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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

reift. Es liegt im Interesse Englands, aber nicht der übrigen Mächte, Ägypten
in große wirtschaftliche Unternehmungen zu verwickeln, die immer neue und
stärkere englisch-ägyptische Beziehungen schaffen und mehr Engländer in ägyptische
Dienste ziehen sollen. Es hat ja den Erfolg der Hebung der ägyptischen
Finanzen für sich, die sich seit 1887 aus dem hoffnungslosen Defizit erhoben
haben. Einige ägyptische Anleihen sind nach der Konversion über Pari gestiegen.
Dennoch hat Europa seine Aufsicht durch die L!omni88ioii as 1a vstte- public^us,
die auf die Liquidationskommission von 1880 zurückgeht, nicht vermindert. Es
ist im gegenwärtigen Augenblick lehrreich, daran zu erinnern, daß die Ver¬
stärkung dieser Kommission durch einen deutschen und einen russischen Ver¬
treter 1885 gegen den Widerstand Englands und des englisch gesinnten Staats -
Ministers Nubcir, eines Armeniers, wesentlich durch den von Österreich und
Italien ausgeübten Druck durchgesetzt worden ist. England konnte sich bei
seinen Ansprüchen auf ein Vorrecht in der Verwaltung der ägyptischen Finanzen
allerdings auf eine sehr gewichtige Thatsache stützen: die große Konversion von
1890 zeigte, daß in England 64 Prozent der ägyptischen Schuld liegen, in
Frankreich 25, in Deutschland 7; und dazu kommt der Anteil Englands an
Suezkanalaktien, der ungefähr zwei Fünftel der ganzen Summe beträgt.

England hat in Indien die größte Schule der orientalischen Verwaltung
durchgemacht und ist ohne Zweifel insofern besser befähigt, Ägypten zu regieren,
als irgend eine andre Macht in Europa. Es versteht die planmüßige Aus¬
beutung des Volks gründlich, aber ohne auffallende Grausamkeit zu betreiben;
es kann sich mit Recht darauf berufen, daß es die Lage der armen Steuer¬
zahler verbessert habe. Aber es zieht auch die Steuerschraube in dem Maße
fester an, als das Einkommen wächst. Es hat eine Auswahl von Beamten
und Offizieren, die Meister in der Kunst des Umgangs mit orientalischen Des¬
poten sind, die selbst ans der Erziehung von Nadschah- und Snltanskindern
eine Wissenschaft gemacht haben. Diese Leute verstehen so gut zu schmeicheln
wie Handschellen anzulegen. Den Gegensatz zwischen Arabern und Türken
weiß England trefflich auszunutzen. Auch in Ägypten befolgt es die Politik
der Begünstigung der Eingebornen, die hier immer zugleich eine Spitze gegen
die Türken und die andern Fremden hat. Ohne die von Frankreich planmüßig
erhobnen Einsprüche, die diesem die internationale Schuldenkontrolle einräumt,
würde es längst weitgehende Verbesserungen der Lage der Fellahs durchgeführt
haben. Trotz ihrer Begünstigung englischer Privatinteressen und trotz ihres
Nepotismus ist die englische Verwaltung Ägyptens so viel besser als die ein¬
heimische, daß Frankreich fürchtet, sie könnte England bei der Masse der viel¬
geplagten ägyptischen Unterthanen zu früh populär werden lassen. Deswegen
und aus Tradition steht Frankreich auf der Seite der Pascha und Effendi,
die die Bauern rücksichtlos, wie einst, aussaugen möchten. Von dieser Seite
geht die heftige, mit vollen Börsen arbeitende Opposition gegen England aus.


Dardanellen und Nil

reift. Es liegt im Interesse Englands, aber nicht der übrigen Mächte, Ägypten
in große wirtschaftliche Unternehmungen zu verwickeln, die immer neue und
stärkere englisch-ägyptische Beziehungen schaffen und mehr Engländer in ägyptische
Dienste ziehen sollen. Es hat ja den Erfolg der Hebung der ägyptischen
Finanzen für sich, die sich seit 1887 aus dem hoffnungslosen Defizit erhoben
haben. Einige ägyptische Anleihen sind nach der Konversion über Pari gestiegen.
Dennoch hat Europa seine Aufsicht durch die L!omni88ioii as 1a vstte- public^us,
die auf die Liquidationskommission von 1880 zurückgeht, nicht vermindert. Es
ist im gegenwärtigen Augenblick lehrreich, daran zu erinnern, daß die Ver¬
stärkung dieser Kommission durch einen deutschen und einen russischen Ver¬
treter 1885 gegen den Widerstand Englands und des englisch gesinnten Staats -
Ministers Nubcir, eines Armeniers, wesentlich durch den von Österreich und
Italien ausgeübten Druck durchgesetzt worden ist. England konnte sich bei
seinen Ansprüchen auf ein Vorrecht in der Verwaltung der ägyptischen Finanzen
allerdings auf eine sehr gewichtige Thatsache stützen: die große Konversion von
1890 zeigte, daß in England 64 Prozent der ägyptischen Schuld liegen, in
Frankreich 25, in Deutschland 7; und dazu kommt der Anteil Englands an
Suezkanalaktien, der ungefähr zwei Fünftel der ganzen Summe beträgt.

England hat in Indien die größte Schule der orientalischen Verwaltung
durchgemacht und ist ohne Zweifel insofern besser befähigt, Ägypten zu regieren,
als irgend eine andre Macht in Europa. Es versteht die planmüßige Aus¬
beutung des Volks gründlich, aber ohne auffallende Grausamkeit zu betreiben;
es kann sich mit Recht darauf berufen, daß es die Lage der armen Steuer¬
zahler verbessert habe. Aber es zieht auch die Steuerschraube in dem Maße
fester an, als das Einkommen wächst. Es hat eine Auswahl von Beamten
und Offizieren, die Meister in der Kunst des Umgangs mit orientalischen Des¬
poten sind, die selbst ans der Erziehung von Nadschah- und Snltanskindern
eine Wissenschaft gemacht haben. Diese Leute verstehen so gut zu schmeicheln
wie Handschellen anzulegen. Den Gegensatz zwischen Arabern und Türken
weiß England trefflich auszunutzen. Auch in Ägypten befolgt es die Politik
der Begünstigung der Eingebornen, die hier immer zugleich eine Spitze gegen
die Türken und die andern Fremden hat. Ohne die von Frankreich planmüßig
erhobnen Einsprüche, die diesem die internationale Schuldenkontrolle einräumt,
würde es längst weitgehende Verbesserungen der Lage der Fellahs durchgeführt
haben. Trotz ihrer Begünstigung englischer Privatinteressen und trotz ihres
Nepotismus ist die englische Verwaltung Ägyptens so viel besser als die ein¬
heimische, daß Frankreich fürchtet, sie könnte England bei der Masse der viel¬
geplagten ägyptischen Unterthanen zu früh populär werden lassen. Deswegen
und aus Tradition steht Frankreich auf der Seite der Pascha und Effendi,
die die Bauern rücksichtlos, wie einst, aussaugen möchten. Von dieser Seite
geht die heftige, mit vollen Börsen arbeitende Opposition gegen England aus.


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[0566] Dardanellen und Nil reift. Es liegt im Interesse Englands, aber nicht der übrigen Mächte, Ägypten in große wirtschaftliche Unternehmungen zu verwickeln, die immer neue und stärkere englisch-ägyptische Beziehungen schaffen und mehr Engländer in ägyptische Dienste ziehen sollen. Es hat ja den Erfolg der Hebung der ägyptischen Finanzen für sich, die sich seit 1887 aus dem hoffnungslosen Defizit erhoben haben. Einige ägyptische Anleihen sind nach der Konversion über Pari gestiegen. Dennoch hat Europa seine Aufsicht durch die L!omni88ioii as 1a vstte- public^us, die auf die Liquidationskommission von 1880 zurückgeht, nicht vermindert. Es ist im gegenwärtigen Augenblick lehrreich, daran zu erinnern, daß die Ver¬ stärkung dieser Kommission durch einen deutschen und einen russischen Ver¬ treter 1885 gegen den Widerstand Englands und des englisch gesinnten Staats - Ministers Nubcir, eines Armeniers, wesentlich durch den von Österreich und Italien ausgeübten Druck durchgesetzt worden ist. England konnte sich bei seinen Ansprüchen auf ein Vorrecht in der Verwaltung der ägyptischen Finanzen allerdings auf eine sehr gewichtige Thatsache stützen: die große Konversion von 1890 zeigte, daß in England 64 Prozent der ägyptischen Schuld liegen, in Frankreich 25, in Deutschland 7; und dazu kommt der Anteil Englands an Suezkanalaktien, der ungefähr zwei Fünftel der ganzen Summe beträgt. England hat in Indien die größte Schule der orientalischen Verwaltung durchgemacht und ist ohne Zweifel insofern besser befähigt, Ägypten zu regieren, als irgend eine andre Macht in Europa. Es versteht die planmüßige Aus¬ beutung des Volks gründlich, aber ohne auffallende Grausamkeit zu betreiben; es kann sich mit Recht darauf berufen, daß es die Lage der armen Steuer¬ zahler verbessert habe. Aber es zieht auch die Steuerschraube in dem Maße fester an, als das Einkommen wächst. Es hat eine Auswahl von Beamten und Offizieren, die Meister in der Kunst des Umgangs mit orientalischen Des¬ poten sind, die selbst ans der Erziehung von Nadschah- und Snltanskindern eine Wissenschaft gemacht haben. Diese Leute verstehen so gut zu schmeicheln wie Handschellen anzulegen. Den Gegensatz zwischen Arabern und Türken weiß England trefflich auszunutzen. Auch in Ägypten befolgt es die Politik der Begünstigung der Eingebornen, die hier immer zugleich eine Spitze gegen die Türken und die andern Fremden hat. Ohne die von Frankreich planmüßig erhobnen Einsprüche, die diesem die internationale Schuldenkontrolle einräumt, würde es längst weitgehende Verbesserungen der Lage der Fellahs durchgeführt haben. Trotz ihrer Begünstigung englischer Privatinteressen und trotz ihres Nepotismus ist die englische Verwaltung Ägyptens so viel besser als die ein¬ heimische, daß Frankreich fürchtet, sie könnte England bei der Masse der viel¬ geplagten ägyptischen Unterthanen zu früh populär werden lassen. Deswegen und aus Tradition steht Frankreich auf der Seite der Pascha und Effendi, die die Bauern rücksichtlos, wie einst, aussaugen möchten. Von dieser Seite geht die heftige, mit vollen Börsen arbeitende Opposition gegen England aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/566>, abgerufen am 04.07.2024.