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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Dardanellen und Nil

le gerade Linie von England nach Indien schneidet die schicksals¬
vollen ägeisch-pontischen Meerengen zwischen Europa und Asien,
und der kürzeste Seeweg nach Indien schneidet durch jene künst¬
liche Meerenge zwischen Afrika und Asien, den wir Suezkanal
nennen. Nehmen wir eine Karte von Vorderasien,*) so sehen
wir die zwei Schlüffelpuukte dieser politischen Richtungslinien, Konstantinopel
und Kairo, zusammen mit dem Nußland Trotz bietenden Peschauer, dem festen
Thore des Weges von Indien nach Zentralasieu, d. h. nach Russisch-Asien, die
Ecke eines Dreiecks bilden, in dem das türkische Reich mit seinen wichtigsten
asiatischen Provinzen liegt. Der eine Winkel des Dreiecks ist die Hauptstadt
des türkischen Reichs, der andre ist die Hauptstadt Ägyptens, das noch immer
formell einen Teil des türkischen Reichs bildet. Kleinasien, Syrien, Armenien,
Kurdistan, Mesopotamien drängen sich in dem vordern Teil des Dreiecks zu¬
sammen; nach Lage, Reichtum und Bevölkerung sind sie das Herz des tür¬
kischen Reichs. Die europäische Türkei ist daneben nur ein Vorwerk. Durch
diesen Herzfleck soll einst der kürzeste Schienenweg zwischen Europa und Indien
führen. Was dann in dem hintern Teil dieses politischen Dreiecks nach der
indischen Ecke zu liegt, gehört zum Teil schon Rußland -- den Kaspisee
zeichnen unsre Karten wie ein neutrales Meer, er ist in Wirklichkeit russisch
bis an die Molen der persischen Häfen -- oder ist russischem Einfluß ver¬
fallen, wie Persien, oder ein Kampffeld russischer und englischer Minengänge,
wie Afghanistan.

Begreift man den Zusammenhang der armenischen Frage mit der Stellung



*) Wir empfehlen auch bei dieser Gelegenheit als neueste, schönste und in den meisten
Beziehungen beste Karten von Asien die des kürzlich erschienenen Debesschen Handatlas. Für
unsern Zweck käme Ur. 40 Westasien in Betracht.
Grenzboten IV 189S 65


Dardanellen und Nil

le gerade Linie von England nach Indien schneidet die schicksals¬
vollen ägeisch-pontischen Meerengen zwischen Europa und Asien,
und der kürzeste Seeweg nach Indien schneidet durch jene künst¬
liche Meerenge zwischen Afrika und Asien, den wir Suezkanal
nennen. Nehmen wir eine Karte von Vorderasien,*) so sehen
wir die zwei Schlüffelpuukte dieser politischen Richtungslinien, Konstantinopel
und Kairo, zusammen mit dem Nußland Trotz bietenden Peschauer, dem festen
Thore des Weges von Indien nach Zentralasieu, d. h. nach Russisch-Asien, die
Ecke eines Dreiecks bilden, in dem das türkische Reich mit seinen wichtigsten
asiatischen Provinzen liegt. Der eine Winkel des Dreiecks ist die Hauptstadt
des türkischen Reichs, der andre ist die Hauptstadt Ägyptens, das noch immer
formell einen Teil des türkischen Reichs bildet. Kleinasien, Syrien, Armenien,
Kurdistan, Mesopotamien drängen sich in dem vordern Teil des Dreiecks zu¬
sammen; nach Lage, Reichtum und Bevölkerung sind sie das Herz des tür¬
kischen Reichs. Die europäische Türkei ist daneben nur ein Vorwerk. Durch
diesen Herzfleck soll einst der kürzeste Schienenweg zwischen Europa und Indien
führen. Was dann in dem hintern Teil dieses politischen Dreiecks nach der
indischen Ecke zu liegt, gehört zum Teil schon Rußland — den Kaspisee
zeichnen unsre Karten wie ein neutrales Meer, er ist in Wirklichkeit russisch
bis an die Molen der persischen Häfen — oder ist russischem Einfluß ver¬
fallen, wie Persien, oder ein Kampffeld russischer und englischer Minengänge,
wie Afghanistan.

Begreift man den Zusammenhang der armenischen Frage mit der Stellung



*) Wir empfehlen auch bei dieser Gelegenheit als neueste, schönste und in den meisten
Beziehungen beste Karten von Asien die des kürzlich erschienenen Debesschen Handatlas. Für
unsern Zweck käme Ur. 40 Westasien in Betracht.
Grenzboten IV 189S 65
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[0515] [Abbildung] Dardanellen und Nil le gerade Linie von England nach Indien schneidet die schicksals¬ vollen ägeisch-pontischen Meerengen zwischen Europa und Asien, und der kürzeste Seeweg nach Indien schneidet durch jene künst¬ liche Meerenge zwischen Afrika und Asien, den wir Suezkanal nennen. Nehmen wir eine Karte von Vorderasien,*) so sehen wir die zwei Schlüffelpuukte dieser politischen Richtungslinien, Konstantinopel und Kairo, zusammen mit dem Nußland Trotz bietenden Peschauer, dem festen Thore des Weges von Indien nach Zentralasieu, d. h. nach Russisch-Asien, die Ecke eines Dreiecks bilden, in dem das türkische Reich mit seinen wichtigsten asiatischen Provinzen liegt. Der eine Winkel des Dreiecks ist die Hauptstadt des türkischen Reichs, der andre ist die Hauptstadt Ägyptens, das noch immer formell einen Teil des türkischen Reichs bildet. Kleinasien, Syrien, Armenien, Kurdistan, Mesopotamien drängen sich in dem vordern Teil des Dreiecks zu¬ sammen; nach Lage, Reichtum und Bevölkerung sind sie das Herz des tür¬ kischen Reichs. Die europäische Türkei ist daneben nur ein Vorwerk. Durch diesen Herzfleck soll einst der kürzeste Schienenweg zwischen Europa und Indien führen. Was dann in dem hintern Teil dieses politischen Dreiecks nach der indischen Ecke zu liegt, gehört zum Teil schon Rußland — den Kaspisee zeichnen unsre Karten wie ein neutrales Meer, er ist in Wirklichkeit russisch bis an die Molen der persischen Häfen — oder ist russischem Einfluß ver¬ fallen, wie Persien, oder ein Kampffeld russischer und englischer Minengänge, wie Afghanistan. Begreift man den Zusammenhang der armenischen Frage mit der Stellung *) Wir empfehlen auch bei dieser Gelegenheit als neueste, schönste und in den meisten Beziehungen beste Karten von Asien die des kürzlich erschienenen Debesschen Handatlas. Für unsern Zweck käme Ur. 40 Westasien in Betracht. Grenzboten IV 189S 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/515>, abgerufen am 01.07.2024.