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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

rakters weit besser zu derartigen Schilderungen eignet als die Malerei; man
kann auch sagen, sie sei dazu ausschließlich geeignet. Eine gemalte, in
naturalistischer Weise gemalte Karrikatur würde immer höchst geschmacklos er¬
scheinen.

In der frühern Stelle der Klingerschen Schrift, wo von der Schilderung
der "dunkeln Seite des Lebens" die Rede war, war offenbar nicht bloß die
satirische Schilderung gemeint, sondern auch die Darstellung von trüben, düstern
Erscheinungen, die keine satirische oder ironische Ausfassung zulassen. Die An¬
deutungen über den Charakter solcher Gegenstände waren freilich sehr all¬
gemeiner Art. Handelt es sich um solche, in denen zum Düstern das Gro߬
artige hinzukommt, um die Schilderung von Leiden und Kämpfen, in denen
sich die edelsten Eigenschaften der menschlichen Natur enthüllen, oder wo
sich im Untergänge menschlicher Größe, in gewaltigen Strafgerichten, der
Triumph höherer Mächte offenbart, handelt es sich um das eigentlich Tragische,
was bedarf es da hinsichtlich des Gegenständlichen einer Rechtfertigung! Was
die Form der Darstellung betrifft, so steht das Gebiet des Tragischen doch
in Wahrheit der gesamten bildenden Kunst offen. Aus den Lessingschen An¬
sichten ließe sich vielleicht folgern, das Tragische sei aus dem bildnerisch Dar¬
stellbaren streng genommen auszuschließen; thatsächlich würde diese Folgerung
durch die ganze bildende Kunst widerlegt. Zwar ist die dramatische Poesie
im Bereich des Tragischen die eigentliche Herrscherin, aber weder der Malerei
noch der Plastik ist es versagt, tragische Stimmungen auszudrücken, Vorgänge
von tragischer Wirkung zu schildern, sei es in mythisch-symbolischer Weise oder
in den Formen geschichtlicher Wirklichkeit. Die Niobegruppe und die per-
gamenische Gigantomachie, der gefesselte und der sterbende Sklave Michel¬
angelos, Raffaels Tod des Ananias, Dürers Passionsbilder, Rubens Dar¬
stellungen des jüngsten Gerichts und des Sturzes der Verdammten, Cornelius
apokalyptische Reiter sind Kunstwerke, deren ergreifende Wirkungen sich mit
nichts anderm vergleichen lassen, als mit den Wirkungen der großen tragischen
Dichtung. Und neben das Erschütternde, neben das dämonisch Großartige stellt
sich das Rührende, neben die Tragödie die Elegie auch in der bildenden Kunst.

In der Schilderung des bloß Traurigen, in den Darstellungen mensch¬
lichen Jammers und Elends, wenn sie nicht lediglich auf Nervenerregung aus¬
gehen, ist, namentlich in Zeiten heftiger sozialer Gührungen, ähnlich wie bei
der Satire, meist eine Tendenz versteckt, eine Absicht, wie sie der Redner hat,
wenn er Übel und Leiden aufdeckt, um das Mitleid und den Willen zur Ab¬
hilfe des Leidens aufzurufen; auch eine solche, über das Künstlerische hinaus¬
greifende Tendenz wird man natürlich nicht als schlechthin unberechtigt hin¬
stellen können. Die Berechtigung der Tendenz wird sich vor allem in dem
Ernst der Auffassung erweisen müssen. Wenn man sür derartige Schil¬
derungen nicht selten zeichnerische Mittel wählt, mit Vorliebe solche, die


Malerei und Zeichnung

rakters weit besser zu derartigen Schilderungen eignet als die Malerei; man
kann auch sagen, sie sei dazu ausschließlich geeignet. Eine gemalte, in
naturalistischer Weise gemalte Karrikatur würde immer höchst geschmacklos er¬
scheinen.

In der frühern Stelle der Klingerschen Schrift, wo von der Schilderung
der „dunkeln Seite des Lebens" die Rede war, war offenbar nicht bloß die
satirische Schilderung gemeint, sondern auch die Darstellung von trüben, düstern
Erscheinungen, die keine satirische oder ironische Ausfassung zulassen. Die An¬
deutungen über den Charakter solcher Gegenstände waren freilich sehr all¬
gemeiner Art. Handelt es sich um solche, in denen zum Düstern das Gro߬
artige hinzukommt, um die Schilderung von Leiden und Kämpfen, in denen
sich die edelsten Eigenschaften der menschlichen Natur enthüllen, oder wo
sich im Untergänge menschlicher Größe, in gewaltigen Strafgerichten, der
Triumph höherer Mächte offenbart, handelt es sich um das eigentlich Tragische,
was bedarf es da hinsichtlich des Gegenständlichen einer Rechtfertigung! Was
die Form der Darstellung betrifft, so steht das Gebiet des Tragischen doch
in Wahrheit der gesamten bildenden Kunst offen. Aus den Lessingschen An¬
sichten ließe sich vielleicht folgern, das Tragische sei aus dem bildnerisch Dar¬
stellbaren streng genommen auszuschließen; thatsächlich würde diese Folgerung
durch die ganze bildende Kunst widerlegt. Zwar ist die dramatische Poesie
im Bereich des Tragischen die eigentliche Herrscherin, aber weder der Malerei
noch der Plastik ist es versagt, tragische Stimmungen auszudrücken, Vorgänge
von tragischer Wirkung zu schildern, sei es in mythisch-symbolischer Weise oder
in den Formen geschichtlicher Wirklichkeit. Die Niobegruppe und die per-
gamenische Gigantomachie, der gefesselte und der sterbende Sklave Michel¬
angelos, Raffaels Tod des Ananias, Dürers Passionsbilder, Rubens Dar¬
stellungen des jüngsten Gerichts und des Sturzes der Verdammten, Cornelius
apokalyptische Reiter sind Kunstwerke, deren ergreifende Wirkungen sich mit
nichts anderm vergleichen lassen, als mit den Wirkungen der großen tragischen
Dichtung. Und neben das Erschütternde, neben das dämonisch Großartige stellt
sich das Rührende, neben die Tragödie die Elegie auch in der bildenden Kunst.

In der Schilderung des bloß Traurigen, in den Darstellungen mensch¬
lichen Jammers und Elends, wenn sie nicht lediglich auf Nervenerregung aus¬
gehen, ist, namentlich in Zeiten heftiger sozialer Gührungen, ähnlich wie bei
der Satire, meist eine Tendenz versteckt, eine Absicht, wie sie der Redner hat,
wenn er Übel und Leiden aufdeckt, um das Mitleid und den Willen zur Ab¬
hilfe des Leidens aufzurufen; auch eine solche, über das Künstlerische hinaus¬
greifende Tendenz wird man natürlich nicht als schlechthin unberechtigt hin¬
stellen können. Die Berechtigung der Tendenz wird sich vor allem in dem
Ernst der Auffassung erweisen müssen. Wenn man sür derartige Schil¬
derungen nicht selten zeichnerische Mittel wählt, mit Vorliebe solche, die


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[0544] Malerei und Zeichnung rakters weit besser zu derartigen Schilderungen eignet als die Malerei; man kann auch sagen, sie sei dazu ausschließlich geeignet. Eine gemalte, in naturalistischer Weise gemalte Karrikatur würde immer höchst geschmacklos er¬ scheinen. In der frühern Stelle der Klingerschen Schrift, wo von der Schilderung der „dunkeln Seite des Lebens" die Rede war, war offenbar nicht bloß die satirische Schilderung gemeint, sondern auch die Darstellung von trüben, düstern Erscheinungen, die keine satirische oder ironische Ausfassung zulassen. Die An¬ deutungen über den Charakter solcher Gegenstände waren freilich sehr all¬ gemeiner Art. Handelt es sich um solche, in denen zum Düstern das Gro߬ artige hinzukommt, um die Schilderung von Leiden und Kämpfen, in denen sich die edelsten Eigenschaften der menschlichen Natur enthüllen, oder wo sich im Untergänge menschlicher Größe, in gewaltigen Strafgerichten, der Triumph höherer Mächte offenbart, handelt es sich um das eigentlich Tragische, was bedarf es da hinsichtlich des Gegenständlichen einer Rechtfertigung! Was die Form der Darstellung betrifft, so steht das Gebiet des Tragischen doch in Wahrheit der gesamten bildenden Kunst offen. Aus den Lessingschen An¬ sichten ließe sich vielleicht folgern, das Tragische sei aus dem bildnerisch Dar¬ stellbaren streng genommen auszuschließen; thatsächlich würde diese Folgerung durch die ganze bildende Kunst widerlegt. Zwar ist die dramatische Poesie im Bereich des Tragischen die eigentliche Herrscherin, aber weder der Malerei noch der Plastik ist es versagt, tragische Stimmungen auszudrücken, Vorgänge von tragischer Wirkung zu schildern, sei es in mythisch-symbolischer Weise oder in den Formen geschichtlicher Wirklichkeit. Die Niobegruppe und die per- gamenische Gigantomachie, der gefesselte und der sterbende Sklave Michel¬ angelos, Raffaels Tod des Ananias, Dürers Passionsbilder, Rubens Dar¬ stellungen des jüngsten Gerichts und des Sturzes der Verdammten, Cornelius apokalyptische Reiter sind Kunstwerke, deren ergreifende Wirkungen sich mit nichts anderm vergleichen lassen, als mit den Wirkungen der großen tragischen Dichtung. Und neben das Erschütternde, neben das dämonisch Großartige stellt sich das Rührende, neben die Tragödie die Elegie auch in der bildenden Kunst. In der Schilderung des bloß Traurigen, in den Darstellungen mensch¬ lichen Jammers und Elends, wenn sie nicht lediglich auf Nervenerregung aus¬ gehen, ist, namentlich in Zeiten heftiger sozialer Gührungen, ähnlich wie bei der Satire, meist eine Tendenz versteckt, eine Absicht, wie sie der Redner hat, wenn er Übel und Leiden aufdeckt, um das Mitleid und den Willen zur Ab¬ hilfe des Leidens aufzurufen; auch eine solche, über das Künstlerische hinaus¬ greifende Tendenz wird man natürlich nicht als schlechthin unberechtigt hin¬ stellen können. Die Berechtigung der Tendenz wird sich vor allem in dem Ernst der Auffassung erweisen müssen. Wenn man sür derartige Schil¬ derungen nicht selten zeichnerische Mittel wählt, mit Vorliebe solche, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/544>, abgerufen am 24.08.2024.