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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung

vollendeten Ausdruck. Die Reproduktion eines Gemäldes im Stich, in der
Lithographie, im Holzschnitt ist im eigentlichsten Sinne eine Übersetzung; ihre
Aufgabe ist, mit zeichnerischen Mitteln eine ähnliche Wirkung hervorzubringen,
wie die, die dem Gemälde eigen ist. Durch die Verschiedenheit der Strichlagen,
durch die Abstufungen von Hell und Dunkel, mittels der Skala von Schwarz
zu Weiß strebt sie die Farben- und Lichtwerte des Gemäldes, die Stosfunter-
schiede der Dinge, wie sie die Malerei kennzeichnet, wiederzugeben; sie will
Farbenempfindung erregen und eine ähnliche Wirklichkeitsvorstellung hervor¬
rufen, wie sie im Gemälde ausgedrückt ist. Sie übersetzt das farbige Bild
ins Zeichnerische; die Zeichnung dient zur Nachahmung einer andern, der
farbigen Darstellungsweise. Etwas ähnliches ist vielfach auch bei zeichnerischen
Darstellungen der Fall, die nicht Reproduktionen von Gemälden sind. Als
charakteristisches Beispiel dafür erwähnt Klinger die Illustrationen von Wood-
ville, von dem er sagt, daß "alle seine Bestrebungen genau mit denen des
Malers zusammenfallen." Seine Art zu zeichnen ist eine Anpassung an die
Zwecke der farbigen Darstellung, seine Blätter haben also auch keinen eigentlich
selbständigen künstlerischen Charakter.

Kunstwerke von ganz selbständiger Bedeutung sind aber die Kupferstiche
Dürers. Auf die Nachahmung einer farbigen Wirkung, auf eine Nachahmung
jenes vollen Scheins der Wirklichkeit, den die Malerei eben durch die Farbe
erreicht, ist es hier nicht abgesehen. Dürers Stiche, sagt Klinger, vertreten
"die Zeichnung, die eine Kunst für sich bildet," eine Kunst, die andre Zwecke
verfolgt als die Malerei. Oster will Dürer an die Farbe "erinnern," aber er
will sie nicht "übersetzen." Die wirkliche Farbe würde zu der "geistigen Welt,"
die in seinen Stichen dargestellt ist, nicht Passen, sie würde sie zerstören. Ein
Motiv, vollständig künstlerisch darstellbar als Zeichnung, kann für die Malerei
aus ästhetischen Gründen undarstellbar sein.

Etwas eigentlich -neues wird hier nicht behauptet, und im allgemeinen
sind die aufgestellten Unterschiede zwischen Zeichnung und Malerei gewiß richtig.
Nur dürfte zwischen der Dürerschen und der wesentlich malerischen Art der
Stichbehandlung eine weniger scharfe Grenze zu ziehen sein, in gewissen Punkten
berühren sich eben doch die beiden BeHandlungsweisen; ja man darf behaupten,
daß manche Dürerschen Stiche, z. B. der Hieronymus in der Zelle, soviel
eigentlich malerischen Charakter haben, daß sie eine Übertragung in die Farbe
sehr wohl zulassen würden. Der Hieronymus würde, als Gemälde ausgeführt,
etwa in der Art des Quinten Massys, gewiß ein interessantes Gegenstück zu
den beiden Philosophen Rembrandts im Louvre abgeben können. Anders verhält
sichs mit andern Stichen Dürers und mit vielen seiner Holzschnittblätter.
Schwerlich kann man sich die Melancholie und die Darstellungen zur Apokalypse
in farbiger Ausführung denken, ohne die lebhafte Empfindung zu haben, daß
sie in solcher Ausführung ihren eigentümlichen Charakter völlig einbüßen würden;


Malerei und Zeichnung

vollendeten Ausdruck. Die Reproduktion eines Gemäldes im Stich, in der
Lithographie, im Holzschnitt ist im eigentlichsten Sinne eine Übersetzung; ihre
Aufgabe ist, mit zeichnerischen Mitteln eine ähnliche Wirkung hervorzubringen,
wie die, die dem Gemälde eigen ist. Durch die Verschiedenheit der Strichlagen,
durch die Abstufungen von Hell und Dunkel, mittels der Skala von Schwarz
zu Weiß strebt sie die Farben- und Lichtwerte des Gemäldes, die Stosfunter-
schiede der Dinge, wie sie die Malerei kennzeichnet, wiederzugeben; sie will
Farbenempfindung erregen und eine ähnliche Wirklichkeitsvorstellung hervor¬
rufen, wie sie im Gemälde ausgedrückt ist. Sie übersetzt das farbige Bild
ins Zeichnerische; die Zeichnung dient zur Nachahmung einer andern, der
farbigen Darstellungsweise. Etwas ähnliches ist vielfach auch bei zeichnerischen
Darstellungen der Fall, die nicht Reproduktionen von Gemälden sind. Als
charakteristisches Beispiel dafür erwähnt Klinger die Illustrationen von Wood-
ville, von dem er sagt, daß „alle seine Bestrebungen genau mit denen des
Malers zusammenfallen." Seine Art zu zeichnen ist eine Anpassung an die
Zwecke der farbigen Darstellung, seine Blätter haben also auch keinen eigentlich
selbständigen künstlerischen Charakter.

Kunstwerke von ganz selbständiger Bedeutung sind aber die Kupferstiche
Dürers. Auf die Nachahmung einer farbigen Wirkung, auf eine Nachahmung
jenes vollen Scheins der Wirklichkeit, den die Malerei eben durch die Farbe
erreicht, ist es hier nicht abgesehen. Dürers Stiche, sagt Klinger, vertreten
„die Zeichnung, die eine Kunst für sich bildet," eine Kunst, die andre Zwecke
verfolgt als die Malerei. Oster will Dürer an die Farbe „erinnern," aber er
will sie nicht „übersetzen." Die wirkliche Farbe würde zu der „geistigen Welt,"
die in seinen Stichen dargestellt ist, nicht Passen, sie würde sie zerstören. Ein
Motiv, vollständig künstlerisch darstellbar als Zeichnung, kann für die Malerei
aus ästhetischen Gründen undarstellbar sein.

Etwas eigentlich -neues wird hier nicht behauptet, und im allgemeinen
sind die aufgestellten Unterschiede zwischen Zeichnung und Malerei gewiß richtig.
Nur dürfte zwischen der Dürerschen und der wesentlich malerischen Art der
Stichbehandlung eine weniger scharfe Grenze zu ziehen sein, in gewissen Punkten
berühren sich eben doch die beiden BeHandlungsweisen; ja man darf behaupten,
daß manche Dürerschen Stiche, z. B. der Hieronymus in der Zelle, soviel
eigentlich malerischen Charakter haben, daß sie eine Übertragung in die Farbe
sehr wohl zulassen würden. Der Hieronymus würde, als Gemälde ausgeführt,
etwa in der Art des Quinten Massys, gewiß ein interessantes Gegenstück zu
den beiden Philosophen Rembrandts im Louvre abgeben können. Anders verhält
sichs mit andern Stichen Dürers und mit vielen seiner Holzschnittblätter.
Schwerlich kann man sich die Melancholie und die Darstellungen zur Apokalypse
in farbiger Ausführung denken, ohne die lebhafte Empfindung zu haben, daß
sie in solcher Ausführung ihren eigentümlichen Charakter völlig einbüßen würden;


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[0536] Malerei und Zeichnung vollendeten Ausdruck. Die Reproduktion eines Gemäldes im Stich, in der Lithographie, im Holzschnitt ist im eigentlichsten Sinne eine Übersetzung; ihre Aufgabe ist, mit zeichnerischen Mitteln eine ähnliche Wirkung hervorzubringen, wie die, die dem Gemälde eigen ist. Durch die Verschiedenheit der Strichlagen, durch die Abstufungen von Hell und Dunkel, mittels der Skala von Schwarz zu Weiß strebt sie die Farben- und Lichtwerte des Gemäldes, die Stosfunter- schiede der Dinge, wie sie die Malerei kennzeichnet, wiederzugeben; sie will Farbenempfindung erregen und eine ähnliche Wirklichkeitsvorstellung hervor¬ rufen, wie sie im Gemälde ausgedrückt ist. Sie übersetzt das farbige Bild ins Zeichnerische; die Zeichnung dient zur Nachahmung einer andern, der farbigen Darstellungsweise. Etwas ähnliches ist vielfach auch bei zeichnerischen Darstellungen der Fall, die nicht Reproduktionen von Gemälden sind. Als charakteristisches Beispiel dafür erwähnt Klinger die Illustrationen von Wood- ville, von dem er sagt, daß „alle seine Bestrebungen genau mit denen des Malers zusammenfallen." Seine Art zu zeichnen ist eine Anpassung an die Zwecke der farbigen Darstellung, seine Blätter haben also auch keinen eigentlich selbständigen künstlerischen Charakter. Kunstwerke von ganz selbständiger Bedeutung sind aber die Kupferstiche Dürers. Auf die Nachahmung einer farbigen Wirkung, auf eine Nachahmung jenes vollen Scheins der Wirklichkeit, den die Malerei eben durch die Farbe erreicht, ist es hier nicht abgesehen. Dürers Stiche, sagt Klinger, vertreten „die Zeichnung, die eine Kunst für sich bildet," eine Kunst, die andre Zwecke verfolgt als die Malerei. Oster will Dürer an die Farbe „erinnern," aber er will sie nicht „übersetzen." Die wirkliche Farbe würde zu der „geistigen Welt," die in seinen Stichen dargestellt ist, nicht Passen, sie würde sie zerstören. Ein Motiv, vollständig künstlerisch darstellbar als Zeichnung, kann für die Malerei aus ästhetischen Gründen undarstellbar sein. Etwas eigentlich -neues wird hier nicht behauptet, und im allgemeinen sind die aufgestellten Unterschiede zwischen Zeichnung und Malerei gewiß richtig. Nur dürfte zwischen der Dürerschen und der wesentlich malerischen Art der Stichbehandlung eine weniger scharfe Grenze zu ziehen sein, in gewissen Punkten berühren sich eben doch die beiden BeHandlungsweisen; ja man darf behaupten, daß manche Dürerschen Stiche, z. B. der Hieronymus in der Zelle, soviel eigentlich malerischen Charakter haben, daß sie eine Übertragung in die Farbe sehr wohl zulassen würden. Der Hieronymus würde, als Gemälde ausgeführt, etwa in der Art des Quinten Massys, gewiß ein interessantes Gegenstück zu den beiden Philosophen Rembrandts im Louvre abgeben können. Anders verhält sichs mit andern Stichen Dürers und mit vielen seiner Holzschnittblätter. Schwerlich kann man sich die Melancholie und die Darstellungen zur Apokalypse in farbiger Ausführung denken, ohne die lebhafte Empfindung zu haben, daß sie in solcher Ausführung ihren eigentümlichen Charakter völlig einbüßen würden;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/536>, abgerufen am 25.08.2024.