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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

überall der Grundton hervor: so sollte die Welt nicht sein! Sie üben also
Kritik mit ihrem Griffel. Schärfer kann der Gegensatz zwischen dem Maler
und Zeichner nicht ausgesprochen werden. Jener bildet Form, Ausdruck, Farbe
nach in rein objektiver Weise, also nicht eigentlich (!) kritisch, er verschönert
lieber. Er sagt: so sollte es sein! oder: so ist es! Denn seinem Geist schwebt
doch schließlich (!) ein geistig, ja fast auch körperhaft erreichbares Urbild der
von ihm erkannten Schönheit vor."

Soll man denn aber absurderweise glauben, dem Zeichner könne nicht
auch ein Ideal ähnlicher Art vorschweben? Und wenn er es nicht so körper¬
haft wie der Maler darstellen kann, kann er es überhaupt nicht darstellen?
Wenn er aber das Häßliche und Schlechte darstellt, soll er mit seinem Griffel
Kritik daran üben. Das ist ja nun wieder eine ganz neue Behauptung. Wer
den frühern Versuch, die Darstellung des Häßlichen zu rechtfertigen, für hin¬
fällig hält, kann jetzt sagen: Ja wenn der Zeichner des Häßlichen Kritik daran
übt, so ist das am Ende eine Rechtfertigung, die sich hören läßt. Aber worin
zeigt sich denn, daß sich der Darsteller kritisch negirend zu dem Dargestellten
verhält? Wodurch ermöglicht die Zeichnung eine solche Kritik? Wodurch ist
gerade die zeichnerische Darstellung zu einer solchen Kritik befähigt? Auf diese
Fragen erhalten wir keine bündige Antwort. Klinger sagt freilich im Anschluß
an jene Bemerkungen über den Gegensatz zwischen Maler und Zeichner: "Das
Arbeitsmaterial eines jeden entspricht genau der geistigen Bestimmung," also
in dem einen Falle einer objektiven oder verschönernden, in dem andern einer
kritisch negirenden Darstellung. Aber auf welche Weise es möglich sei, eine
solche Kritik in der Zeichnung auszudrücken, wird nicht erläutert. Nur aus
einer beiläufigen Bemerkung über Goya zwei Seiten vorher läßt sich ersehen,
was der Verfasser im Sinne hat, wenn er einer zeichnerischen Darstellung die
Bedeutung einer Kritik zuschreibt. Er bemerkt da: "Ein formloser Ton als
Hintergrund ist in der Malerei nnr unter sehr bedingten Umständen zulässig.
Bei der farbigen Darstellung muß eben jeder Punkt im Bilde definirt sein.
Die Befreiung von dieser Notwendigkeit ist für die Zeichnung ein großes
Hilfsmittel für die ideellen Zwecke. Ein solcher Ton bildet die Folie für
psychologische Momente (!), wie sie Goya z. B. mit barbarisch großartiger
Nacktheit behandelt. Vor einem Ton, der sich kaum abstuft, mit wenigen
Strichen, die kulissenhaft leicht nur den Raum allgemein andeuten, nagelt er
wie einen Schmetterling den Menschen fest, meist im Momente (!) seiner Thor¬
heit, seiner Schlechtigkeit. Ein dämonischer Haß, eine ungezügelt leidenschaft¬
liche Kritik, die nur ihr Objekt im Auge hat, für alles andre blind ist, spricht
aus seinen Blättern auf uns ein. Das geringste Mehr der Umgebung würde
seine Schärfe mildern, seine Leidenschaft absurd machen und ihr die Größe
nehmen, sein Entsetzen über die Abgründe menschlicher Natur auf ein berech¬
nendes Hinstellen eines bestimmten Falles herabsetzen. So frei vor uns gerückt


Malerei und Zeichnung

überall der Grundton hervor: so sollte die Welt nicht sein! Sie üben also
Kritik mit ihrem Griffel. Schärfer kann der Gegensatz zwischen dem Maler
und Zeichner nicht ausgesprochen werden. Jener bildet Form, Ausdruck, Farbe
nach in rein objektiver Weise, also nicht eigentlich (!) kritisch, er verschönert
lieber. Er sagt: so sollte es sein! oder: so ist es! Denn seinem Geist schwebt
doch schließlich (!) ein geistig, ja fast auch körperhaft erreichbares Urbild der
von ihm erkannten Schönheit vor."

Soll man denn aber absurderweise glauben, dem Zeichner könne nicht
auch ein Ideal ähnlicher Art vorschweben? Und wenn er es nicht so körper¬
haft wie der Maler darstellen kann, kann er es überhaupt nicht darstellen?
Wenn er aber das Häßliche und Schlechte darstellt, soll er mit seinem Griffel
Kritik daran üben. Das ist ja nun wieder eine ganz neue Behauptung. Wer
den frühern Versuch, die Darstellung des Häßlichen zu rechtfertigen, für hin¬
fällig hält, kann jetzt sagen: Ja wenn der Zeichner des Häßlichen Kritik daran
übt, so ist das am Ende eine Rechtfertigung, die sich hören läßt. Aber worin
zeigt sich denn, daß sich der Darsteller kritisch negirend zu dem Dargestellten
verhält? Wodurch ermöglicht die Zeichnung eine solche Kritik? Wodurch ist
gerade die zeichnerische Darstellung zu einer solchen Kritik befähigt? Auf diese
Fragen erhalten wir keine bündige Antwort. Klinger sagt freilich im Anschluß
an jene Bemerkungen über den Gegensatz zwischen Maler und Zeichner: „Das
Arbeitsmaterial eines jeden entspricht genau der geistigen Bestimmung," also
in dem einen Falle einer objektiven oder verschönernden, in dem andern einer
kritisch negirenden Darstellung. Aber auf welche Weise es möglich sei, eine
solche Kritik in der Zeichnung auszudrücken, wird nicht erläutert. Nur aus
einer beiläufigen Bemerkung über Goya zwei Seiten vorher läßt sich ersehen,
was der Verfasser im Sinne hat, wenn er einer zeichnerischen Darstellung die
Bedeutung einer Kritik zuschreibt. Er bemerkt da: „Ein formloser Ton als
Hintergrund ist in der Malerei nnr unter sehr bedingten Umständen zulässig.
Bei der farbigen Darstellung muß eben jeder Punkt im Bilde definirt sein.
Die Befreiung von dieser Notwendigkeit ist für die Zeichnung ein großes
Hilfsmittel für die ideellen Zwecke. Ein solcher Ton bildet die Folie für
psychologische Momente (!), wie sie Goya z. B. mit barbarisch großartiger
Nacktheit behandelt. Vor einem Ton, der sich kaum abstuft, mit wenigen
Strichen, die kulissenhaft leicht nur den Raum allgemein andeuten, nagelt er
wie einen Schmetterling den Menschen fest, meist im Momente (!) seiner Thor¬
heit, seiner Schlechtigkeit. Ein dämonischer Haß, eine ungezügelt leidenschaft¬
liche Kritik, die nur ihr Objekt im Auge hat, für alles andre blind ist, spricht
aus seinen Blättern auf uns ein. Das geringste Mehr der Umgebung würde
seine Schärfe mildern, seine Leidenschaft absurd machen und ihr die Größe
nehmen, sein Entsetzen über die Abgründe menschlicher Natur auf ein berech¬
nendes Hinstellen eines bestimmten Falles herabsetzen. So frei vor uns gerückt


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[0542] Malerei und Zeichnung überall der Grundton hervor: so sollte die Welt nicht sein! Sie üben also Kritik mit ihrem Griffel. Schärfer kann der Gegensatz zwischen dem Maler und Zeichner nicht ausgesprochen werden. Jener bildet Form, Ausdruck, Farbe nach in rein objektiver Weise, also nicht eigentlich (!) kritisch, er verschönert lieber. Er sagt: so sollte es sein! oder: so ist es! Denn seinem Geist schwebt doch schließlich (!) ein geistig, ja fast auch körperhaft erreichbares Urbild der von ihm erkannten Schönheit vor." Soll man denn aber absurderweise glauben, dem Zeichner könne nicht auch ein Ideal ähnlicher Art vorschweben? Und wenn er es nicht so körper¬ haft wie der Maler darstellen kann, kann er es überhaupt nicht darstellen? Wenn er aber das Häßliche und Schlechte darstellt, soll er mit seinem Griffel Kritik daran üben. Das ist ja nun wieder eine ganz neue Behauptung. Wer den frühern Versuch, die Darstellung des Häßlichen zu rechtfertigen, für hin¬ fällig hält, kann jetzt sagen: Ja wenn der Zeichner des Häßlichen Kritik daran übt, so ist das am Ende eine Rechtfertigung, die sich hören läßt. Aber worin zeigt sich denn, daß sich der Darsteller kritisch negirend zu dem Dargestellten verhält? Wodurch ermöglicht die Zeichnung eine solche Kritik? Wodurch ist gerade die zeichnerische Darstellung zu einer solchen Kritik befähigt? Auf diese Fragen erhalten wir keine bündige Antwort. Klinger sagt freilich im Anschluß an jene Bemerkungen über den Gegensatz zwischen Maler und Zeichner: „Das Arbeitsmaterial eines jeden entspricht genau der geistigen Bestimmung," also in dem einen Falle einer objektiven oder verschönernden, in dem andern einer kritisch negirenden Darstellung. Aber auf welche Weise es möglich sei, eine solche Kritik in der Zeichnung auszudrücken, wird nicht erläutert. Nur aus einer beiläufigen Bemerkung über Goya zwei Seiten vorher läßt sich ersehen, was der Verfasser im Sinne hat, wenn er einer zeichnerischen Darstellung die Bedeutung einer Kritik zuschreibt. Er bemerkt da: „Ein formloser Ton als Hintergrund ist in der Malerei nnr unter sehr bedingten Umständen zulässig. Bei der farbigen Darstellung muß eben jeder Punkt im Bilde definirt sein. Die Befreiung von dieser Notwendigkeit ist für die Zeichnung ein großes Hilfsmittel für die ideellen Zwecke. Ein solcher Ton bildet die Folie für psychologische Momente (!), wie sie Goya z. B. mit barbarisch großartiger Nacktheit behandelt. Vor einem Ton, der sich kaum abstuft, mit wenigen Strichen, die kulissenhaft leicht nur den Raum allgemein andeuten, nagelt er wie einen Schmetterling den Menschen fest, meist im Momente (!) seiner Thor¬ heit, seiner Schlechtigkeit. Ein dämonischer Haß, eine ungezügelt leidenschaft¬ liche Kritik, die nur ihr Objekt im Auge hat, für alles andre blind ist, spricht aus seinen Blättern auf uns ein. Das geringste Mehr der Umgebung würde seine Schärfe mildern, seine Leidenschaft absurd machen und ihr die Größe nehmen, sein Entsetzen über die Abgründe menschlicher Natur auf ein berech¬ nendes Hinstellen eines bestimmten Falles herabsetzen. So frei vor uns gerückt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/542>, abgerufen am 25.08.2024.