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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

man hat das deutliche Gefühl, daß sich die Farbe mit ihrem künstlerischen
Wesen nicht vertrüge.

Im weitern Verlauf seiner Auseinandersetzungen sucht nun Klinger den
künstlerischen Unterschied zwischen Malerei und Zeichnung genauer zu be¬
stimmen. Die Bemerkungen, in denen er zunächst das Wesen der Malerei
näher zu definiren sucht, schließen mit einem Satze, der sich aus dem vorher¬
gehenden zwar keineswegs ohne weiteres ergiebt, der aber als die Quintessenz
davon hingestellt wird, und auf den sich das folgende hauptsächlich bezieht.
Er heißt: "Ziehen wir die Mittel der Malerei in Betracht, so erscheint
sie uns als der vollendete Ausdruck unsrer Freude an der Welt, das Schöne
liebt sie um seiner selbst willen und sucht es zu erreichen und selbst im hä߬
lichen Alltäglichen oder in der höchsten Tragik, wo sie uns rührt, bewegt sie
uns durch das Reizvolle, selbst im Kontrast Harmonische der Formen und
Farben. Sie ist die Verherrlichung, der Triumph der Welt, sie muß es sein."
Der Ausdruck "reizvoll," um das beiläufig zu bemerken, ist hier nicht recht
am Platze. Wenn die Malerei auf große tragische Wirkungen ausgeht, so ver¬
zichtet sie doch auf das, ja sie muß auf das verzichten, was man eine reiz¬
volle Formen- und Farbenbehandlung zu nennen Pflegt. Der Ernst der tra¬
gischen Stimmung wird sich vor allem auch in der koloristischen Haltung
aussprechen müssen, die Stimmung der Farbe kann dann wohl eine gro߬
artige harmonische Schönheit haben, aber alles bloß reizende wird sie aus¬
schließen. Ein reizendes Farbenkleid für einen tragischen Gegenstand wäre
doch eine thörichte Maskerade.

Nun folgt aber in der Klingerschen Schrift eine sehr überraschende Wen-
dung. "Neben der Bewunderung, heißt es weiter, neben der Anbetung dieser
Prachtvollen großschreitenden Welt wohnen die Resignation, der arme Trost,
der ganze Jammer der lächerlichen Kleinheit des kläglichen Geschöpfes im
ewigen Kampf zwischen Wollen und Können." Und dann: "Zu empfinden,
was er sieht, zu geben, was er empfindet, macht das Leben des Künstlers
aus. Sollten denn nun, an das Schöne gebunden durch Form und Farbe (!),
w ihm die mächtigen Eindrücke stumm bleiben, mit denen die dunkle Seite des
Lebens ihn überflutet, vor denen er auch nach Hilfe sucht? Aus den unge¬
heuern Kontrasten zwischen der gesuchten, gesehenen, empfundnen Schönheit und
der Furchtbarkeit des Daseins, die schreiend (!) oft ihm begegnet, müssen Bilder
entstehen, wie sie dem Dichter, dem Musiker aus der lebendigen Empfindung
entspringen. Sollen diese Bilder nicht verloren gehen, so muß es eine die
Malerei und Skulptur ergänzende Kunst geben. Diese Kunst ist die Zeich¬
nung:"

Kurz vorher war vom Tragischen als einem Gegenstande der Malerei die
Rede. Wenn tragische Schilderungen in der Malerei eine Stelle haben, warum
nicht auch Bilder, die aus diesen ungeheuern Kontrasten entstehen? Oder ist


Malerei und Zeichnung

man hat das deutliche Gefühl, daß sich die Farbe mit ihrem künstlerischen
Wesen nicht vertrüge.

Im weitern Verlauf seiner Auseinandersetzungen sucht nun Klinger den
künstlerischen Unterschied zwischen Malerei und Zeichnung genauer zu be¬
stimmen. Die Bemerkungen, in denen er zunächst das Wesen der Malerei
näher zu definiren sucht, schließen mit einem Satze, der sich aus dem vorher¬
gehenden zwar keineswegs ohne weiteres ergiebt, der aber als die Quintessenz
davon hingestellt wird, und auf den sich das folgende hauptsächlich bezieht.
Er heißt: „Ziehen wir die Mittel der Malerei in Betracht, so erscheint
sie uns als der vollendete Ausdruck unsrer Freude an der Welt, das Schöne
liebt sie um seiner selbst willen und sucht es zu erreichen und selbst im hä߬
lichen Alltäglichen oder in der höchsten Tragik, wo sie uns rührt, bewegt sie
uns durch das Reizvolle, selbst im Kontrast Harmonische der Formen und
Farben. Sie ist die Verherrlichung, der Triumph der Welt, sie muß es sein."
Der Ausdruck „reizvoll," um das beiläufig zu bemerken, ist hier nicht recht
am Platze. Wenn die Malerei auf große tragische Wirkungen ausgeht, so ver¬
zichtet sie doch auf das, ja sie muß auf das verzichten, was man eine reiz¬
volle Formen- und Farbenbehandlung zu nennen Pflegt. Der Ernst der tra¬
gischen Stimmung wird sich vor allem auch in der koloristischen Haltung
aussprechen müssen, die Stimmung der Farbe kann dann wohl eine gro߬
artige harmonische Schönheit haben, aber alles bloß reizende wird sie aus¬
schließen. Ein reizendes Farbenkleid für einen tragischen Gegenstand wäre
doch eine thörichte Maskerade.

Nun folgt aber in der Klingerschen Schrift eine sehr überraschende Wen-
dung. „Neben der Bewunderung, heißt es weiter, neben der Anbetung dieser
Prachtvollen großschreitenden Welt wohnen die Resignation, der arme Trost,
der ganze Jammer der lächerlichen Kleinheit des kläglichen Geschöpfes im
ewigen Kampf zwischen Wollen und Können." Und dann: „Zu empfinden,
was er sieht, zu geben, was er empfindet, macht das Leben des Künstlers
aus. Sollten denn nun, an das Schöne gebunden durch Form und Farbe (!),
w ihm die mächtigen Eindrücke stumm bleiben, mit denen die dunkle Seite des
Lebens ihn überflutet, vor denen er auch nach Hilfe sucht? Aus den unge¬
heuern Kontrasten zwischen der gesuchten, gesehenen, empfundnen Schönheit und
der Furchtbarkeit des Daseins, die schreiend (!) oft ihm begegnet, müssen Bilder
entstehen, wie sie dem Dichter, dem Musiker aus der lebendigen Empfindung
entspringen. Sollen diese Bilder nicht verloren gehen, so muß es eine die
Malerei und Skulptur ergänzende Kunst geben. Diese Kunst ist die Zeich¬
nung:"

Kurz vorher war vom Tragischen als einem Gegenstande der Malerei die
Rede. Wenn tragische Schilderungen in der Malerei eine Stelle haben, warum
nicht auch Bilder, die aus diesen ungeheuern Kontrasten entstehen? Oder ist


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[0537] Malerei und Zeichnung man hat das deutliche Gefühl, daß sich die Farbe mit ihrem künstlerischen Wesen nicht vertrüge. Im weitern Verlauf seiner Auseinandersetzungen sucht nun Klinger den künstlerischen Unterschied zwischen Malerei und Zeichnung genauer zu be¬ stimmen. Die Bemerkungen, in denen er zunächst das Wesen der Malerei näher zu definiren sucht, schließen mit einem Satze, der sich aus dem vorher¬ gehenden zwar keineswegs ohne weiteres ergiebt, der aber als die Quintessenz davon hingestellt wird, und auf den sich das folgende hauptsächlich bezieht. Er heißt: „Ziehen wir die Mittel der Malerei in Betracht, so erscheint sie uns als der vollendete Ausdruck unsrer Freude an der Welt, das Schöne liebt sie um seiner selbst willen und sucht es zu erreichen und selbst im hä߬ lichen Alltäglichen oder in der höchsten Tragik, wo sie uns rührt, bewegt sie uns durch das Reizvolle, selbst im Kontrast Harmonische der Formen und Farben. Sie ist die Verherrlichung, der Triumph der Welt, sie muß es sein." Der Ausdruck „reizvoll," um das beiläufig zu bemerken, ist hier nicht recht am Platze. Wenn die Malerei auf große tragische Wirkungen ausgeht, so ver¬ zichtet sie doch auf das, ja sie muß auf das verzichten, was man eine reiz¬ volle Formen- und Farbenbehandlung zu nennen Pflegt. Der Ernst der tra¬ gischen Stimmung wird sich vor allem auch in der koloristischen Haltung aussprechen müssen, die Stimmung der Farbe kann dann wohl eine gro߬ artige harmonische Schönheit haben, aber alles bloß reizende wird sie aus¬ schließen. Ein reizendes Farbenkleid für einen tragischen Gegenstand wäre doch eine thörichte Maskerade. Nun folgt aber in der Klingerschen Schrift eine sehr überraschende Wen- dung. „Neben der Bewunderung, heißt es weiter, neben der Anbetung dieser Prachtvollen großschreitenden Welt wohnen die Resignation, der arme Trost, der ganze Jammer der lächerlichen Kleinheit des kläglichen Geschöpfes im ewigen Kampf zwischen Wollen und Können." Und dann: „Zu empfinden, was er sieht, zu geben, was er empfindet, macht das Leben des Künstlers aus. Sollten denn nun, an das Schöne gebunden durch Form und Farbe (!), w ihm die mächtigen Eindrücke stumm bleiben, mit denen die dunkle Seite des Lebens ihn überflutet, vor denen er auch nach Hilfe sucht? Aus den unge¬ heuern Kontrasten zwischen der gesuchten, gesehenen, empfundnen Schönheit und der Furchtbarkeit des Daseins, die schreiend (!) oft ihm begegnet, müssen Bilder entstehen, wie sie dem Dichter, dem Musiker aus der lebendigen Empfindung entspringen. Sollen diese Bilder nicht verloren gehen, so muß es eine die Malerei und Skulptur ergänzende Kunst geben. Diese Kunst ist die Zeich¬ nung:" Kurz vorher war vom Tragischen als einem Gegenstande der Malerei die Rede. Wenn tragische Schilderungen in der Malerei eine Stelle haben, warum nicht auch Bilder, die aus diesen ungeheuern Kontrasten entstehen? Oder ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/537>, abgerufen am 25.08.2024.