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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

schauung kennen gelernt. Und überall trat er mit den höchsten Kreisen in
Verbindung; wie er in Wien mit Gentz und Metternich, in Rom mit
Jostas von Bunsen verkehrte, so später mit Friedrich Wilhelm IV. und
Maximilian II. von Baiern, mit dem Hofe der Königin Viktoria und Napo¬
leons III. So sah er als echter Aristokrat des Geistes die Welt immer von
oben, von den Salons ans, aber er sah sie in einem Umfange, wie es nur
wenigen Historikern vergönnt ist. Ob sein objektiver, monarchistisch-aristokra¬
tischer, universaler Standpunkt so ohne weiteres das Ergebnis dieses Lebens-
ganges ist, ob er nicht vielmehr seiner tiefsten Eigenart entsprang, wer möchte
es sagen? Doch beides hat unzweifelhaft zusammengewirkt.

Damit habe ich schon einige der hervorstechendsten Züge der Rankischen
Geschichtschreibung angedeutet, aber ihr ins Herz schauen wir damit noch nicht.
Ihr tiefster Ursprung liegt in einem religiösen Bedürfnis dieses durch und
durch frommen Gemüts. Ranke sucht Gott in der Geschichte. Er sucht ihn
in der Einzelpersönlichkeit wie in der Völkerpersönlichkeit, deren jede ihrem
innersten Wesen folgt. Er will in der Geschichte gar nicht bloß und gar nicht
einmal hauptsächlich den sogenannten Fortschritt der Kultur hinstellen; diesen
Fortschritt bestreitet er nicht gerade, aber er meint, daß er sich keineswegs
stetig und aus allen Gebieten vollziehe; das, was ihn fesselt, ist das persön¬
liche Leben, sein Ziel ist, sich die Menschen und Völker der Vergangenheit
deutlich zu machen, ein Gefühl, des Mitlebens mit ihnen in sich selber und
in seinen Lesern zu erzeugen. Er weiß sehr wohl, daß das Schicksal, der
Lebensgang des Individuums, der Persönlichkeit des Einzelnen wie des Staates
oder des Volkes nicht allein von seinem Wesen bestimmt wird, sondern auch von
den Umständen, daß es, wie Goethe sagen würde, sich zusammensetzt aus Dämon
und Tyche, aus Freiheit und Notwendigkeit, aus dem persönlichen Thun und
aus dem Zwange der Verhältnisse; aber im Vordergrunde des Interesses steht
ihm die Persönlichkeit. "Keine Lehre belehrt die Welt, sondern eine große
Persönlichkeit," ist einer seiner schönsten Sätze. Darum ist er unermüdlich, in
ihr Geheimnis einzudringen, darum sind ihm auch die Künstler, Dichter und
Historiker, deren Werke er behandelt, nicht nur interessant als die Schöpfer
dieser Werke, sondern als Menschen, deren Wesen sich darin spiegelt, darum
enthalten seine eignen Werke eine so glänzende Reihe von Porträts, die durch
scharfe Zeichnung und reiche Farbenpracht so ganz nu die von ihm so eifrig
studirten Gemälde altitalieuischer Meister erinnern. Oder wer könnte vor
Rafaels Bildnis Leos X. im Palazzo Pitti stehen, ohne sofort an Rankes
"Päpste" erinnert zu werden? Und wem stünden nicht seine Charakteristiken
Karls V. und Philipps II. oder Franz I. und Elisabeths lebendig vor der Seele?
Und weil er ein Menschenkenner ist, so sind ihm die Menschen nicht Engel
oder Teufel, sondern er zeichnet sie eben als Menschen, in ihren Schwächen
und Vorzügen, er will nur sagen, wie es eigentlich gewesen ist, er will sie
aus ihrem Entwicklungsgange und ihrer Umgebung heraus verstehen, nicht


Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

schauung kennen gelernt. Und überall trat er mit den höchsten Kreisen in
Verbindung; wie er in Wien mit Gentz und Metternich, in Rom mit
Jostas von Bunsen verkehrte, so später mit Friedrich Wilhelm IV. und
Maximilian II. von Baiern, mit dem Hofe der Königin Viktoria und Napo¬
leons III. So sah er als echter Aristokrat des Geistes die Welt immer von
oben, von den Salons ans, aber er sah sie in einem Umfange, wie es nur
wenigen Historikern vergönnt ist. Ob sein objektiver, monarchistisch-aristokra¬
tischer, universaler Standpunkt so ohne weiteres das Ergebnis dieses Lebens-
ganges ist, ob er nicht vielmehr seiner tiefsten Eigenart entsprang, wer möchte
es sagen? Doch beides hat unzweifelhaft zusammengewirkt.

Damit habe ich schon einige der hervorstechendsten Züge der Rankischen
Geschichtschreibung angedeutet, aber ihr ins Herz schauen wir damit noch nicht.
Ihr tiefster Ursprung liegt in einem religiösen Bedürfnis dieses durch und
durch frommen Gemüts. Ranke sucht Gott in der Geschichte. Er sucht ihn
in der Einzelpersönlichkeit wie in der Völkerpersönlichkeit, deren jede ihrem
innersten Wesen folgt. Er will in der Geschichte gar nicht bloß und gar nicht
einmal hauptsächlich den sogenannten Fortschritt der Kultur hinstellen; diesen
Fortschritt bestreitet er nicht gerade, aber er meint, daß er sich keineswegs
stetig und aus allen Gebieten vollziehe; das, was ihn fesselt, ist das persön¬
liche Leben, sein Ziel ist, sich die Menschen und Völker der Vergangenheit
deutlich zu machen, ein Gefühl, des Mitlebens mit ihnen in sich selber und
in seinen Lesern zu erzeugen. Er weiß sehr wohl, daß das Schicksal, der
Lebensgang des Individuums, der Persönlichkeit des Einzelnen wie des Staates
oder des Volkes nicht allein von seinem Wesen bestimmt wird, sondern auch von
den Umständen, daß es, wie Goethe sagen würde, sich zusammensetzt aus Dämon
und Tyche, aus Freiheit und Notwendigkeit, aus dem persönlichen Thun und
aus dem Zwange der Verhältnisse; aber im Vordergrunde des Interesses steht
ihm die Persönlichkeit. „Keine Lehre belehrt die Welt, sondern eine große
Persönlichkeit," ist einer seiner schönsten Sätze. Darum ist er unermüdlich, in
ihr Geheimnis einzudringen, darum sind ihm auch die Künstler, Dichter und
Historiker, deren Werke er behandelt, nicht nur interessant als die Schöpfer
dieser Werke, sondern als Menschen, deren Wesen sich darin spiegelt, darum
enthalten seine eignen Werke eine so glänzende Reihe von Porträts, die durch
scharfe Zeichnung und reiche Farbenpracht so ganz nu die von ihm so eifrig
studirten Gemälde altitalieuischer Meister erinnern. Oder wer könnte vor
Rafaels Bildnis Leos X. im Palazzo Pitti stehen, ohne sofort an Rankes
„Päpste" erinnert zu werden? Und wem stünden nicht seine Charakteristiken
Karls V. und Philipps II. oder Franz I. und Elisabeths lebendig vor der Seele?
Und weil er ein Menschenkenner ist, so sind ihm die Menschen nicht Engel
oder Teufel, sondern er zeichnet sie eben als Menschen, in ihren Schwächen
und Vorzügen, er will nur sagen, wie es eigentlich gewesen ist, er will sie
aus ihrem Entwicklungsgange und ihrer Umgebung heraus verstehen, nicht


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[0613] Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag schauung kennen gelernt. Und überall trat er mit den höchsten Kreisen in Verbindung; wie er in Wien mit Gentz und Metternich, in Rom mit Jostas von Bunsen verkehrte, so später mit Friedrich Wilhelm IV. und Maximilian II. von Baiern, mit dem Hofe der Königin Viktoria und Napo¬ leons III. So sah er als echter Aristokrat des Geistes die Welt immer von oben, von den Salons ans, aber er sah sie in einem Umfange, wie es nur wenigen Historikern vergönnt ist. Ob sein objektiver, monarchistisch-aristokra¬ tischer, universaler Standpunkt so ohne weiteres das Ergebnis dieses Lebens- ganges ist, ob er nicht vielmehr seiner tiefsten Eigenart entsprang, wer möchte es sagen? Doch beides hat unzweifelhaft zusammengewirkt. Damit habe ich schon einige der hervorstechendsten Züge der Rankischen Geschichtschreibung angedeutet, aber ihr ins Herz schauen wir damit noch nicht. Ihr tiefster Ursprung liegt in einem religiösen Bedürfnis dieses durch und durch frommen Gemüts. Ranke sucht Gott in der Geschichte. Er sucht ihn in der Einzelpersönlichkeit wie in der Völkerpersönlichkeit, deren jede ihrem innersten Wesen folgt. Er will in der Geschichte gar nicht bloß und gar nicht einmal hauptsächlich den sogenannten Fortschritt der Kultur hinstellen; diesen Fortschritt bestreitet er nicht gerade, aber er meint, daß er sich keineswegs stetig und aus allen Gebieten vollziehe; das, was ihn fesselt, ist das persön¬ liche Leben, sein Ziel ist, sich die Menschen und Völker der Vergangenheit deutlich zu machen, ein Gefühl, des Mitlebens mit ihnen in sich selber und in seinen Lesern zu erzeugen. Er weiß sehr wohl, daß das Schicksal, der Lebensgang des Individuums, der Persönlichkeit des Einzelnen wie des Staates oder des Volkes nicht allein von seinem Wesen bestimmt wird, sondern auch von den Umständen, daß es, wie Goethe sagen würde, sich zusammensetzt aus Dämon und Tyche, aus Freiheit und Notwendigkeit, aus dem persönlichen Thun und aus dem Zwange der Verhältnisse; aber im Vordergrunde des Interesses steht ihm die Persönlichkeit. „Keine Lehre belehrt die Welt, sondern eine große Persönlichkeit," ist einer seiner schönsten Sätze. Darum ist er unermüdlich, in ihr Geheimnis einzudringen, darum sind ihm auch die Künstler, Dichter und Historiker, deren Werke er behandelt, nicht nur interessant als die Schöpfer dieser Werke, sondern als Menschen, deren Wesen sich darin spiegelt, darum enthalten seine eignen Werke eine so glänzende Reihe von Porträts, die durch scharfe Zeichnung und reiche Farbenpracht so ganz nu die von ihm so eifrig studirten Gemälde altitalieuischer Meister erinnern. Oder wer könnte vor Rafaels Bildnis Leos X. im Palazzo Pitti stehen, ohne sofort an Rankes „Päpste" erinnert zu werden? Und wem stünden nicht seine Charakteristiken Karls V. und Philipps II. oder Franz I. und Elisabeths lebendig vor der Seele? Und weil er ein Menschenkenner ist, so sind ihm die Menschen nicht Engel oder Teufel, sondern er zeichnet sie eben als Menschen, in ihren Schwächen und Vorzügen, er will nur sagen, wie es eigentlich gewesen ist, er will sie aus ihrem Entwicklungsgange und ihrer Umgebung heraus verstehen, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/613>, abgerufen am 01.07.2024.