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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

ins Komtoir kommt, als Segnung des telegraphischen Antipodenverkehrs auf
seinem Pulte einen Zettel, von dem er weiß, daß er bei jedem Nachbar, der
Zuckergeschäfte macht, auch auf dem Pulte liegt, einen Zettel, auf dem gedruckt
steht, daß heute, am 15. Oktober 1895 nachmittags, in London Zucker mit
folgenden Preisen für die und die Sorten bezahlt worden ist. Einige Dutzend
Zuckermakler und Frachtmakler und Wechselmcikler laufen die Calle mercaderes
entlang von Komtoir zu Komtoir und bieten allen Verschiffern -- auf deutsch
Exporteuren -- dieselben Segler- und Dampferfrachten, dieselben Zuckerposten,
dieselben Wechselkurse an. Ordres sind weiße Raben, die festen Offerten auch
nach Europa find die Regel, und um sie zu machen, kann man in diesem
Gedränge nicht warten, bis man alles sicher beisammen hat, denn gleichzeitig
ist es beinahe nie zusammenzubringen.

Auch die Form des Angebots ist viel handlicher geworden: man kann
Europa nicht mehr die Besorgung von Fracht und Seeversicherung überlassen,
man kann nicht mehr einen Preis für ürst erst oder auch nur für tod Kabalen
(ti-so on oogrä, an Bord des Seeschiffs geliefert) fordern, denn man hat in
London während der paar Stunden keine Zeit, sich aus den Pesos und Cen¬
tavos der ersten Kosten in Habana, den üblichen Spesen, den Exportzöllen, den
Hafenabgaben, der Fracht, der Assekuranz, usw. erst zu berechnen, wie hoch nun
die angebotene Ware, uach London gelegt, sich stellen würde. Der Mann, der etwas
verdienen will, muß es dem Käufer bequem machen. Er bietet die übliche Gewichts--
oder Maßeinheit in Schilling und Pence "frei London" an, alle Spesen, die Fracht
und die Seeversicherung eingeschlossen. Oil l^oväon, heißt der Kunstausdruck, "ost,
in8urimes, trsiANt, I,0nüon oder eit otmnnel lor orclsrs, was noch gebräuchlicher
ist, und was bedeutet, daß das Schiff noch keinen bestimmten Hafen kennt, und
daß der englische Käufer das Recht hat, ihm beim Einlaufen in den Kanal
endgiltige Befehle signalistren zu lassen, nach welchem Nordsee- oder andern
Hafen er seine Ladung für die bedungne Fracht zu bringen hat. In diesem
Wettlauf hat man nur dann Aussicht, rechtzeitig zu kommen, wenn man nach
der einen oder andern Richtung, im Ankauf oder im Verkauf, "vorgeht," ent¬
weder mit den Frachten oder mit dem Kurs oder mit der Ware, manchmal
mit allen dreien und in allen möglichen Verbindungen. Der Kaufmann kann
nicht warten, bis der Nutzen mit Händen zu greifen ist, er muß die Wahr¬
scheinlichkeit durch Schlüsse erforschen, er muß -- spekuliren. Aber er muß
auch auf Grund seiner Spekulationsergebnisse handeln, und zwar rasch. Der
Möglichkeiten sind unendlich viel, und diese Art des Geschäfts macht auf den
Nichteingeweihten einen verwirrenden Eindruck, es ist aber nicht illegitim,
sondern nur schwieriger, aufreibender geworden, es verbraucht mehr Hirn,
Thatkraft, Entschlußfähigkeit, und -- es züchtet Spezialisten. Zunächst trennen
sich Einfuhr und Ausfuhr, dann trennen sich die einzelnen Warengattungen.
Es giebt keine Handelshäuser mehr, sondern nur noch Zuckerhäuser, Tabak-


Das Petroleum

ins Komtoir kommt, als Segnung des telegraphischen Antipodenverkehrs auf
seinem Pulte einen Zettel, von dem er weiß, daß er bei jedem Nachbar, der
Zuckergeschäfte macht, auch auf dem Pulte liegt, einen Zettel, auf dem gedruckt
steht, daß heute, am 15. Oktober 1895 nachmittags, in London Zucker mit
folgenden Preisen für die und die Sorten bezahlt worden ist. Einige Dutzend
Zuckermakler und Frachtmakler und Wechselmcikler laufen die Calle mercaderes
entlang von Komtoir zu Komtoir und bieten allen Verschiffern — auf deutsch
Exporteuren — dieselben Segler- und Dampferfrachten, dieselben Zuckerposten,
dieselben Wechselkurse an. Ordres sind weiße Raben, die festen Offerten auch
nach Europa find die Regel, und um sie zu machen, kann man in diesem
Gedränge nicht warten, bis man alles sicher beisammen hat, denn gleichzeitig
ist es beinahe nie zusammenzubringen.

Auch die Form des Angebots ist viel handlicher geworden: man kann
Europa nicht mehr die Besorgung von Fracht und Seeversicherung überlassen,
man kann nicht mehr einen Preis für ürst erst oder auch nur für tod Kabalen
(ti-so on oogrä, an Bord des Seeschiffs geliefert) fordern, denn man hat in
London während der paar Stunden keine Zeit, sich aus den Pesos und Cen¬
tavos der ersten Kosten in Habana, den üblichen Spesen, den Exportzöllen, den
Hafenabgaben, der Fracht, der Assekuranz, usw. erst zu berechnen, wie hoch nun
die angebotene Ware, uach London gelegt, sich stellen würde. Der Mann, der etwas
verdienen will, muß es dem Käufer bequem machen. Er bietet die übliche Gewichts--
oder Maßeinheit in Schilling und Pence „frei London" an, alle Spesen, die Fracht
und die Seeversicherung eingeschlossen. Oil l^oväon, heißt der Kunstausdruck, «ost,
in8urimes, trsiANt, I,0nüon oder eit otmnnel lor orclsrs, was noch gebräuchlicher
ist, und was bedeutet, daß das Schiff noch keinen bestimmten Hafen kennt, und
daß der englische Käufer das Recht hat, ihm beim Einlaufen in den Kanal
endgiltige Befehle signalistren zu lassen, nach welchem Nordsee- oder andern
Hafen er seine Ladung für die bedungne Fracht zu bringen hat. In diesem
Wettlauf hat man nur dann Aussicht, rechtzeitig zu kommen, wenn man nach
der einen oder andern Richtung, im Ankauf oder im Verkauf, „vorgeht," ent¬
weder mit den Frachten oder mit dem Kurs oder mit der Ware, manchmal
mit allen dreien und in allen möglichen Verbindungen. Der Kaufmann kann
nicht warten, bis der Nutzen mit Händen zu greifen ist, er muß die Wahr¬
scheinlichkeit durch Schlüsse erforschen, er muß — spekuliren. Aber er muß
auch auf Grund seiner Spekulationsergebnisse handeln, und zwar rasch. Der
Möglichkeiten sind unendlich viel, und diese Art des Geschäfts macht auf den
Nichteingeweihten einen verwirrenden Eindruck, es ist aber nicht illegitim,
sondern nur schwieriger, aufreibender geworden, es verbraucht mehr Hirn,
Thatkraft, Entschlußfähigkeit, und — es züchtet Spezialisten. Zunächst trennen
sich Einfuhr und Ausfuhr, dann trennen sich die einzelnen Warengattungen.
Es giebt keine Handelshäuser mehr, sondern nur noch Zuckerhäuser, Tabak-


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[0527] Das Petroleum ins Komtoir kommt, als Segnung des telegraphischen Antipodenverkehrs auf seinem Pulte einen Zettel, von dem er weiß, daß er bei jedem Nachbar, der Zuckergeschäfte macht, auch auf dem Pulte liegt, einen Zettel, auf dem gedruckt steht, daß heute, am 15. Oktober 1895 nachmittags, in London Zucker mit folgenden Preisen für die und die Sorten bezahlt worden ist. Einige Dutzend Zuckermakler und Frachtmakler und Wechselmcikler laufen die Calle mercaderes entlang von Komtoir zu Komtoir und bieten allen Verschiffern — auf deutsch Exporteuren — dieselben Segler- und Dampferfrachten, dieselben Zuckerposten, dieselben Wechselkurse an. Ordres sind weiße Raben, die festen Offerten auch nach Europa find die Regel, und um sie zu machen, kann man in diesem Gedränge nicht warten, bis man alles sicher beisammen hat, denn gleichzeitig ist es beinahe nie zusammenzubringen. Auch die Form des Angebots ist viel handlicher geworden: man kann Europa nicht mehr die Besorgung von Fracht und Seeversicherung überlassen, man kann nicht mehr einen Preis für ürst erst oder auch nur für tod Kabalen (ti-so on oogrä, an Bord des Seeschiffs geliefert) fordern, denn man hat in London während der paar Stunden keine Zeit, sich aus den Pesos und Cen¬ tavos der ersten Kosten in Habana, den üblichen Spesen, den Exportzöllen, den Hafenabgaben, der Fracht, der Assekuranz, usw. erst zu berechnen, wie hoch nun die angebotene Ware, uach London gelegt, sich stellen würde. Der Mann, der etwas verdienen will, muß es dem Käufer bequem machen. Er bietet die übliche Gewichts-- oder Maßeinheit in Schilling und Pence „frei London" an, alle Spesen, die Fracht und die Seeversicherung eingeschlossen. Oil l^oväon, heißt der Kunstausdruck, «ost, in8urimes, trsiANt, I,0nüon oder eit otmnnel lor orclsrs, was noch gebräuchlicher ist, und was bedeutet, daß das Schiff noch keinen bestimmten Hafen kennt, und daß der englische Käufer das Recht hat, ihm beim Einlaufen in den Kanal endgiltige Befehle signalistren zu lassen, nach welchem Nordsee- oder andern Hafen er seine Ladung für die bedungne Fracht zu bringen hat. In diesem Wettlauf hat man nur dann Aussicht, rechtzeitig zu kommen, wenn man nach der einen oder andern Richtung, im Ankauf oder im Verkauf, „vorgeht," ent¬ weder mit den Frachten oder mit dem Kurs oder mit der Ware, manchmal mit allen dreien und in allen möglichen Verbindungen. Der Kaufmann kann nicht warten, bis der Nutzen mit Händen zu greifen ist, er muß die Wahr¬ scheinlichkeit durch Schlüsse erforschen, er muß — spekuliren. Aber er muß auch auf Grund seiner Spekulationsergebnisse handeln, und zwar rasch. Der Möglichkeiten sind unendlich viel, und diese Art des Geschäfts macht auf den Nichteingeweihten einen verwirrenden Eindruck, es ist aber nicht illegitim, sondern nur schwieriger, aufreibender geworden, es verbraucht mehr Hirn, Thatkraft, Entschlußfähigkeit, und — es züchtet Spezialisten. Zunächst trennen sich Einfuhr und Ausfuhr, dann trennen sich die einzelnen Warengattungen. Es giebt keine Handelshäuser mehr, sondern nur noch Zuckerhäuser, Tabak-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/527>, abgerufen am 26.08.2024.