
man wird mehr geleistet haben gegen den "Umsturz" und für die Erhaltung
des der Erhaltung würdigen als bisher mit aller Regierungsthätigkeit,
aller Parlamenterei, allen Polizeimaßregeln und aller "Rechtspflege" geleistet
worden ist.

Wir können den Handel nicht von heute auf morgen abschaffen, wir
können den Handel noch nicht und vielleicht nie entbehren. Aber wenn der
Handel in einem großen Artikel sich über eine gewisse Grenze hinaus entwickelt


Das Petroleum

der Theorie. In der Praxis würden die kapitalistisch so hoch zivilisirten
Volker längst verkommen und von dem ersten besten Nachbar über den Haufen
gerannt sein. Denn sollte wirklich einmal die gelbe Rasse wieder gegen den
Westen herausfinden, so wird man gegen diesen fürchterlichen Anprall nicht die
Kupons marschieren lassen können.

Aber ich sehe gar nicht ein, weshalb es so weiter gehen müßte. Der
Handel als der einzige oder doch der wesentliche und bestimmende Inhalt aller
Weltkultur und Kauf und Verkauf als einzige Beziehung von Mensch zu
Mensch — das ist doch Heller Wahnsinn. Achtung vor der Heiligkeit eines
Eigentums, wie es sich Rockefeller aufgebaut hat, bedeutet für unsre Fürsten
Abdankung und für die Völker Selbstmord. Ich will hier kein System ent¬
wickeln, der Hang zum System ist mir immer als das deutscheste von allem
deutschen Unglück vorgekommen. Wir können unmöglich darauf warten, bis
wir uns in der Theorie geeinigt haben, wie nach fünfhundert Jahren die
Welt aussehen wird. Wir müssen von Fall zu Fall die Aufgaben lösen, die
uns gestellt werden, aber mit sicherm Blick auf große Leitsterne in der Ferne.
Die Antwort auf die Frage, die ich an die Spitze dieses Aufsatzes gestellt
habe, die Autwort, die nicht zweifelhaft sein kann, ist so ein Leitstern, nach
dem sich eine lange Strecke wird segeln lassen: Königtum, uicht Gaunerherr¬
schaft! Wir sind soweit, daß wir den aristokratischen Gedanken mit demo¬
kratischen Grundsätzen auf sozialer Basis versöhnen können: freie Bahn und
gleiche Ausrüstung für alle, nur was der Gesamtheit nützt, zeichnet den Einzelnen
aus, herrschen soll der Adel der Rasse, des Geistes und der Arbeit, der Adel,
der sich immer aufs neue erzeugt oder immer aufs neue bewährt! Es braucht
Deutschlands Fürsten nur gesagt zu werden, was da heranrückt, so werden sie
den Kampf aufnehmen, und die dazu berufen sind, sollten ihnen die Dinge
zeigen, wie sie sind, denn es wird die höchste Zeit. Wir brauchen an der
heutigen „Gesellschaftsordnung" gar nichts zu ändern, um die Herren auf den
Rücken zu legen; Änderungen kommen von selbst, jede Gesellschaftsordnung
verändert sich, alles fließt. Was kommen muß, wird kommen, aber es wird
organisch wachsen, wir brauchen auf nichts zu warten. Unter unsern heutigen
Einrichtungen und mit unsern bestehenden Gesetzen kann ein Exempel statuirt
werden zum Beweise, daß sie noch etwas taugen. Man beginne erbarmungslos
den Krieg gegen Rockefeller, man ruhe nicht, bis er vollständig zu Grunde
gerichtet und zu dem Bettler gemacht ist, der er vor dreißig Jahren war, und
man wird mehr geleistet haben gegen den „Umsturz" und für die Erhaltung
des der Erhaltung würdigen als bisher mit aller Regierungsthätigkeit,
aller Parlamenterei, allen Polizeimaßregeln und aller „Rechtspflege" geleistet
worden ist.

Wir können den Handel nicht von heute auf morgen abschaffen, wir
können den Handel noch nicht und vielleicht nie entbehren. Aber wenn der
Handel in einem großen Artikel sich über eine gewisse Grenze hinaus entwickelt


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[0629] Das Petroleum der Theorie. In der Praxis würden die kapitalistisch so hoch zivilisirten Volker längst verkommen und von dem ersten besten Nachbar über den Haufen gerannt sein. Denn sollte wirklich einmal die gelbe Rasse wieder gegen den Westen herausfinden, so wird man gegen diesen fürchterlichen Anprall nicht die Kupons marschieren lassen können. Aber ich sehe gar nicht ein, weshalb es so weiter gehen müßte. Der Handel als der einzige oder doch der wesentliche und bestimmende Inhalt aller Weltkultur und Kauf und Verkauf als einzige Beziehung von Mensch zu Mensch — das ist doch Heller Wahnsinn. Achtung vor der Heiligkeit eines Eigentums, wie es sich Rockefeller aufgebaut hat, bedeutet für unsre Fürsten Abdankung und für die Völker Selbstmord. Ich will hier kein System ent¬ wickeln, der Hang zum System ist mir immer als das deutscheste von allem deutschen Unglück vorgekommen. Wir können unmöglich darauf warten, bis wir uns in der Theorie geeinigt haben, wie nach fünfhundert Jahren die Welt aussehen wird. Wir müssen von Fall zu Fall die Aufgaben lösen, die uns gestellt werden, aber mit sicherm Blick auf große Leitsterne in der Ferne. Die Antwort auf die Frage, die ich an die Spitze dieses Aufsatzes gestellt habe, die Autwort, die nicht zweifelhaft sein kann, ist so ein Leitstern, nach dem sich eine lange Strecke wird segeln lassen: Königtum, uicht Gaunerherr¬ schaft! Wir sind soweit, daß wir den aristokratischen Gedanken mit demo¬ kratischen Grundsätzen auf sozialer Basis versöhnen können: freie Bahn und gleiche Ausrüstung für alle, nur was der Gesamtheit nützt, zeichnet den Einzelnen aus, herrschen soll der Adel der Rasse, des Geistes und der Arbeit, der Adel, der sich immer aufs neue erzeugt oder immer aufs neue bewährt! Es braucht Deutschlands Fürsten nur gesagt zu werden, was da heranrückt, so werden sie den Kampf aufnehmen, und die dazu berufen sind, sollten ihnen die Dinge zeigen, wie sie sind, denn es wird die höchste Zeit. Wir brauchen an der heutigen „Gesellschaftsordnung" gar nichts zu ändern, um die Herren auf den Rücken zu legen; Änderungen kommen von selbst, jede Gesellschaftsordnung verändert sich, alles fließt. Was kommen muß, wird kommen, aber es wird organisch wachsen, wir brauchen auf nichts zu warten. Unter unsern heutigen Einrichtungen und mit unsern bestehenden Gesetzen kann ein Exempel statuirt werden zum Beweise, daß sie noch etwas taugen. Man beginne erbarmungslos den Krieg gegen Rockefeller, man ruhe nicht, bis er vollständig zu Grunde gerichtet und zu dem Bettler gemacht ist, der er vor dreißig Jahren war, und man wird mehr geleistet haben gegen den „Umsturz" und für die Erhaltung des der Erhaltung würdigen als bisher mit aller Regierungsthätigkeit, aller Parlamenterei, allen Polizeimaßregeln und aller „Rechtspflege" geleistet worden ist. Wir können den Handel nicht von heute auf morgen abschaffen, wir können den Handel noch nicht und vielleicht nie entbehren. Aber wenn der Handel in einem großen Artikel sich über eine gewisse Grenze hinaus entwickelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/629>, abgerufen am 04.07.2024.