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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

Häuser, Bankhäuser. Am schnellsten geht die Entwicklung bei solchen Waren
vor sich, in denen man nur eine Sorte, gar keinen Unterschied der Beschaffen¬
heit kennt. Und der Gipfel wird erreicht, wenn auch die Verpackung nach
Große und Form dieselbe ist oder gar fehlt, sodaß nur nach rundem Gewicht
oder Maß gehandelt wird.

Petroleum kam in den bekannten, immer gleich großen blauen Eichen-
fäsfern. Die Sorte war immer dieselbe: Standard white. In kleinen Mengen
eingeführtes Luxusvl, Prime white usw., spielt keine Rolle und ist eigentlich
nie gemeint, wenn man von Petroleum spricht. Der Handel wurde zunächst
in der Form betrieben, die ich eben Kommissionsgeschäft im übertragnen Sinne
genannt habe. Eine ganze Anzahl Newyvrker Verschiffer boten durch ihre
Agenten in Europa bestimmte Seglerladungen fest an. Bald mußte der ameri¬
kanische Verschiffer im Konkurrenzkampf "spekulativ" werden. Tagespreis in
Newyork und Tagesfracht zum Tageskurs ungerechnet, das war selbst ohne
Verdienst in Europa nie unterzubringen. Wenn der Newyvrker am Abend,
nachdem er Börse und Geschäftstag hinter sich hatte, seinem Hamburger Agenten
telegraphirte mit zwei, drei Worten des übereingekommnen oavls <zoäe>: "Ich
biete an, fest auf Antwort morgen vor Börse hier, eine Ladung von fünf¬
tausend Barrels, die in der zweiten Hälfte November von Newyork absegeln
wird, zum Preise vou 8 Mark 95 Pfennig für 50 Kilo netto, Faß frei, Fracht
und Seeasfeknranz eingeschlossen," so lag diese Depesche am andern Morgen
um acht Uhr in dem Briefkasten des Agenten, denn sie war schon in der Nacht
angekommen. In Hamburg war damals eine ganze Reihe großer Häuser in
Petroleum als erste Hand, als Importeure, ausschließlich oder hauptsächlich
thätig. Die doppelte oder dreifache Anzahl Hamburger Geschäftshäuser be¬
schäftigte sich als zweite Hand unter andern: damit, Petroleum im großen
von den Importeuren zu kaufen und es an die Händler des Hinterlandes zu
verteilen. Vou acht oder neun Uhr an schwirrte nun der Agent, gleichzeitig mit
vielen andern, aus und suchte sich über die Stimmung der Importeure zu
unterrichten und seine Novemberladung unterzubringen. Die Jmpvrtenre
unterrichteten sich bei den Maklern, wie man denn Januar-Petroleum ver¬
kaufe" könnte, denn Zweite-Hälfte-November-Klarirung in Newyork bedeutete
Ankunft in Hamburg Ende Dezember oder Anfang Januar. Gegen Schluß
der Börse entschied sich dann der Sieg zu Gunsten der stärksten oder einiger
der stärksten Offerten, man "acceptirte die Ladung" oder machte doch ein Gegen¬
gebot, dessen Annahme wahrscheinlich schien, und am andern Morgen war
man dann der glückliche oder unglückliche Besitzer der fünftausend Fässer Pe¬
troleum.

Der solide Kaufmann kaufte auch jetzt noch nie oder fast nie, ohne die
Ladung oder einen großen Teil davon auf Lieferung verkauft zu haben, nur
die Möglichkeit, auf Lieferung regelmüßig zu verkaufen, machte das Einfuhr-


Das Petroleum

Häuser, Bankhäuser. Am schnellsten geht die Entwicklung bei solchen Waren
vor sich, in denen man nur eine Sorte, gar keinen Unterschied der Beschaffen¬
heit kennt. Und der Gipfel wird erreicht, wenn auch die Verpackung nach
Große und Form dieselbe ist oder gar fehlt, sodaß nur nach rundem Gewicht
oder Maß gehandelt wird.

Petroleum kam in den bekannten, immer gleich großen blauen Eichen-
fäsfern. Die Sorte war immer dieselbe: Standard white. In kleinen Mengen
eingeführtes Luxusvl, Prime white usw., spielt keine Rolle und ist eigentlich
nie gemeint, wenn man von Petroleum spricht. Der Handel wurde zunächst
in der Form betrieben, die ich eben Kommissionsgeschäft im übertragnen Sinne
genannt habe. Eine ganze Anzahl Newyvrker Verschiffer boten durch ihre
Agenten in Europa bestimmte Seglerladungen fest an. Bald mußte der ameri¬
kanische Verschiffer im Konkurrenzkampf „spekulativ" werden. Tagespreis in
Newyork und Tagesfracht zum Tageskurs ungerechnet, das war selbst ohne
Verdienst in Europa nie unterzubringen. Wenn der Newyvrker am Abend,
nachdem er Börse und Geschäftstag hinter sich hatte, seinem Hamburger Agenten
telegraphirte mit zwei, drei Worten des übereingekommnen oavls <zoäe>: „Ich
biete an, fest auf Antwort morgen vor Börse hier, eine Ladung von fünf¬
tausend Barrels, die in der zweiten Hälfte November von Newyork absegeln
wird, zum Preise vou 8 Mark 95 Pfennig für 50 Kilo netto, Faß frei, Fracht
und Seeasfeknranz eingeschlossen," so lag diese Depesche am andern Morgen
um acht Uhr in dem Briefkasten des Agenten, denn sie war schon in der Nacht
angekommen. In Hamburg war damals eine ganze Reihe großer Häuser in
Petroleum als erste Hand, als Importeure, ausschließlich oder hauptsächlich
thätig. Die doppelte oder dreifache Anzahl Hamburger Geschäftshäuser be¬
schäftigte sich als zweite Hand unter andern: damit, Petroleum im großen
von den Importeuren zu kaufen und es an die Händler des Hinterlandes zu
verteilen. Vou acht oder neun Uhr an schwirrte nun der Agent, gleichzeitig mit
vielen andern, aus und suchte sich über die Stimmung der Importeure zu
unterrichten und seine Novemberladung unterzubringen. Die Jmpvrtenre
unterrichteten sich bei den Maklern, wie man denn Januar-Petroleum ver¬
kaufe» könnte, denn Zweite-Hälfte-November-Klarirung in Newyork bedeutete
Ankunft in Hamburg Ende Dezember oder Anfang Januar. Gegen Schluß
der Börse entschied sich dann der Sieg zu Gunsten der stärksten oder einiger
der stärksten Offerten, man „acceptirte die Ladung" oder machte doch ein Gegen¬
gebot, dessen Annahme wahrscheinlich schien, und am andern Morgen war
man dann der glückliche oder unglückliche Besitzer der fünftausend Fässer Pe¬
troleum.

Der solide Kaufmann kaufte auch jetzt noch nie oder fast nie, ohne die
Ladung oder einen großen Teil davon auf Lieferung verkauft zu haben, nur
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[0528] Das Petroleum Häuser, Bankhäuser. Am schnellsten geht die Entwicklung bei solchen Waren vor sich, in denen man nur eine Sorte, gar keinen Unterschied der Beschaffen¬ heit kennt. Und der Gipfel wird erreicht, wenn auch die Verpackung nach Große und Form dieselbe ist oder gar fehlt, sodaß nur nach rundem Gewicht oder Maß gehandelt wird. Petroleum kam in den bekannten, immer gleich großen blauen Eichen- fäsfern. Die Sorte war immer dieselbe: Standard white. In kleinen Mengen eingeführtes Luxusvl, Prime white usw., spielt keine Rolle und ist eigentlich nie gemeint, wenn man von Petroleum spricht. Der Handel wurde zunächst in der Form betrieben, die ich eben Kommissionsgeschäft im übertragnen Sinne genannt habe. Eine ganze Anzahl Newyvrker Verschiffer boten durch ihre Agenten in Europa bestimmte Seglerladungen fest an. Bald mußte der ameri¬ kanische Verschiffer im Konkurrenzkampf „spekulativ" werden. Tagespreis in Newyork und Tagesfracht zum Tageskurs ungerechnet, das war selbst ohne Verdienst in Europa nie unterzubringen. Wenn der Newyvrker am Abend, nachdem er Börse und Geschäftstag hinter sich hatte, seinem Hamburger Agenten telegraphirte mit zwei, drei Worten des übereingekommnen oavls <zoäe>: „Ich biete an, fest auf Antwort morgen vor Börse hier, eine Ladung von fünf¬ tausend Barrels, die in der zweiten Hälfte November von Newyork absegeln wird, zum Preise vou 8 Mark 95 Pfennig für 50 Kilo netto, Faß frei, Fracht und Seeasfeknranz eingeschlossen," so lag diese Depesche am andern Morgen um acht Uhr in dem Briefkasten des Agenten, denn sie war schon in der Nacht angekommen. In Hamburg war damals eine ganze Reihe großer Häuser in Petroleum als erste Hand, als Importeure, ausschließlich oder hauptsächlich thätig. Die doppelte oder dreifache Anzahl Hamburger Geschäftshäuser be¬ schäftigte sich als zweite Hand unter andern: damit, Petroleum im großen von den Importeuren zu kaufen und es an die Händler des Hinterlandes zu verteilen. Vou acht oder neun Uhr an schwirrte nun der Agent, gleichzeitig mit vielen andern, aus und suchte sich über die Stimmung der Importeure zu unterrichten und seine Novemberladung unterzubringen. Die Jmpvrtenre unterrichteten sich bei den Maklern, wie man denn Januar-Petroleum ver¬ kaufe» könnte, denn Zweite-Hälfte-November-Klarirung in Newyork bedeutete Ankunft in Hamburg Ende Dezember oder Anfang Januar. Gegen Schluß der Börse entschied sich dann der Sieg zu Gunsten der stärksten oder einiger der stärksten Offerten, man „acceptirte die Ladung" oder machte doch ein Gegen¬ gebot, dessen Annahme wahrscheinlich schien, und am andern Morgen war man dann der glückliche oder unglückliche Besitzer der fünftausend Fässer Pe¬ troleum. Der solide Kaufmann kaufte auch jetzt noch nie oder fast nie, ohne die Ladung oder einen großen Teil davon auf Lieferung verkauft zu haben, nur die Möglichkeit, auf Lieferung regelmüßig zu verkaufen, machte das Einfuhr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/528>, abgerufen am 26.08.2024.