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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Malerei und Zeichnung
Hermann Lücke von

on Künstlern verfaßte Schriften über Fragen der Kunst, deren in
neuerer Zeit mehrere erschienen sind, werden immer einem
ganz besondern Interesse begegnen. Man nimmt an, daß der
Künstler, wenn er zur Feder greift, dazu einen besonders wichtigen
Grund habe, man erwartet von ihm ganz unmittelbar aus leben¬
digster künstlerischer Erfahrung geschöpfte Mitteilungen, Aufschlüsse, wie sie der
Laie nicht zu geben vermag. Wie verhält sich zu solchen Erwartungen Max
Kliugers vor kurzem schon in zweiter Auflage erschienene Schrift über Ma¬
lerei und Zeichnung? Sie ist vielfach gelobt und gerühmt, aber, so viel
ich weiß, noch nirgends eingehend besprochen worden.

Unter dem Begriff Zeichnung faßt Klinger alle Darstelluugsweisen zu¬
sammen, die auf einer Fläche farblos in Linien, mit Licht- und Schattengebung,
in Hell und Dunkel ausgeführt werden, die Feder-, die Kreide- und die Blei¬
stiftzeichnung ebensowohl wie den Kupferstich, die Rcidirung, den Holzschnitt,
die Lithographie. In seiner Schrift will er darlegen, in welchem Sinne dieser
Darstellungsart -- er neunt sie Griffelkunst -- die Bedeutung einer völlig
selbständigen Kunst zukommt, in welchem Sinne die Zeichnung der Malerei
gegenüber eine durchaus selbständige Stellung einnimmt.

Der Inhalt des ersten Abschnitts ist kurz folgender. Die Zeichnung hat
einen selbständigen künstlerischen Charakter nur dann, wenn sie für den Ge¬
danken, der in ihr ausgedrückt werden soll, die einzig gemäße Darstellungsform
ist, wenn der künstlerische Gedanke nur in dieser, in keiner andern Darstellungs¬
form einen vollkommen angemessenen Ausdruck finden kann.

Vielfach verhält sich die Zeichnung nur dienend zu andern Künsten; sie
dient dann entweder zur Vorbereitung eines mit andern Mitteln herzustellenden
Kunstwerks oder zur Wiedergabe eines Kunstwerks, das mit andern Mitteln
bereits ausgeführt ist. Die Zeichnungen Nciffaels sind nur Vorarbeiten für
Gemälde, sie haben, so genial sie entworfen sind, doch keine selbständige künst¬
lerische Bedeutung, sie sind nur künstlerische Fragmente, uur Mittel zum Zweck;
der Gedanke, der Naffael vorschwebte, erhielt erst in dein gemalten Bilde seinen




Malerei und Zeichnung
Hermann Lücke von

on Künstlern verfaßte Schriften über Fragen der Kunst, deren in
neuerer Zeit mehrere erschienen sind, werden immer einem
ganz besondern Interesse begegnen. Man nimmt an, daß der
Künstler, wenn er zur Feder greift, dazu einen besonders wichtigen
Grund habe, man erwartet von ihm ganz unmittelbar aus leben¬
digster künstlerischer Erfahrung geschöpfte Mitteilungen, Aufschlüsse, wie sie der
Laie nicht zu geben vermag. Wie verhält sich zu solchen Erwartungen Max
Kliugers vor kurzem schon in zweiter Auflage erschienene Schrift über Ma¬
lerei und Zeichnung? Sie ist vielfach gelobt und gerühmt, aber, so viel
ich weiß, noch nirgends eingehend besprochen worden.

Unter dem Begriff Zeichnung faßt Klinger alle Darstelluugsweisen zu¬
sammen, die auf einer Fläche farblos in Linien, mit Licht- und Schattengebung,
in Hell und Dunkel ausgeführt werden, die Feder-, die Kreide- und die Blei¬
stiftzeichnung ebensowohl wie den Kupferstich, die Rcidirung, den Holzschnitt,
die Lithographie. In seiner Schrift will er darlegen, in welchem Sinne dieser
Darstellungsart — er neunt sie Griffelkunst — die Bedeutung einer völlig
selbständigen Kunst zukommt, in welchem Sinne die Zeichnung der Malerei
gegenüber eine durchaus selbständige Stellung einnimmt.

Der Inhalt des ersten Abschnitts ist kurz folgender. Die Zeichnung hat
einen selbständigen künstlerischen Charakter nur dann, wenn sie für den Ge¬
danken, der in ihr ausgedrückt werden soll, die einzig gemäße Darstellungsform
ist, wenn der künstlerische Gedanke nur in dieser, in keiner andern Darstellungs¬
form einen vollkommen angemessenen Ausdruck finden kann.

Vielfach verhält sich die Zeichnung nur dienend zu andern Künsten; sie
dient dann entweder zur Vorbereitung eines mit andern Mitteln herzustellenden
Kunstwerks oder zur Wiedergabe eines Kunstwerks, das mit andern Mitteln
bereits ausgeführt ist. Die Zeichnungen Nciffaels sind nur Vorarbeiten für
Gemälde, sie haben, so genial sie entworfen sind, doch keine selbständige künst¬
lerische Bedeutung, sie sind nur künstlerische Fragmente, uur Mittel zum Zweck;
der Gedanke, der Naffael vorschwebte, erhielt erst in dein gemalten Bilde seinen


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[0535] [Abbildung] Malerei und Zeichnung Hermann Lücke von on Künstlern verfaßte Schriften über Fragen der Kunst, deren in neuerer Zeit mehrere erschienen sind, werden immer einem ganz besondern Interesse begegnen. Man nimmt an, daß der Künstler, wenn er zur Feder greift, dazu einen besonders wichtigen Grund habe, man erwartet von ihm ganz unmittelbar aus leben¬ digster künstlerischer Erfahrung geschöpfte Mitteilungen, Aufschlüsse, wie sie der Laie nicht zu geben vermag. Wie verhält sich zu solchen Erwartungen Max Kliugers vor kurzem schon in zweiter Auflage erschienene Schrift über Ma¬ lerei und Zeichnung? Sie ist vielfach gelobt und gerühmt, aber, so viel ich weiß, noch nirgends eingehend besprochen worden. Unter dem Begriff Zeichnung faßt Klinger alle Darstelluugsweisen zu¬ sammen, die auf einer Fläche farblos in Linien, mit Licht- und Schattengebung, in Hell und Dunkel ausgeführt werden, die Feder-, die Kreide- und die Blei¬ stiftzeichnung ebensowohl wie den Kupferstich, die Rcidirung, den Holzschnitt, die Lithographie. In seiner Schrift will er darlegen, in welchem Sinne dieser Darstellungsart — er neunt sie Griffelkunst — die Bedeutung einer völlig selbständigen Kunst zukommt, in welchem Sinne die Zeichnung der Malerei gegenüber eine durchaus selbständige Stellung einnimmt. Der Inhalt des ersten Abschnitts ist kurz folgender. Die Zeichnung hat einen selbständigen künstlerischen Charakter nur dann, wenn sie für den Ge¬ danken, der in ihr ausgedrückt werden soll, die einzig gemäße Darstellungsform ist, wenn der künstlerische Gedanke nur in dieser, in keiner andern Darstellungs¬ form einen vollkommen angemessenen Ausdruck finden kann. Vielfach verhält sich die Zeichnung nur dienend zu andern Künsten; sie dient dann entweder zur Vorbereitung eines mit andern Mitteln herzustellenden Kunstwerks oder zur Wiedergabe eines Kunstwerks, das mit andern Mitteln bereits ausgeführt ist. Die Zeichnungen Nciffaels sind nur Vorarbeiten für Gemälde, sie haben, so genial sie entworfen sind, doch keine selbständige künst¬ lerische Bedeutung, sie sind nur künstlerische Fragmente, uur Mittel zum Zweck; der Gedanke, der Naffael vorschwebte, erhielt erst in dein gemalten Bilde seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/535>, abgerufen am 25.08.2024.