Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Litteratur Wort, was mir zur großen Genugthuung gereicht; dagegen pflückt sie nach Art I. Müller Litteratur Weih nachtsbücher tisch. Gut oder schlecht -- es ist einmal Brauch, daß Litteratur Wort, was mir zur großen Genugthuung gereicht; dagegen pflückt sie nach Art I. Müller Litteratur Weih nachtsbücher tisch. Gut oder schlecht — es ist einmal Brauch, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221532"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1852" prev="#ID_1851"> Wort, was mir zur großen Genugthuung gereicht; dagegen pflückt sie nach Art<lb/> aller ursachlichen Polemiker einzelne Worte zu einem Kranz zusammen, wobei sie<lb/> z. B. die Lüge sagt, ich hätte den Lehrern Wollust vorgeworfen! und schließt mit<lb/> der geschmackvollen Wendung: mir müsse wohl in der Jugend „der Stock not¬<lb/> wendig gewesen sein, weil ich solchen Horror davor hätte; trotzdem scheine selbst<lb/> die fleißigste Anwendung des Stockes nicht hingereicht zu haben, um mir das achte<lb/> Gebot einzublciuen, gegen das ich mich so gröblich versündigt hätte, oder mir ein<lb/> einigermaßen logisches Denken anzugewöhnen. Man könne des Guten (!) nie zu<lb/> viel thun." Mit einer solchen Ungezogenheit hilft sich dieses Erziehungsorgan über<lb/> eine fo ernste Frage hinweg. Es ist vielleicht gut, wenn solche Urteile wie das<lb/> der Lehrerzeitung bekannt werden; man sieht, was man von solchen Erziehern zu<lb/> erwarten hat.</p><lb/> <note type="byline"> I. Müller</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_1853" next="#ID_1854"> Weih nachtsbücher tisch. Gut oder schlecht — es ist einmal Brauch, daß<lb/> Tausende von „Gebildeten" nur unmittelbar vor dem Weihnachtsfeste ein paar<lb/> Bücher kaufen. Von den andern Tausenden, die es bei einem Buche bewenden<lb/> lassen und nach gerader oder ungerader Zahl den „neuesten Dahn" oder den<lb/> „neuesten Ebers" nach Hause tragen, um jemand zu überraschen und nach Um¬<lb/> ständen auch selbst von dem Inhalt überrascht zu werden, wollen wir gar nicht<lb/> erst reden. Doch auch solche, die den redlichsten Willen haben, etwas mehr zu<lb/> thun, stehen einigermaßen zögernd vor dem großen Lostopf der Weihnachtswochen.<lb/> Nicht bloß weil der Bücherschrank schon wohlgefüllt ist und wer weiß wie viel<lb/> gute, alte Bücher drinnen sind, von denen so manches wieder einmal gelesen zu<lb/> werden verdiente. Auch nicht bloß, weil die Überfülle der Bücher so unübersehbar<lb/> erscheint. Nein, eine allgemeine Erkenntnis steht hemmend zwischen der jüngsten<lb/> Litteratur und dem fröhlichen Käufer. Weihnachten ist eine Zeit, die unwillkür¬<lb/> lich Verlangen nach Erquickung, Erhebung, Versöhnung weckt. Und nun blättert<lb/> der weihnachtlich gestimmte Litteraturfreund ein Dutzend Bücher an, und fast<lb/> überall treten ihm die trostlose Verzweiflung, die Fieberhitze des Größenwahns,<lb/> die schrillen Losungen unversöhnlicher Parteigegensätze entgegen. Ist es da ein<lb/> Wunder, daß er unschlüssig wird? Er mag noch so frei von optimistischen Über¬<lb/> zeugungen sein, noch so ernst und hoch von dem Beruf der Poesie denken, alle<lb/> Herrlichkeit, aber auch alle Tragik des Lebens darzustellen, er möchte doch gern,<lb/> daß diesmal das Licht die Schatten überwiege, daß unter den Bergen neuer Bücher<lb/> ein paar wären, ans denen ihm der Odem warmen, erquicklichen Lebens entgegen¬<lb/> dränge. Der ernste Mensch soll ohne moingnto wori nicht leben, aber wer legt<lb/> seinen Lieben dergleichen auf den Weihnachtstisch? Auch gute Bücher rücken in eine<lb/> andre Beleuchtung, wenn sie unter den Lichterbaum geraten. Andrerseits sollen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0558]
Litteratur
Wort, was mir zur großen Genugthuung gereicht; dagegen pflückt sie nach Art
aller ursachlichen Polemiker einzelne Worte zu einem Kranz zusammen, wobei sie
z. B. die Lüge sagt, ich hätte den Lehrern Wollust vorgeworfen! und schließt mit
der geschmackvollen Wendung: mir müsse wohl in der Jugend „der Stock not¬
wendig gewesen sein, weil ich solchen Horror davor hätte; trotzdem scheine selbst
die fleißigste Anwendung des Stockes nicht hingereicht zu haben, um mir das achte
Gebot einzublciuen, gegen das ich mich so gröblich versündigt hätte, oder mir ein
einigermaßen logisches Denken anzugewöhnen. Man könne des Guten (!) nie zu
viel thun." Mit einer solchen Ungezogenheit hilft sich dieses Erziehungsorgan über
eine fo ernste Frage hinweg. Es ist vielleicht gut, wenn solche Urteile wie das
der Lehrerzeitung bekannt werden; man sieht, was man von solchen Erziehern zu
erwarten hat.
I. Müller
Litteratur
Weih nachtsbücher tisch. Gut oder schlecht — es ist einmal Brauch, daß
Tausende von „Gebildeten" nur unmittelbar vor dem Weihnachtsfeste ein paar
Bücher kaufen. Von den andern Tausenden, die es bei einem Buche bewenden
lassen und nach gerader oder ungerader Zahl den „neuesten Dahn" oder den
„neuesten Ebers" nach Hause tragen, um jemand zu überraschen und nach Um¬
ständen auch selbst von dem Inhalt überrascht zu werden, wollen wir gar nicht
erst reden. Doch auch solche, die den redlichsten Willen haben, etwas mehr zu
thun, stehen einigermaßen zögernd vor dem großen Lostopf der Weihnachtswochen.
Nicht bloß weil der Bücherschrank schon wohlgefüllt ist und wer weiß wie viel
gute, alte Bücher drinnen sind, von denen so manches wieder einmal gelesen zu
werden verdiente. Auch nicht bloß, weil die Überfülle der Bücher so unübersehbar
erscheint. Nein, eine allgemeine Erkenntnis steht hemmend zwischen der jüngsten
Litteratur und dem fröhlichen Käufer. Weihnachten ist eine Zeit, die unwillkür¬
lich Verlangen nach Erquickung, Erhebung, Versöhnung weckt. Und nun blättert
der weihnachtlich gestimmte Litteraturfreund ein Dutzend Bücher an, und fast
überall treten ihm die trostlose Verzweiflung, die Fieberhitze des Größenwahns,
die schrillen Losungen unversöhnlicher Parteigegensätze entgegen. Ist es da ein
Wunder, daß er unschlüssig wird? Er mag noch so frei von optimistischen Über¬
zeugungen sein, noch so ernst und hoch von dem Beruf der Poesie denken, alle
Herrlichkeit, aber auch alle Tragik des Lebens darzustellen, er möchte doch gern,
daß diesmal das Licht die Schatten überwiege, daß unter den Bergen neuer Bücher
ein paar wären, ans denen ihm der Odem warmen, erquicklichen Lebens entgegen¬
dränge. Der ernste Mensch soll ohne moingnto wori nicht leben, aber wer legt
seinen Lieben dergleichen auf den Weihnachtstisch? Auch gute Bücher rücken in eine
andre Beleuchtung, wenn sie unter den Lichterbaum geraten. Andrerseits sollen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |