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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

er denn gewissermaßen festgebannt in dieser engen Welt, er, dessen Blick die
ganze Welt umspannte. In dieser Abgeschlossenheit, zwischen Wiese, Donn¬
dorf und Schulpforte hat er bis in sein neunzehntes Jahr ohne Unterbrechung
gelebt, abgeschlossener noch als andre seines Alters durch das Wesen der
Klosterschule, in einer gewissermaßen aristokratischen Lebenslust. Und die geistige
Nahrung, die ihm namentlich in Schulpforte zufloß, in dieser malerischsten
der sächsischen Fürstenschnlen, die in ihrer abgeschiednen Lage im blühenden
Saalthale und in ihren Bauten noch am meisten von dem alten Klosterwesen
bewahrt hat, hatte auch etwas Weltfremdes, denn diese Jugend lebte und webte
in der antiken und biblischen Welt, die dem aus altem geistlichem Hause
stammenden Ranke von jeher besonders vertraut war. Selbst der Staat, dem er
noch zugehörte, Kursachsen, nahm von den Welthändeln keinen oder doch keinen
selbständigen Anteil; es stand erst in der Gefolgschaft Preußens, dann Napoleons,
den mau in Pforte bewunderte wie in Sachsen überhaupt. Wohl waren Ranke
und seine Altersgenossen am 14. Oktober 1806 von Wiese aus auf eine Anhöhe
gelaufen, um dem Kanonendonner von Auerstädt zu lauschen; später sah er am
Thore der Schulpforte Napoleon und seine Marschälle halten und seine Heer¬
säulen die alte, große Völkerstraße durch das Saalthal erst ostwärts und dann
westwärts ziehen, aber von dem Heldenzorn und der stürmischen Begeisterung der
preußischen Ghmnasialjugend von 1813 empfand er gar nichts, und anch nichts
von dem tiefen Groll so vieler Sachsen über die Teilung des Landes 1815;
wie ein Schauspiel, das ihn innerlich nicht weiter berührte, sah er die un¬
geheuern Schicksalswechsel dieser Jahre an sich vorüberziehen. Auch seine Uni¬
versitätsjahre 1814 bis 1818 erweckten in ihm keine tiefere Teilnahme für die
Zeitereignisse, denn er brachte sie in Leipzig zu. Und als er nun 1818 als
Gymnasiallehrer nach Preußen, nach Frankfurt a. O. übersiedelte und von
dort schon 1825 als außerordentlicher Professor an die Universität Berlin
berufen wurde -- denn damals war ein solcher Übergang noch nicht so selten
wie heute --, trat er in eine äußerlich wenig bewegte Welt. Während
die südwestdeutschen Staaten um ihre Verfassungen kämpften, blieb in Preußen
noch alles still; ein trotz mancher Fehlgriffe wohlmeinender und einsichts¬
voller Absolutismus, ein überaus tüchtiges Beamtentum, das in der That
eine Aristokratie der Bildung war, regierte das Land fast geräuschlos, ohne
jede Teilnahme des Volks an seinen großen Geschäften bis 1840 oder viel¬
mehr 1847. Und als dann der Sturm kam, hatte Ranke schon das fünfzigste
Lebensjahr überschritten, also das Alter erreicht, wo sich der Mensch nicht
mehr wesentlich ändert, wo er fertig ist. Aber schon mit seiner ersten
Studienreise 1827/30, die ihn durch Osterreich über Prag und Wien nach
Italien führte, war ihm die große Welt aufgegangen; in jenen fruchtbaren
Jahren der Wanderung wurde sein Blick universal. Seitdem hat er noch
oft Frankreich und England, Belgien und Holland besucht, also fast den
ganzen Umkreis der romanisch-germanischen Kulturvölker aus eigner An-


Zu Leopold Rankes hundertsten Geburtstag

er denn gewissermaßen festgebannt in dieser engen Welt, er, dessen Blick die
ganze Welt umspannte. In dieser Abgeschlossenheit, zwischen Wiese, Donn¬
dorf und Schulpforte hat er bis in sein neunzehntes Jahr ohne Unterbrechung
gelebt, abgeschlossener noch als andre seines Alters durch das Wesen der
Klosterschule, in einer gewissermaßen aristokratischen Lebenslust. Und die geistige
Nahrung, die ihm namentlich in Schulpforte zufloß, in dieser malerischsten
der sächsischen Fürstenschnlen, die in ihrer abgeschiednen Lage im blühenden
Saalthale und in ihren Bauten noch am meisten von dem alten Klosterwesen
bewahrt hat, hatte auch etwas Weltfremdes, denn diese Jugend lebte und webte
in der antiken und biblischen Welt, die dem aus altem geistlichem Hause
stammenden Ranke von jeher besonders vertraut war. Selbst der Staat, dem er
noch zugehörte, Kursachsen, nahm von den Welthändeln keinen oder doch keinen
selbständigen Anteil; es stand erst in der Gefolgschaft Preußens, dann Napoleons,
den mau in Pforte bewunderte wie in Sachsen überhaupt. Wohl waren Ranke
und seine Altersgenossen am 14. Oktober 1806 von Wiese aus auf eine Anhöhe
gelaufen, um dem Kanonendonner von Auerstädt zu lauschen; später sah er am
Thore der Schulpforte Napoleon und seine Marschälle halten und seine Heer¬
säulen die alte, große Völkerstraße durch das Saalthal erst ostwärts und dann
westwärts ziehen, aber von dem Heldenzorn und der stürmischen Begeisterung der
preußischen Ghmnasialjugend von 1813 empfand er gar nichts, und anch nichts
von dem tiefen Groll so vieler Sachsen über die Teilung des Landes 1815;
wie ein Schauspiel, das ihn innerlich nicht weiter berührte, sah er die un¬
geheuern Schicksalswechsel dieser Jahre an sich vorüberziehen. Auch seine Uni¬
versitätsjahre 1814 bis 1818 erweckten in ihm keine tiefere Teilnahme für die
Zeitereignisse, denn er brachte sie in Leipzig zu. Und als er nun 1818 als
Gymnasiallehrer nach Preußen, nach Frankfurt a. O. übersiedelte und von
dort schon 1825 als außerordentlicher Professor an die Universität Berlin
berufen wurde — denn damals war ein solcher Übergang noch nicht so selten
wie heute —, trat er in eine äußerlich wenig bewegte Welt. Während
die südwestdeutschen Staaten um ihre Verfassungen kämpften, blieb in Preußen
noch alles still; ein trotz mancher Fehlgriffe wohlmeinender und einsichts¬
voller Absolutismus, ein überaus tüchtiges Beamtentum, das in der That
eine Aristokratie der Bildung war, regierte das Land fast geräuschlos, ohne
jede Teilnahme des Volks an seinen großen Geschäften bis 1840 oder viel¬
mehr 1847. Und als dann der Sturm kam, hatte Ranke schon das fünfzigste
Lebensjahr überschritten, also das Alter erreicht, wo sich der Mensch nicht
mehr wesentlich ändert, wo er fertig ist. Aber schon mit seiner ersten
Studienreise 1827/30, die ihn durch Osterreich über Prag und Wien nach
Italien führte, war ihm die große Welt aufgegangen; in jenen fruchtbaren
Jahren der Wanderung wurde sein Blick universal. Seitdem hat er noch
oft Frankreich und England, Belgien und Holland besucht, also fast den
ganzen Umkreis der romanisch-germanischen Kulturvölker aus eigner An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/612>, abgerufen am 29.06.2024.