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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

möglich. Nach einem fünftägigen Marsch über ziemlich ebnes Land erreicht
man bei Dufilö den Beginn der Schissbarkeit des Obern Nil und des Albert-
sees, die sich über mehr als 300 Kilometer bis 1° 10' N.B. erstreckt. Von
Berber bis zum Rande des zentralafrikanischen Plateaus kann man gegen
3000 Kilometer schiffbaren Wegs rechnen. Dazu kommt das Süßwasserbinnen¬
meer des Großen Nyanza. Die natürlichen Ausmündungen dieses Weges sind
Kairo und Suakin, beide sast schon in englischen Händen, während die Be¬
setzung Ugandas aus die obern Anfänge desselben Weges gerichtet ist.

Bei dieser Umfassung und Beanspruchung des großen Stroms in seiner
ganzen schiffbaren Länge handelt es sich für England zunächst um die Siche¬
rung des Noten Meeres und der Wege nach Indien gegen französische und
vielleicht auch russische Eingriffe. Später kommt dann die Ausnützung der
natürlichen Vorteile für den englischen Handel. Der steht einstweilen noch der
seltsame theokratische Staat des Mahdi in Nubien, Sennar und Kordofan
entgegen, der den mittlern Niklaus umfaßt. Ihm haben die Engländer un¬
gemein geschickt die Italiener im Osten und durch zeitweilige Abtretung der ägyp¬
tischen obern Nilländer den Kongostaat im Süden in die Flanken gesetzt. Und wenn
er die Engländer hindert, den Nil hinaufzugehen, hindert er ja auch die Fran¬
zosen, an den Nil von Westen, der einzigen noch offnen Seite, heranzukommen.
Was Frankreich mit der schönen Phrase: Dem Khedive muß sein legitimer
Einfluß am obern Nil gewahrt bleiben, meint, das ist das Eintreten der Fran¬
zosen in die Stellung, die England den Belgiern dort angewiesen hat, das ist
weiter die Bedrohung der englischen Stellung in Ägypten und am Roten
Meer vom Rücken und in der linken Flanke und das Vordringen der Fran¬
zosen südlich von der italienischen Einflußsphäre bis an den Indischen Ozean.
Frankreich hat mit der Launenhaftigkeit und Willkür, die seine kolonialen
Unternehmungen immer kennzeichnete, früher zu wenig für eine zweckentsprechende
Fußfassung im Noten Meer, gerade wie am Suezkanal, gesorgt. Die Bucht
von Obok ist für seine Stellung im Indischen und Stillen Ozean und in
Afrika nicht genügend. Seitdem Italien den kühnen Schritt nach Abessinien
gethan hat, treibt auch Frankreich wieder abessinische und schoanische Politik,
zu deren Stütze nichts erwünschter wäre als eine Stellung am Sobat oder
am Blciueu Nil, jenen Nilzuflüssen, die von der verwundbarsten Seite Abessiniens,
der westlichen und südlichen, kommen. Daß die Stellung Frankreichs am obern
Nil auch Deutschland, das die Nilqnellc besitzt, unbequem werden könnte, findet
vielleicht in Paris auch Berücksichtigung. Wenn uns nach einigen bis¬
herigen Erfahrungen Frankreich in Afrika zeitweilig ein besserer Nachbar war
als England, so liegt das sicherlich nicht am Wollen, sondern am Können, und
das englische Übergewicht hat einstweilen für uns immer noch den Vorteil,
daß es Frankreich verhindert, uns dort so unbequem zu werden, wie es zweifel¬
los möchte.




Dardanellen und Nil

möglich. Nach einem fünftägigen Marsch über ziemlich ebnes Land erreicht
man bei Dufilö den Beginn der Schissbarkeit des Obern Nil und des Albert-
sees, die sich über mehr als 300 Kilometer bis 1° 10' N.B. erstreckt. Von
Berber bis zum Rande des zentralafrikanischen Plateaus kann man gegen
3000 Kilometer schiffbaren Wegs rechnen. Dazu kommt das Süßwasserbinnen¬
meer des Großen Nyanza. Die natürlichen Ausmündungen dieses Weges sind
Kairo und Suakin, beide sast schon in englischen Händen, während die Be¬
setzung Ugandas aus die obern Anfänge desselben Weges gerichtet ist.

Bei dieser Umfassung und Beanspruchung des großen Stroms in seiner
ganzen schiffbaren Länge handelt es sich für England zunächst um die Siche¬
rung des Noten Meeres und der Wege nach Indien gegen französische und
vielleicht auch russische Eingriffe. Später kommt dann die Ausnützung der
natürlichen Vorteile für den englischen Handel. Der steht einstweilen noch der
seltsame theokratische Staat des Mahdi in Nubien, Sennar und Kordofan
entgegen, der den mittlern Niklaus umfaßt. Ihm haben die Engländer un¬
gemein geschickt die Italiener im Osten und durch zeitweilige Abtretung der ägyp¬
tischen obern Nilländer den Kongostaat im Süden in die Flanken gesetzt. Und wenn
er die Engländer hindert, den Nil hinaufzugehen, hindert er ja auch die Fran¬
zosen, an den Nil von Westen, der einzigen noch offnen Seite, heranzukommen.
Was Frankreich mit der schönen Phrase: Dem Khedive muß sein legitimer
Einfluß am obern Nil gewahrt bleiben, meint, das ist das Eintreten der Fran¬
zosen in die Stellung, die England den Belgiern dort angewiesen hat, das ist
weiter die Bedrohung der englischen Stellung in Ägypten und am Roten
Meer vom Rücken und in der linken Flanke und das Vordringen der Fran¬
zosen südlich von der italienischen Einflußsphäre bis an den Indischen Ozean.
Frankreich hat mit der Launenhaftigkeit und Willkür, die seine kolonialen
Unternehmungen immer kennzeichnete, früher zu wenig für eine zweckentsprechende
Fußfassung im Noten Meer, gerade wie am Suezkanal, gesorgt. Die Bucht
von Obok ist für seine Stellung im Indischen und Stillen Ozean und in
Afrika nicht genügend. Seitdem Italien den kühnen Schritt nach Abessinien
gethan hat, treibt auch Frankreich wieder abessinische und schoanische Politik,
zu deren Stütze nichts erwünschter wäre als eine Stellung am Sobat oder
am Blciueu Nil, jenen Nilzuflüssen, die von der verwundbarsten Seite Abessiniens,
der westlichen und südlichen, kommen. Daß die Stellung Frankreichs am obern
Nil auch Deutschland, das die Nilqnellc besitzt, unbequem werden könnte, findet
vielleicht in Paris auch Berücksichtigung. Wenn uns nach einigen bis¬
herigen Erfahrungen Frankreich in Afrika zeitweilig ein besserer Nachbar war
als England, so liegt das sicherlich nicht am Wollen, sondern am Können, und
das englische Übergewicht hat einstweilen für uns immer noch den Vorteil,
daß es Frankreich verhindert, uns dort so unbequem zu werden, wie es zweifel¬
los möchte.




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[0570] Dardanellen und Nil möglich. Nach einem fünftägigen Marsch über ziemlich ebnes Land erreicht man bei Dufilö den Beginn der Schissbarkeit des Obern Nil und des Albert- sees, die sich über mehr als 300 Kilometer bis 1° 10' N.B. erstreckt. Von Berber bis zum Rande des zentralafrikanischen Plateaus kann man gegen 3000 Kilometer schiffbaren Wegs rechnen. Dazu kommt das Süßwasserbinnen¬ meer des Großen Nyanza. Die natürlichen Ausmündungen dieses Weges sind Kairo und Suakin, beide sast schon in englischen Händen, während die Be¬ setzung Ugandas aus die obern Anfänge desselben Weges gerichtet ist. Bei dieser Umfassung und Beanspruchung des großen Stroms in seiner ganzen schiffbaren Länge handelt es sich für England zunächst um die Siche¬ rung des Noten Meeres und der Wege nach Indien gegen französische und vielleicht auch russische Eingriffe. Später kommt dann die Ausnützung der natürlichen Vorteile für den englischen Handel. Der steht einstweilen noch der seltsame theokratische Staat des Mahdi in Nubien, Sennar und Kordofan entgegen, der den mittlern Niklaus umfaßt. Ihm haben die Engländer un¬ gemein geschickt die Italiener im Osten und durch zeitweilige Abtretung der ägyp¬ tischen obern Nilländer den Kongostaat im Süden in die Flanken gesetzt. Und wenn er die Engländer hindert, den Nil hinaufzugehen, hindert er ja auch die Fran¬ zosen, an den Nil von Westen, der einzigen noch offnen Seite, heranzukommen. Was Frankreich mit der schönen Phrase: Dem Khedive muß sein legitimer Einfluß am obern Nil gewahrt bleiben, meint, das ist das Eintreten der Fran¬ zosen in die Stellung, die England den Belgiern dort angewiesen hat, das ist weiter die Bedrohung der englischen Stellung in Ägypten und am Roten Meer vom Rücken und in der linken Flanke und das Vordringen der Fran¬ zosen südlich von der italienischen Einflußsphäre bis an den Indischen Ozean. Frankreich hat mit der Launenhaftigkeit und Willkür, die seine kolonialen Unternehmungen immer kennzeichnete, früher zu wenig für eine zweckentsprechende Fußfassung im Noten Meer, gerade wie am Suezkanal, gesorgt. Die Bucht von Obok ist für seine Stellung im Indischen und Stillen Ozean und in Afrika nicht genügend. Seitdem Italien den kühnen Schritt nach Abessinien gethan hat, treibt auch Frankreich wieder abessinische und schoanische Politik, zu deren Stütze nichts erwünschter wäre als eine Stellung am Sobat oder am Blciueu Nil, jenen Nilzuflüssen, die von der verwundbarsten Seite Abessiniens, der westlichen und südlichen, kommen. Daß die Stellung Frankreichs am obern Nil auch Deutschland, das die Nilqnellc besitzt, unbequem werden könnte, findet vielleicht in Paris auch Berücksichtigung. Wenn uns nach einigen bis¬ herigen Erfahrungen Frankreich in Afrika zeitweilig ein besserer Nachbar war als England, so liegt das sicherlich nicht am Wollen, sondern am Können, und das englische Übergewicht hat einstweilen für uns immer noch den Vorteil, daß es Frankreich verhindert, uns dort so unbequem zu werden, wie es zweifel¬ los möchte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/570>, abgerufen am 24.07.2024.