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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

dieser Schiffe sind englisch, unter den übrigen sind die deutschen (296) und
holländischen (191) zahlreicher als die französischen (185, d. i. 5.5 Prozent) --,
hat sich Englands Stellung von Grund aus verändert. Politisch sozusagen
umstellt, militärisch so beherrscht, daß seine Neutralisirung ein Spott ist,
finanziell durch den Ankauf der Aktien des Vizekönigs von Ägypten abhängig,
ist das stolze Werk der französischen Thatkraft und Intelligenz, des fran¬
zösischen Kapitals und Einflusses eine Sache Englands geworden. Frankreich
fährt fort, den Kanal als ein französisches Unternehmen aufzufassen, und strebt,
gegen den Willen der ägyptischen Regierung, darauf bezügliche Prozesse vor
seine Gerichte zu ziehen. Aber es ist doch uur noch eine alte Liebe. Ihren
Erinnerungen nachzuhängen, ist unpolitisch. Entweder muß man sie ganz
aufgebe" oder wiedergewinnen. Das letztere will Frankreich, und es ist
nie zu vergessen, wenn auch auf Augenblicke das heiße Streben weniger
hervortritt; Frankreichs großes Ziel im Orient bleibt die Wiedergewinnung
Ägyptens und die damit eng verknüpfte alte Stellung in Syrien und als
Schutzmacht der Katholiken des türkischen Reichs. Das ist keineswegs nur
ein Streben nach Wiederbelebung alter Erinnerungen. Frankreich muß Scharten
seines Handels auswetzen: es ist im Außenhandel Ägyptens auf 6 Prozent
heruntergekommen, England auf 50 Prozent gestiegen. Noch größer sind die
Fortschritte Englands in der innern Wirtschaft des Landes. Ägypten ist ein
fast ganz ackerbauender Staat. Seine einzige dauernde Nahrungsquelle sind
die Wasser des Nils, die die schmalen Streifen Land auf beiden Seiten des
Stromes der Wüste abringen. Die Ausfuhr besteht mit ganz geringen Aus¬
nahmen aus Erzeugnissen des Ackerbaus: Baumwolle, Bohnen, Zucker, Zwiebeln,
Weizen, Gerste, Reis und Mais. Industrie fast Null. Daher die Abhängig¬
keit der ägyptischen Finanzen von den Weltmarktpreisen weniger Produkte.
Daß die Baumwolle von 1889 bis 1894 (und die Baumwollsaat fast ebenso)
um 50 Prozent gefallen ist, bedeutet einen Notstand in Ägypten. England
kann es mit vollem Recht als sein Verdienst in Anspruch nehmen, daß es
trotzdem die ägyptischen Finanzen in die Höhe gebracht hat, und zwar durch
das einfache Verfahren, die Erzeugung in demselben Maße zu vermehren, wie
die Preise fielen. Wesentlich haben dazu die Verbesserungen im Kanalwesen,
die Wiederherstellung des angeblich von französischen Ingenieuren falsch an¬
gelegten Stauwerks unterhalb Kairo, wo sich der Rosette- und der Damiette-
arm teilen, und die Verbesserung der Bewässerungsbecken Oberägyptens ge¬
holfen. Die Krönung dieser Arbeiten soll das "praktisch unerschöpfliche"
Wasserbecken in Oberägypten werden, womit man die seit 1888 erreichte Ver¬
doppelung der Baumwollernte zu einer Vervierfachung erheben zu können glaubt.
Aber Frankreich legte die Hand auf die Ersparnisse der letzten Jahre, die zu
diesem Zweck bereitgehalten waren, und das Unternehmen stockt,

Es wird kein Nachteil sein, wenn der Plan noch einige weitere Jahre


Dardanellen und Nil

dieser Schiffe sind englisch, unter den übrigen sind die deutschen (296) und
holländischen (191) zahlreicher als die französischen (185, d. i. 5.5 Prozent) —,
hat sich Englands Stellung von Grund aus verändert. Politisch sozusagen
umstellt, militärisch so beherrscht, daß seine Neutralisirung ein Spott ist,
finanziell durch den Ankauf der Aktien des Vizekönigs von Ägypten abhängig,
ist das stolze Werk der französischen Thatkraft und Intelligenz, des fran¬
zösischen Kapitals und Einflusses eine Sache Englands geworden. Frankreich
fährt fort, den Kanal als ein französisches Unternehmen aufzufassen, und strebt,
gegen den Willen der ägyptischen Regierung, darauf bezügliche Prozesse vor
seine Gerichte zu ziehen. Aber es ist doch uur noch eine alte Liebe. Ihren
Erinnerungen nachzuhängen, ist unpolitisch. Entweder muß man sie ganz
aufgebe» oder wiedergewinnen. Das letztere will Frankreich, und es ist
nie zu vergessen, wenn auch auf Augenblicke das heiße Streben weniger
hervortritt; Frankreichs großes Ziel im Orient bleibt die Wiedergewinnung
Ägyptens und die damit eng verknüpfte alte Stellung in Syrien und als
Schutzmacht der Katholiken des türkischen Reichs. Das ist keineswegs nur
ein Streben nach Wiederbelebung alter Erinnerungen. Frankreich muß Scharten
seines Handels auswetzen: es ist im Außenhandel Ägyptens auf 6 Prozent
heruntergekommen, England auf 50 Prozent gestiegen. Noch größer sind die
Fortschritte Englands in der innern Wirtschaft des Landes. Ägypten ist ein
fast ganz ackerbauender Staat. Seine einzige dauernde Nahrungsquelle sind
die Wasser des Nils, die die schmalen Streifen Land auf beiden Seiten des
Stromes der Wüste abringen. Die Ausfuhr besteht mit ganz geringen Aus¬
nahmen aus Erzeugnissen des Ackerbaus: Baumwolle, Bohnen, Zucker, Zwiebeln,
Weizen, Gerste, Reis und Mais. Industrie fast Null. Daher die Abhängig¬
keit der ägyptischen Finanzen von den Weltmarktpreisen weniger Produkte.
Daß die Baumwolle von 1889 bis 1894 (und die Baumwollsaat fast ebenso)
um 50 Prozent gefallen ist, bedeutet einen Notstand in Ägypten. England
kann es mit vollem Recht als sein Verdienst in Anspruch nehmen, daß es
trotzdem die ägyptischen Finanzen in die Höhe gebracht hat, und zwar durch
das einfache Verfahren, die Erzeugung in demselben Maße zu vermehren, wie
die Preise fielen. Wesentlich haben dazu die Verbesserungen im Kanalwesen,
die Wiederherstellung des angeblich von französischen Ingenieuren falsch an¬
gelegten Stauwerks unterhalb Kairo, wo sich der Rosette- und der Damiette-
arm teilen, und die Verbesserung der Bewässerungsbecken Oberägyptens ge¬
holfen. Die Krönung dieser Arbeiten soll das „praktisch unerschöpfliche"
Wasserbecken in Oberägypten werden, womit man die seit 1888 erreichte Ver¬
doppelung der Baumwollernte zu einer Vervierfachung erheben zu können glaubt.
Aber Frankreich legte die Hand auf die Ersparnisse der letzten Jahre, die zu
diesem Zweck bereitgehalten waren, und das Unternehmen stockt,

Es wird kein Nachteil sein, wenn der Plan noch einige weitere Jahre


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[0565] Dardanellen und Nil dieser Schiffe sind englisch, unter den übrigen sind die deutschen (296) und holländischen (191) zahlreicher als die französischen (185, d. i. 5.5 Prozent) —, hat sich Englands Stellung von Grund aus verändert. Politisch sozusagen umstellt, militärisch so beherrscht, daß seine Neutralisirung ein Spott ist, finanziell durch den Ankauf der Aktien des Vizekönigs von Ägypten abhängig, ist das stolze Werk der französischen Thatkraft und Intelligenz, des fran¬ zösischen Kapitals und Einflusses eine Sache Englands geworden. Frankreich fährt fort, den Kanal als ein französisches Unternehmen aufzufassen, und strebt, gegen den Willen der ägyptischen Regierung, darauf bezügliche Prozesse vor seine Gerichte zu ziehen. Aber es ist doch uur noch eine alte Liebe. Ihren Erinnerungen nachzuhängen, ist unpolitisch. Entweder muß man sie ganz aufgebe» oder wiedergewinnen. Das letztere will Frankreich, und es ist nie zu vergessen, wenn auch auf Augenblicke das heiße Streben weniger hervortritt; Frankreichs großes Ziel im Orient bleibt die Wiedergewinnung Ägyptens und die damit eng verknüpfte alte Stellung in Syrien und als Schutzmacht der Katholiken des türkischen Reichs. Das ist keineswegs nur ein Streben nach Wiederbelebung alter Erinnerungen. Frankreich muß Scharten seines Handels auswetzen: es ist im Außenhandel Ägyptens auf 6 Prozent heruntergekommen, England auf 50 Prozent gestiegen. Noch größer sind die Fortschritte Englands in der innern Wirtschaft des Landes. Ägypten ist ein fast ganz ackerbauender Staat. Seine einzige dauernde Nahrungsquelle sind die Wasser des Nils, die die schmalen Streifen Land auf beiden Seiten des Stromes der Wüste abringen. Die Ausfuhr besteht mit ganz geringen Aus¬ nahmen aus Erzeugnissen des Ackerbaus: Baumwolle, Bohnen, Zucker, Zwiebeln, Weizen, Gerste, Reis und Mais. Industrie fast Null. Daher die Abhängig¬ keit der ägyptischen Finanzen von den Weltmarktpreisen weniger Produkte. Daß die Baumwolle von 1889 bis 1894 (und die Baumwollsaat fast ebenso) um 50 Prozent gefallen ist, bedeutet einen Notstand in Ägypten. England kann es mit vollem Recht als sein Verdienst in Anspruch nehmen, daß es trotzdem die ägyptischen Finanzen in die Höhe gebracht hat, und zwar durch das einfache Verfahren, die Erzeugung in demselben Maße zu vermehren, wie die Preise fielen. Wesentlich haben dazu die Verbesserungen im Kanalwesen, die Wiederherstellung des angeblich von französischen Ingenieuren falsch an¬ gelegten Stauwerks unterhalb Kairo, wo sich der Rosette- und der Damiette- arm teilen, und die Verbesserung der Bewässerungsbecken Oberägyptens ge¬ holfen. Die Krönung dieser Arbeiten soll das „praktisch unerschöpfliche" Wasserbecken in Oberägypten werden, womit man die seit 1888 erreichte Ver¬ doppelung der Baumwollernte zu einer Vervierfachung erheben zu können glaubt. Aber Frankreich legte die Hand auf die Ersparnisse der letzten Jahre, die zu diesem Zweck bereitgehalten waren, und das Unternehmen stockt, Es wird kein Nachteil sein, wenn der Plan noch einige weitere Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/565>, abgerufen am 01.07.2024.