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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

in ihren Adern fehlt es an den gesunden Säften eines mit Naturgewalt
wachsenden, sich Boden schaffenden Volks. Welcher bezeichnende Unterschied von
Deutschland, dessen wirtschaftliche und Verkehrsinteressen in Ägypten seit etwa
fünfzehn Jahren in raschem Zunehmen begriffen sind -- 1882 109 deutsche
Schiffe durch den Suezkanal, 1891 318, während die französischen nur von
165 auf 171 gestiegen sind --, und das sich dabei politisch so ruhig wie möglich
verhalten hat! Es ist darüber von deutscher wie von französischer Seite an¬
gegriffen worden. Wir glauben, mit Unrecht. Deutschland wird nie das Auf¬
gehen Ägyptens in das englische Weltreich zugeben, das erlaubt seine Stellung
im Weltverkehr noch weniger als die Frankreichs. Aber es kann sich nicht zum
Genossen der hektischen, launenhaften Mittelmeerpolitik Frankreichs machen,
über deren praktische Ziele die meisten französischen Politiker nichts andres zu
sagen wissen, als daß Frankreich den ihm gebührenden Einfluß am Nil wieder¬
gewinnen müsse.

In einer Unterredung mit einem Korrespondenten der Vossischen Zeitung
in Kairo (veröffentlicht am 7. Mai 1895) führte Delonele, französischer Ab¬
geordneter und politischer Ägyptolog, die Lage in Ägypten und am obern
Nil auf die moralische Unterstützung zurück, die Deutschland allen Unter¬
nehmungen Englands habe angedeihen lassen. Und doch sei die Gemein¬
samkeit der französischen und deutschen Interessen nicht bloß dort, sondern
überhaupt in Afrika so offenkundig, daß sie gar keiner Darlegung bedürfe.
Wo beide zusammenwirkten, wie auf dem Berliner Kongreß von 1885, wo der
Kongostaat geschaffen worden sei, um England vom Kongo und obern Nil
fernzuhalten, hätten sie sich ein gemeinsames Verdienst um Europa erworben.
Das Vorgehen Englands in Afrika seit 1890 zeige, daß Deutschland keinen
Dank von dieser Seite zu erwarten habe. Ein neuer Berliner Kongreß möge
Europa von der ägyptischen Frage befreien. Seit dreizehn Jahren sei die
Ordnung in Ägypten hergestellt, und England sei immer noch dort.

Die Geschichte der ägyptisch-europäischen Beziehungen bietet nicht den
kleinsten Anhalt für die Annahme, daß Deutschland dort England in der
Zurückdrängung Frankreichs unterstützt habe. Diese ist allerdings eine von
den zahlreichen Folgeerscheinungen des allgemeinen Sinkens des französischen
Einflusses seit 1870, und insofern mögen die Franzosen Deutschland auch dafür
mit verantwortlich machen. Für Deutschland ist aber ein französisches Ägypten
ebensowenig wünschenswert wie ein englisches. Die Einmischung der Franzosen
in die innere Politik Ägyptens, sowie ihre mit übertriebnen Ansprüchen auf¬
tretende und doch nicht folgerichtige Behandlung äußrer Aufgaben lassen
allerdings dort ein Zusammengehen mit Frankreich womöglich noch weniger
wünschenswert erscheinen als mit England. --

Die bevorstehende Entwicklung Jnnerafrikas giebt der ägyptischen Frage
seit einiger Zeit eine Wendung nach innen, die in wenigen Jahren ihre


Dardanellen und Nil

in ihren Adern fehlt es an den gesunden Säften eines mit Naturgewalt
wachsenden, sich Boden schaffenden Volks. Welcher bezeichnende Unterschied von
Deutschland, dessen wirtschaftliche und Verkehrsinteressen in Ägypten seit etwa
fünfzehn Jahren in raschem Zunehmen begriffen sind — 1882 109 deutsche
Schiffe durch den Suezkanal, 1891 318, während die französischen nur von
165 auf 171 gestiegen sind —, und das sich dabei politisch so ruhig wie möglich
verhalten hat! Es ist darüber von deutscher wie von französischer Seite an¬
gegriffen worden. Wir glauben, mit Unrecht. Deutschland wird nie das Auf¬
gehen Ägyptens in das englische Weltreich zugeben, das erlaubt seine Stellung
im Weltverkehr noch weniger als die Frankreichs. Aber es kann sich nicht zum
Genossen der hektischen, launenhaften Mittelmeerpolitik Frankreichs machen,
über deren praktische Ziele die meisten französischen Politiker nichts andres zu
sagen wissen, als daß Frankreich den ihm gebührenden Einfluß am Nil wieder¬
gewinnen müsse.

In einer Unterredung mit einem Korrespondenten der Vossischen Zeitung
in Kairo (veröffentlicht am 7. Mai 1895) führte Delonele, französischer Ab¬
geordneter und politischer Ägyptolog, die Lage in Ägypten und am obern
Nil auf die moralische Unterstützung zurück, die Deutschland allen Unter¬
nehmungen Englands habe angedeihen lassen. Und doch sei die Gemein¬
samkeit der französischen und deutschen Interessen nicht bloß dort, sondern
überhaupt in Afrika so offenkundig, daß sie gar keiner Darlegung bedürfe.
Wo beide zusammenwirkten, wie auf dem Berliner Kongreß von 1885, wo der
Kongostaat geschaffen worden sei, um England vom Kongo und obern Nil
fernzuhalten, hätten sie sich ein gemeinsames Verdienst um Europa erworben.
Das Vorgehen Englands in Afrika seit 1890 zeige, daß Deutschland keinen
Dank von dieser Seite zu erwarten habe. Ein neuer Berliner Kongreß möge
Europa von der ägyptischen Frage befreien. Seit dreizehn Jahren sei die
Ordnung in Ägypten hergestellt, und England sei immer noch dort.

Die Geschichte der ägyptisch-europäischen Beziehungen bietet nicht den
kleinsten Anhalt für die Annahme, daß Deutschland dort England in der
Zurückdrängung Frankreichs unterstützt habe. Diese ist allerdings eine von
den zahlreichen Folgeerscheinungen des allgemeinen Sinkens des französischen
Einflusses seit 1870, und insofern mögen die Franzosen Deutschland auch dafür
mit verantwortlich machen. Für Deutschland ist aber ein französisches Ägypten
ebensowenig wünschenswert wie ein englisches. Die Einmischung der Franzosen
in die innere Politik Ägyptens, sowie ihre mit übertriebnen Ansprüchen auf¬
tretende und doch nicht folgerichtige Behandlung äußrer Aufgaben lassen
allerdings dort ein Zusammengehen mit Frankreich womöglich noch weniger
wünschenswert erscheinen als mit England. —

Die bevorstehende Entwicklung Jnnerafrikas giebt der ägyptischen Frage
seit einiger Zeit eine Wendung nach innen, die in wenigen Jahren ihre


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[0568] Dardanellen und Nil in ihren Adern fehlt es an den gesunden Säften eines mit Naturgewalt wachsenden, sich Boden schaffenden Volks. Welcher bezeichnende Unterschied von Deutschland, dessen wirtschaftliche und Verkehrsinteressen in Ägypten seit etwa fünfzehn Jahren in raschem Zunehmen begriffen sind — 1882 109 deutsche Schiffe durch den Suezkanal, 1891 318, während die französischen nur von 165 auf 171 gestiegen sind —, und das sich dabei politisch so ruhig wie möglich verhalten hat! Es ist darüber von deutscher wie von französischer Seite an¬ gegriffen worden. Wir glauben, mit Unrecht. Deutschland wird nie das Auf¬ gehen Ägyptens in das englische Weltreich zugeben, das erlaubt seine Stellung im Weltverkehr noch weniger als die Frankreichs. Aber es kann sich nicht zum Genossen der hektischen, launenhaften Mittelmeerpolitik Frankreichs machen, über deren praktische Ziele die meisten französischen Politiker nichts andres zu sagen wissen, als daß Frankreich den ihm gebührenden Einfluß am Nil wieder¬ gewinnen müsse. In einer Unterredung mit einem Korrespondenten der Vossischen Zeitung in Kairo (veröffentlicht am 7. Mai 1895) führte Delonele, französischer Ab¬ geordneter und politischer Ägyptolog, die Lage in Ägypten und am obern Nil auf die moralische Unterstützung zurück, die Deutschland allen Unter¬ nehmungen Englands habe angedeihen lassen. Und doch sei die Gemein¬ samkeit der französischen und deutschen Interessen nicht bloß dort, sondern überhaupt in Afrika so offenkundig, daß sie gar keiner Darlegung bedürfe. Wo beide zusammenwirkten, wie auf dem Berliner Kongreß von 1885, wo der Kongostaat geschaffen worden sei, um England vom Kongo und obern Nil fernzuhalten, hätten sie sich ein gemeinsames Verdienst um Europa erworben. Das Vorgehen Englands in Afrika seit 1890 zeige, daß Deutschland keinen Dank von dieser Seite zu erwarten habe. Ein neuer Berliner Kongreß möge Europa von der ägyptischen Frage befreien. Seit dreizehn Jahren sei die Ordnung in Ägypten hergestellt, und England sei immer noch dort. Die Geschichte der ägyptisch-europäischen Beziehungen bietet nicht den kleinsten Anhalt für die Annahme, daß Deutschland dort England in der Zurückdrängung Frankreichs unterstützt habe. Diese ist allerdings eine von den zahlreichen Folgeerscheinungen des allgemeinen Sinkens des französischen Einflusses seit 1870, und insofern mögen die Franzosen Deutschland auch dafür mit verantwortlich machen. Für Deutschland ist aber ein französisches Ägypten ebensowenig wünschenswert wie ein englisches. Die Einmischung der Franzosen in die innere Politik Ägyptens, sowie ihre mit übertriebnen Ansprüchen auf¬ tretende und doch nicht folgerichtige Behandlung äußrer Aufgaben lassen allerdings dort ein Zusammengehen mit Frankreich womöglich noch weniger wünschenswert erscheinen als mit England. — Die bevorstehende Entwicklung Jnnerafrikas giebt der ägyptischen Frage seit einiger Zeit eine Wendung nach innen, die in wenigen Jahren ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/568>, abgerufen am 24.07.2024.