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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

wird der Vorgang zu einem bezeichnenden Moment(!) für das Geschlecht. Der
fast leere Hintergrund ist die ganze Welt."

Gewiß sind zahlreiche Radirungen Goyas recht eigentlich Satiren zu
nennen. Man hat da aufs entschiedenste den Eindruck, daß Goya das brand¬
marken, mit leidenschaftlichem Haß das geißeln wollte, was er darstellte. Eine
Vehandlungsweise, wie sie Klinger beschreibt, findet sich in manchen solchen
Blättern, und sie trägt in der That nicht unwesentlich dazu bei, den Ein¬
druck der satirischen Absicht zu verschärfen. Das geschilderte Objekt erscheint
hier, wie mit einem leidenschaftlichen Griff gepackt, aus allen besondern realen
Beziehungen herausgerissen, gleichsam vor der ganzen Welt als ein allgemeiner
Typus des Häßlichen und Verabscheuungswürdigen an den Pranger gestellt.
Ju einer solchen Darstellungsweise liegt aber nicht das alleinige Mittel, eine
satirische Absicht bildlich auszudrücken. Das wirksamste Mittel besteht in etwas
anderm. Fast immer führt die eigentlich satirische Absicht zu einer über¬
treibender Steigerung, zu einer Überladung des Charakteristischen, zu einer
Übertreibung dessen, was dem Gelächter oder dem Haß preisgegeben werden
soll, kurz: zur Karrikatur. Im Karrikiren, kann man sagen, liegt die eigent¬
liche Kritik des satirischen Schilderers.*) Während es im Wesen der humo¬
ristischen Schilderung begründet ist, daß sie jede einseitige Übertreibung ver¬
meidet, ist eben diese mit der satirischen Tendenz fast immer und fast notwendig
verbunden. Goyas satirische Schilderungen halten sich beinahe ausschließlich im
Gebiete der Karrikatur, und sie gehören ohne Zweifel zum Geistreichsten, an
charakteristischer Schärfe und treffendem Witz zum Besten, was auf diesem Ge¬
biete geleistet worden ist. So grotesk, so ungeheuerlich sie öfters erscheinen,
sie sind dennoch stets erstaunlich charakteristisch; ja man möchte behaupten,
Goya sei nur in der Übertreibung wahr, nur in der Karrikatur charakteristisch.

Natürlich haben derartige Schilderungen, vom rein künstlerischen Stand-
Punkt betrachtet, immer nur einen sehr bedingten Wert. Die Tendenz ist ja
im Grunde genommen etwas unkünstlerisches. Dem Satiriker ist nicht sowohl
an der Darstellung selbst als vielmehr an etwas gelegen, was in dieser nicht
mit enthalten ist. Er hat einen außerhalb der Schilderung liegenden Zweck
und bedarf für die Darstellung in der Regel auch noch eines erklärenden Kom¬
mentars; er wendet sich mit seiner Darstellung nicht bloß an das Anschauungs¬
vermögen und die Phantasie des Betrachters, er will den reflektirenden Verstand
oder den praktischen Willen anregen, aufstacheln. Der bildliche Ausdruck ist
ihm nur Mittel, nicht Selbstzweck, er stellt eigentlich nur dar, um zur geistigen
oder sittlichen Verneinung dessen, was er darstellt, aufzufordern. Da leuchtet
es ein, daß sich die Zeichnung wegen ihres in gewissem Sinne abstrakten Cha-



*) Ich wiederhole die folgenden Sätze aus meinem Aufsatz über Goya in DohmeS
"Kunst und Künstlern."
Malerei und Zeichnung

wird der Vorgang zu einem bezeichnenden Moment(!) für das Geschlecht. Der
fast leere Hintergrund ist die ganze Welt."

Gewiß sind zahlreiche Radirungen Goyas recht eigentlich Satiren zu
nennen. Man hat da aufs entschiedenste den Eindruck, daß Goya das brand¬
marken, mit leidenschaftlichem Haß das geißeln wollte, was er darstellte. Eine
Vehandlungsweise, wie sie Klinger beschreibt, findet sich in manchen solchen
Blättern, und sie trägt in der That nicht unwesentlich dazu bei, den Ein¬
druck der satirischen Absicht zu verschärfen. Das geschilderte Objekt erscheint
hier, wie mit einem leidenschaftlichen Griff gepackt, aus allen besondern realen
Beziehungen herausgerissen, gleichsam vor der ganzen Welt als ein allgemeiner
Typus des Häßlichen und Verabscheuungswürdigen an den Pranger gestellt.
Ju einer solchen Darstellungsweise liegt aber nicht das alleinige Mittel, eine
satirische Absicht bildlich auszudrücken. Das wirksamste Mittel besteht in etwas
anderm. Fast immer führt die eigentlich satirische Absicht zu einer über¬
treibender Steigerung, zu einer Überladung des Charakteristischen, zu einer
Übertreibung dessen, was dem Gelächter oder dem Haß preisgegeben werden
soll, kurz: zur Karrikatur. Im Karrikiren, kann man sagen, liegt die eigent¬
liche Kritik des satirischen Schilderers.*) Während es im Wesen der humo¬
ristischen Schilderung begründet ist, daß sie jede einseitige Übertreibung ver¬
meidet, ist eben diese mit der satirischen Tendenz fast immer und fast notwendig
verbunden. Goyas satirische Schilderungen halten sich beinahe ausschließlich im
Gebiete der Karrikatur, und sie gehören ohne Zweifel zum Geistreichsten, an
charakteristischer Schärfe und treffendem Witz zum Besten, was auf diesem Ge¬
biete geleistet worden ist. So grotesk, so ungeheuerlich sie öfters erscheinen,
sie sind dennoch stets erstaunlich charakteristisch; ja man möchte behaupten,
Goya sei nur in der Übertreibung wahr, nur in der Karrikatur charakteristisch.

Natürlich haben derartige Schilderungen, vom rein künstlerischen Stand-
Punkt betrachtet, immer nur einen sehr bedingten Wert. Die Tendenz ist ja
im Grunde genommen etwas unkünstlerisches. Dem Satiriker ist nicht sowohl
an der Darstellung selbst als vielmehr an etwas gelegen, was in dieser nicht
mit enthalten ist. Er hat einen außerhalb der Schilderung liegenden Zweck
und bedarf für die Darstellung in der Regel auch noch eines erklärenden Kom¬
mentars; er wendet sich mit seiner Darstellung nicht bloß an das Anschauungs¬
vermögen und die Phantasie des Betrachters, er will den reflektirenden Verstand
oder den praktischen Willen anregen, aufstacheln. Der bildliche Ausdruck ist
ihm nur Mittel, nicht Selbstzweck, er stellt eigentlich nur dar, um zur geistigen
oder sittlichen Verneinung dessen, was er darstellt, aufzufordern. Da leuchtet
es ein, daß sich die Zeichnung wegen ihres in gewissem Sinne abstrakten Cha-



*) Ich wiederhole die folgenden Sätze aus meinem Aufsatz über Goya in DohmeS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/543>, abgerufen am 24.08.2024.