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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

Als Lord Dufferin 1883 die von Ismail Pascha nach europäischem Muster
geschaffne Notabelnkammer in einen gesetzgebenden Rat umzuwandeln riet, ahnte
er nicht, welche Rute er damit für England band. Unter dem jungen Khedive
ist diese Körperschaft, in der einst "alles auf der Rechten" saß, der Herd der
Anklagen und der Opposition gegen England geworden. Seitdem für jeden
Ägypter der obern Klassen Loyalität und englandfeindliche Gesinnung gleich¬
bedeutend geworden sind, ist der gesetzgebende Körper das Instrument, auf
dem die Melodieen gespielt werden, die Ägypten als mißregiert und ausgebeutet
hinstellen. Angesichts der um sich greifenden Anglisirung aller Verwaltungs¬
zweige und der wachsenden Abhängigkeit der Wirtschaft Ägyptens von Eng¬
land hat es nur einen dünnen Schein von Wahrheit, den unzweifelhaften
wirtschaftlichen Erfolg Englands in Ägypten als einen Vorteil hinzustellen,
der am meisten den Feinden Englands, in erster Linie Frankreich, dem angeblichen
Hauptgläubiger, zu gute komme. Auch das Vorgeben, daß England nur Schwäche
gezeigt habe, vor den Ägyptern und Franzosen zurückweiche, seine Sprache
unterdrücken lasse u. dergl., ist sogar im Munde so kundiger Engländer wie
des in die ägyptischen Angelegenheiten eingeweihten Sir William Marriot mehr
Redensart. Sie wollen damit das Planvolle ihres Vorgehens verdecken und
die Selbstbeschränkung bemänteln, die sie sich heute, mit Rücksicht aus die andern
Mächte, noch auferlegen müssen.

Es ist eine Qual für den ehrlichen Politiker, daß unter diesen Umständen
die Berichterstattung über Ägypten ungemein unzuverlässig geworden ist. Be¬
sonders die englischen Briefe schillern in allen Tönen zwischen rosig und asch¬
grau, je nachdem England und sein erster Diener Nubar Grund zur Zufrieden¬
heit mit dem Khedive und seinen Freunden oder zum Mißtrauen haben. Es
war sehr erheiternd, zu sehen, wie ihre düstern Schilderungen, Warnungen
und Drohungen, eine ganze unheilschwangre Wolke, sich im letzten Frühjahr
verzog, sobald der Khedive die Angriffe auf englische Offiziere usw. mit harten
Strafen bedroht hatte. Die französischen Berichte sind um nichts weniger zu¬
verlässig. In ihnen spielt das Drohen mit Rußland eine zu große Rolle,
wie denn überhaupt den französischen Meinungsäußerungen in dieser Frage
etwas ganz besonders Unklares und ungesund Rhetorisches innewohnt. das
sich von der soliden, ebenso vorsichtigen wie planvollen Interessenpolitik der
Engländer nicht zu seinem Vorteil abhebt. Wie schade, daß dieses im Innern
so knltnrkräftige Volk nur ein schlechter Vertreter der kontinental-europäischen
Interessen gegenüber England ist! Sein politischer und wirtschaftlicher Rück¬
gang in Ägypten ist klar. Die Fehler, die seine Diplomatie begangen hat,
sind die Stufen, auf deuen England zu seinem jetzigen Einfluß emporgestiegen
ist. Nur die türkische hat noch ungeschickter gehandelt. Die französische Politik
entbehrt eben anch hier des Rückhalts eines im großen Stil wirtschaftlich und
kolonisatorisch thätigen Volks. Da mag sie noch so geistreich geführt werden,


Dardanellen und Nil

Als Lord Dufferin 1883 die von Ismail Pascha nach europäischem Muster
geschaffne Notabelnkammer in einen gesetzgebenden Rat umzuwandeln riet, ahnte
er nicht, welche Rute er damit für England band. Unter dem jungen Khedive
ist diese Körperschaft, in der einst „alles auf der Rechten" saß, der Herd der
Anklagen und der Opposition gegen England geworden. Seitdem für jeden
Ägypter der obern Klassen Loyalität und englandfeindliche Gesinnung gleich¬
bedeutend geworden sind, ist der gesetzgebende Körper das Instrument, auf
dem die Melodieen gespielt werden, die Ägypten als mißregiert und ausgebeutet
hinstellen. Angesichts der um sich greifenden Anglisirung aller Verwaltungs¬
zweige und der wachsenden Abhängigkeit der Wirtschaft Ägyptens von Eng¬
land hat es nur einen dünnen Schein von Wahrheit, den unzweifelhaften
wirtschaftlichen Erfolg Englands in Ägypten als einen Vorteil hinzustellen,
der am meisten den Feinden Englands, in erster Linie Frankreich, dem angeblichen
Hauptgläubiger, zu gute komme. Auch das Vorgeben, daß England nur Schwäche
gezeigt habe, vor den Ägyptern und Franzosen zurückweiche, seine Sprache
unterdrücken lasse u. dergl., ist sogar im Munde so kundiger Engländer wie
des in die ägyptischen Angelegenheiten eingeweihten Sir William Marriot mehr
Redensart. Sie wollen damit das Planvolle ihres Vorgehens verdecken und
die Selbstbeschränkung bemänteln, die sie sich heute, mit Rücksicht aus die andern
Mächte, noch auferlegen müssen.

Es ist eine Qual für den ehrlichen Politiker, daß unter diesen Umständen
die Berichterstattung über Ägypten ungemein unzuverlässig geworden ist. Be¬
sonders die englischen Briefe schillern in allen Tönen zwischen rosig und asch¬
grau, je nachdem England und sein erster Diener Nubar Grund zur Zufrieden¬
heit mit dem Khedive und seinen Freunden oder zum Mißtrauen haben. Es
war sehr erheiternd, zu sehen, wie ihre düstern Schilderungen, Warnungen
und Drohungen, eine ganze unheilschwangre Wolke, sich im letzten Frühjahr
verzog, sobald der Khedive die Angriffe auf englische Offiziere usw. mit harten
Strafen bedroht hatte. Die französischen Berichte sind um nichts weniger zu¬
verlässig. In ihnen spielt das Drohen mit Rußland eine zu große Rolle,
wie denn überhaupt den französischen Meinungsäußerungen in dieser Frage
etwas ganz besonders Unklares und ungesund Rhetorisches innewohnt. das
sich von der soliden, ebenso vorsichtigen wie planvollen Interessenpolitik der
Engländer nicht zu seinem Vorteil abhebt. Wie schade, daß dieses im Innern
so knltnrkräftige Volk nur ein schlechter Vertreter der kontinental-europäischen
Interessen gegenüber England ist! Sein politischer und wirtschaftlicher Rück¬
gang in Ägypten ist klar. Die Fehler, die seine Diplomatie begangen hat,
sind die Stufen, auf deuen England zu seinem jetzigen Einfluß emporgestiegen
ist. Nur die türkische hat noch ungeschickter gehandelt. Die französische Politik
entbehrt eben anch hier des Rückhalts eines im großen Stil wirtschaftlich und
kolonisatorisch thätigen Volks. Da mag sie noch so geistreich geführt werden,


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[0567] Dardanellen und Nil Als Lord Dufferin 1883 die von Ismail Pascha nach europäischem Muster geschaffne Notabelnkammer in einen gesetzgebenden Rat umzuwandeln riet, ahnte er nicht, welche Rute er damit für England band. Unter dem jungen Khedive ist diese Körperschaft, in der einst „alles auf der Rechten" saß, der Herd der Anklagen und der Opposition gegen England geworden. Seitdem für jeden Ägypter der obern Klassen Loyalität und englandfeindliche Gesinnung gleich¬ bedeutend geworden sind, ist der gesetzgebende Körper das Instrument, auf dem die Melodieen gespielt werden, die Ägypten als mißregiert und ausgebeutet hinstellen. Angesichts der um sich greifenden Anglisirung aller Verwaltungs¬ zweige und der wachsenden Abhängigkeit der Wirtschaft Ägyptens von Eng¬ land hat es nur einen dünnen Schein von Wahrheit, den unzweifelhaften wirtschaftlichen Erfolg Englands in Ägypten als einen Vorteil hinzustellen, der am meisten den Feinden Englands, in erster Linie Frankreich, dem angeblichen Hauptgläubiger, zu gute komme. Auch das Vorgeben, daß England nur Schwäche gezeigt habe, vor den Ägyptern und Franzosen zurückweiche, seine Sprache unterdrücken lasse u. dergl., ist sogar im Munde so kundiger Engländer wie des in die ägyptischen Angelegenheiten eingeweihten Sir William Marriot mehr Redensart. Sie wollen damit das Planvolle ihres Vorgehens verdecken und die Selbstbeschränkung bemänteln, die sie sich heute, mit Rücksicht aus die andern Mächte, noch auferlegen müssen. Es ist eine Qual für den ehrlichen Politiker, daß unter diesen Umständen die Berichterstattung über Ägypten ungemein unzuverlässig geworden ist. Be¬ sonders die englischen Briefe schillern in allen Tönen zwischen rosig und asch¬ grau, je nachdem England und sein erster Diener Nubar Grund zur Zufrieden¬ heit mit dem Khedive und seinen Freunden oder zum Mißtrauen haben. Es war sehr erheiternd, zu sehen, wie ihre düstern Schilderungen, Warnungen und Drohungen, eine ganze unheilschwangre Wolke, sich im letzten Frühjahr verzog, sobald der Khedive die Angriffe auf englische Offiziere usw. mit harten Strafen bedroht hatte. Die französischen Berichte sind um nichts weniger zu¬ verlässig. In ihnen spielt das Drohen mit Rußland eine zu große Rolle, wie denn überhaupt den französischen Meinungsäußerungen in dieser Frage etwas ganz besonders Unklares und ungesund Rhetorisches innewohnt. das sich von der soliden, ebenso vorsichtigen wie planvollen Interessenpolitik der Engländer nicht zu seinem Vorteil abhebt. Wie schade, daß dieses im Innern so knltnrkräftige Volk nur ein schlechter Vertreter der kontinental-europäischen Interessen gegenüber England ist! Sein politischer und wirtschaftlicher Rück¬ gang in Ägypten ist klar. Die Fehler, die seine Diplomatie begangen hat, sind die Stufen, auf deuen England zu seinem jetzigen Einfluß emporgestiegen ist. Nur die türkische hat noch ungeschickter gehandelt. Die französische Politik entbehrt eben anch hier des Rückhalts eines im großen Stil wirtschaftlich und kolonisatorisch thätigen Volks. Da mag sie noch so geistreich geführt werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/567>, abgerufen am 24.07.2024.