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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

Bedeutung um vieles steigern wird. Es wird sich daraus noch immer mehr
Grund ergeben, England womöglich aus seiner Stellung im untern Nildelta
zu verdrängen, aber es ist auch möglich, daß England gerade in den inner¬
afrikanischen Verwicklungen neue Kraft schöpft, allen Protesten gegen seine
ägyptische Stellung zu trotzen. Ägypten wird der Ausgangspunkt für den
Versuch, den ganzen Nil ebenso zu umfassen und für Englands Handel zu
Monopolisten, wie es mit dem Niger und dem Berne bereits geschehen ist.
Den Grundsatz dieser Politik verkündete die linuzs am 5. März 1895 in der
Erklärung, die man sich merken muß: "Es scheint manchem nicht wünschens¬
wert in Anbetracht der Stellung Englands in Ägypten, daß eine andre Macht
ein dem Flusse Fuß faßt, dem Ägypten sein Dasein verdankt." Das war dann
gleichsam das Programm für eine Versammlung von Citykaufleuten am
9. April, wo die Negierung die Erklärung abgeben ließ, daß infolge von
englischen und ägyptischen Ansprüchen die englische Einflußsphäre den ganzen
Wasserweg des Nil umfasse. Dieser Erklärung folgte lauter Beifall und die
Aufforderung, nun auch mit der Eisenbahn Mombas-Uganda Ernst zu machen.

Ein politischer Plan, der sich über mehr als dreißig Parallclgrade aus¬
breitet und eine Menge fast unbekannter Länder und Völker umfaßt, erscheint
uns vielleicht gewagt. Den Engländern, die nicht bloß als Staatsmänner mit
viel größerem Maßstabe messen, erscheint er nicht so. Für sie kann nur die
Frage sein, ob es jetzt passend sei, Schritte in dieser Richtung zu thun.
Als mich vor dreizehn Jahren ein glücklicher Zufall mit einem geistvollen
englischen Missionar zusammenführte, der in Uganda gewesen war, hörte ich
schon denselben Plan entwickeln. Für diesen Mann war es ganz zweifellos,
daß der Nil als bester Weg in das Innere Afrikas eine großartige politische
und wirtschaftliche Zukunft habe. Deutschland besaß damals noch keinen Fuß
breit afrikanischen Bodens! Gewiß war es eine der von England am un¬
angenehmsten empfundnen Folgen der seitdem entstandnen deutschen Kolonial-
Politik, daß Deutschland bis in das Gebiet des großen Nyanza oder Viktoria¬
sees vordrang. Aber die 1890er Abkommen schoben rasch einen Riegel vor,
und Deutschland machte beim 1. Grade südlicher Breite halt. Dann kam
Italien und setzte sich in einem andern Nilquellgebiet, dem abessinischen fest,
aus dem der Blaue Nil kommt. Auch hier sorgte ein Vertrag dafür, daß
Italien dem schiffbaren Strom fern bleibt. Welcher schöne Zufall! Die
Freunde Deutschland und Italien sehen aus dem Quellgebirge des Weißen und
des Blauen Nil der Schiffbarmachung des mächtigen Stromes zu, die sicher¬
lich nicht lange auf sich warten lassen wird.

Die Schissbarkeit des Nil ist für afrikanische Verhältnisse bedeutend. Von
Mitte Juli bis Mitte September, beim höchsten Stand der Flut, ist der Nil von
Kairo bis Khartum, das ganze Jahr ist er von Khartum bis Redjaf (4"-40< N. B.)
schiffbar. Mit Ausnahme einer Tragstelle ist Schiffahrt bis Kiri (4° 18' N. B.)


Dardanellen und Nil

Bedeutung um vieles steigern wird. Es wird sich daraus noch immer mehr
Grund ergeben, England womöglich aus seiner Stellung im untern Nildelta
zu verdrängen, aber es ist auch möglich, daß England gerade in den inner¬
afrikanischen Verwicklungen neue Kraft schöpft, allen Protesten gegen seine
ägyptische Stellung zu trotzen. Ägypten wird der Ausgangspunkt für den
Versuch, den ganzen Nil ebenso zu umfassen und für Englands Handel zu
Monopolisten, wie es mit dem Niger und dem Berne bereits geschehen ist.
Den Grundsatz dieser Politik verkündete die linuzs am 5. März 1895 in der
Erklärung, die man sich merken muß: „Es scheint manchem nicht wünschens¬
wert in Anbetracht der Stellung Englands in Ägypten, daß eine andre Macht
ein dem Flusse Fuß faßt, dem Ägypten sein Dasein verdankt." Das war dann
gleichsam das Programm für eine Versammlung von Citykaufleuten am
9. April, wo die Negierung die Erklärung abgeben ließ, daß infolge von
englischen und ägyptischen Ansprüchen die englische Einflußsphäre den ganzen
Wasserweg des Nil umfasse. Dieser Erklärung folgte lauter Beifall und die
Aufforderung, nun auch mit der Eisenbahn Mombas-Uganda Ernst zu machen.

Ein politischer Plan, der sich über mehr als dreißig Parallclgrade aus¬
breitet und eine Menge fast unbekannter Länder und Völker umfaßt, erscheint
uns vielleicht gewagt. Den Engländern, die nicht bloß als Staatsmänner mit
viel größerem Maßstabe messen, erscheint er nicht so. Für sie kann nur die
Frage sein, ob es jetzt passend sei, Schritte in dieser Richtung zu thun.
Als mich vor dreizehn Jahren ein glücklicher Zufall mit einem geistvollen
englischen Missionar zusammenführte, der in Uganda gewesen war, hörte ich
schon denselben Plan entwickeln. Für diesen Mann war es ganz zweifellos,
daß der Nil als bester Weg in das Innere Afrikas eine großartige politische
und wirtschaftliche Zukunft habe. Deutschland besaß damals noch keinen Fuß
breit afrikanischen Bodens! Gewiß war es eine der von England am un¬
angenehmsten empfundnen Folgen der seitdem entstandnen deutschen Kolonial-
Politik, daß Deutschland bis in das Gebiet des großen Nyanza oder Viktoria¬
sees vordrang. Aber die 1890er Abkommen schoben rasch einen Riegel vor,
und Deutschland machte beim 1. Grade südlicher Breite halt. Dann kam
Italien und setzte sich in einem andern Nilquellgebiet, dem abessinischen fest,
aus dem der Blaue Nil kommt. Auch hier sorgte ein Vertrag dafür, daß
Italien dem schiffbaren Strom fern bleibt. Welcher schöne Zufall! Die
Freunde Deutschland und Italien sehen aus dem Quellgebirge des Weißen und
des Blauen Nil der Schiffbarmachung des mächtigen Stromes zu, die sicher¬
lich nicht lange auf sich warten lassen wird.

Die Schissbarkeit des Nil ist für afrikanische Verhältnisse bedeutend. Von
Mitte Juli bis Mitte September, beim höchsten Stand der Flut, ist der Nil von
Kairo bis Khartum, das ganze Jahr ist er von Khartum bis Redjaf (4«-40< N. B.)
schiffbar. Mit Ausnahme einer Tragstelle ist Schiffahrt bis Kiri (4° 18' N. B.)


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[0569] Dardanellen und Nil Bedeutung um vieles steigern wird. Es wird sich daraus noch immer mehr Grund ergeben, England womöglich aus seiner Stellung im untern Nildelta zu verdrängen, aber es ist auch möglich, daß England gerade in den inner¬ afrikanischen Verwicklungen neue Kraft schöpft, allen Protesten gegen seine ägyptische Stellung zu trotzen. Ägypten wird der Ausgangspunkt für den Versuch, den ganzen Nil ebenso zu umfassen und für Englands Handel zu Monopolisten, wie es mit dem Niger und dem Berne bereits geschehen ist. Den Grundsatz dieser Politik verkündete die linuzs am 5. März 1895 in der Erklärung, die man sich merken muß: „Es scheint manchem nicht wünschens¬ wert in Anbetracht der Stellung Englands in Ägypten, daß eine andre Macht ein dem Flusse Fuß faßt, dem Ägypten sein Dasein verdankt." Das war dann gleichsam das Programm für eine Versammlung von Citykaufleuten am 9. April, wo die Negierung die Erklärung abgeben ließ, daß infolge von englischen und ägyptischen Ansprüchen die englische Einflußsphäre den ganzen Wasserweg des Nil umfasse. Dieser Erklärung folgte lauter Beifall und die Aufforderung, nun auch mit der Eisenbahn Mombas-Uganda Ernst zu machen. Ein politischer Plan, der sich über mehr als dreißig Parallclgrade aus¬ breitet und eine Menge fast unbekannter Länder und Völker umfaßt, erscheint uns vielleicht gewagt. Den Engländern, die nicht bloß als Staatsmänner mit viel größerem Maßstabe messen, erscheint er nicht so. Für sie kann nur die Frage sein, ob es jetzt passend sei, Schritte in dieser Richtung zu thun. Als mich vor dreizehn Jahren ein glücklicher Zufall mit einem geistvollen englischen Missionar zusammenführte, der in Uganda gewesen war, hörte ich schon denselben Plan entwickeln. Für diesen Mann war es ganz zweifellos, daß der Nil als bester Weg in das Innere Afrikas eine großartige politische und wirtschaftliche Zukunft habe. Deutschland besaß damals noch keinen Fuß breit afrikanischen Bodens! Gewiß war es eine der von England am un¬ angenehmsten empfundnen Folgen der seitdem entstandnen deutschen Kolonial- Politik, daß Deutschland bis in das Gebiet des großen Nyanza oder Viktoria¬ sees vordrang. Aber die 1890er Abkommen schoben rasch einen Riegel vor, und Deutschland machte beim 1. Grade südlicher Breite halt. Dann kam Italien und setzte sich in einem andern Nilquellgebiet, dem abessinischen fest, aus dem der Blaue Nil kommt. Auch hier sorgte ein Vertrag dafür, daß Italien dem schiffbaren Strom fern bleibt. Welcher schöne Zufall! Die Freunde Deutschland und Italien sehen aus dem Quellgebirge des Weißen und des Blauen Nil der Schiffbarmachung des mächtigen Stromes zu, die sicher¬ lich nicht lange auf sich warten lassen wird. Die Schissbarkeit des Nil ist für afrikanische Verhältnisse bedeutend. Von Mitte Juli bis Mitte September, beim höchsten Stand der Flut, ist der Nil von Kairo bis Khartum, das ganze Jahr ist er von Khartum bis Redjaf (4«-40< N. B.) schiffbar. Mit Ausnahme einer Tragstelle ist Schiffahrt bis Kiri (4° 18' N. B.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/569>, abgerufen am 24.07.2024.