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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Börsenkrisis

Lieferungstages von der dazu eingesetzten Börsenkommission festgesetzt, was kaum
gesetzlich sein dürfte. Dadurch ist der Kurs bei Lieferungsgeschäften vier
bis sechs Gulden pro Aktie höher gewesen als der, der wirklich bei freiem
Verkauf am 30. November erzielt worden wäre. Die Kreuzzeitung nennt dies
Verfahren mit Recht eine "Revolution an der Wiener Börse." Die Summen,
die sie den Schcinbesitzern der verpfändeten Wertpapiere geliehen haben, können
sie voll in ihren Jahresabschluß setzen, selbst wenn die Aktien schon unter die
Beleihungsgrenze gefallen wären. Soweit von den Banken.

Es bleiben noch die Regierungen. Die ungarische Regierung hat, wie gesagt,
die Banken bis jetzt mit dem Bestand der Kassenvorräte versorgt. Die fran¬
zösischen Regierungen haben seit fünfundsechzig Jahren die Banken stets in solchen
Fällen unterstützt, aber gerade von der jetzigen radikalen und etwas sozialistischen
bezweifeln wir es, wir zweifeln auch, daß es die preußische Regierung jetzt thut,
obwohl es österreichische Blätter behauptet haben, um dem Herrn v. Bninski
einen Vorwurf daraus zu machen, daß er es nicht auch that. Denn der jetzige
österreichische Finanzminister hat im Reichstage erklärt, daß er der Börse die
Staatskassen nicht öffne. Darob große Entrüstung der Börsenpresse. Die Neue
Freie Presse vom 27. Oktober zürnt: "Der Finanzminister sagte, er wäre nicht be¬
rufen, sein Geld der Börse zu geben, um direkt für die Herabsetzung des Zinsfußes
im Kostgeschäft zu wirken. Aber hochgeehrte Exzellenz! Warum denn gar so stolz?
Die Vorgänger waren viel liebenswürdiger. Wenn Herr v. Dunajewski seine
Mürzrente teuer anbringen wollte, griff er tief in die Tasche, fütterte die
Börse mit Geld und hatte keineswegs eine so geringschätzige Auffassung von
seinem Berufe, den Zinsfuß an der Börse zu drücken. Als Herr Dr. Steinbach
seine großen Konversionen durchführte, war er gescheit genug, nicht den keuschen
Joseph zu spielen, sondern bemühte sich nach Kräften, aus seinen Beständen
soviel Geld als möglich in den Verkehr zu bringen. . . . Und glaubt Herr
v. Bninski, daß der Umfang der Spekulation, über den er jammert, über¬
haupt so groß geworden wäre ohne die bedeutenden Summen, die die beiden
Regierungen früher dem Markte zur Verfügung gestellt hatten? Der Verkehr
hat mit diesem Vorräte gerechnet, sich ihm angepaßt."

Mit vollem Recht werden die frühern Regierungen jetzt vom Börsenorgan
angeklagt, die wilde Spekulationssucht genährt zu haben -- natürlich hatte
das Blatt damals nichts dagegen. Aber es fordert als einen Gebrauch, der wegen
lauger Dauer fast zum Recht wurde, daß das die Regierung immer thue!
Das heißt, die Regierung soll von den Unterthanen, die bei den niedrigen
Produktenpreisen so leiden, daß sich manche das Geld zur Steuerzahlung zu
mindestens 7 Prozent borgen müssen, mehr Steuern erheben, als der Staats-
bedars erfordert, und dann große Summen davon der Österreichisch-Ungarischen
Bank zinslos, den andern Banken zu 2 bis 2V-- Prozent leihen, wenn diese
das Geld zur Hauffe oder zur Aufrechterhaltung von Haussepositionen braucht.


Die Börsenkrisis

Lieferungstages von der dazu eingesetzten Börsenkommission festgesetzt, was kaum
gesetzlich sein dürfte. Dadurch ist der Kurs bei Lieferungsgeschäften vier
bis sechs Gulden pro Aktie höher gewesen als der, der wirklich bei freiem
Verkauf am 30. November erzielt worden wäre. Die Kreuzzeitung nennt dies
Verfahren mit Recht eine „Revolution an der Wiener Börse." Die Summen,
die sie den Schcinbesitzern der verpfändeten Wertpapiere geliehen haben, können
sie voll in ihren Jahresabschluß setzen, selbst wenn die Aktien schon unter die
Beleihungsgrenze gefallen wären. Soweit von den Banken.

Es bleiben noch die Regierungen. Die ungarische Regierung hat, wie gesagt,
die Banken bis jetzt mit dem Bestand der Kassenvorräte versorgt. Die fran¬
zösischen Regierungen haben seit fünfundsechzig Jahren die Banken stets in solchen
Fällen unterstützt, aber gerade von der jetzigen radikalen und etwas sozialistischen
bezweifeln wir es, wir zweifeln auch, daß es die preußische Regierung jetzt thut,
obwohl es österreichische Blätter behauptet haben, um dem Herrn v. Bninski
einen Vorwurf daraus zu machen, daß er es nicht auch that. Denn der jetzige
österreichische Finanzminister hat im Reichstage erklärt, daß er der Börse die
Staatskassen nicht öffne. Darob große Entrüstung der Börsenpresse. Die Neue
Freie Presse vom 27. Oktober zürnt: „Der Finanzminister sagte, er wäre nicht be¬
rufen, sein Geld der Börse zu geben, um direkt für die Herabsetzung des Zinsfußes
im Kostgeschäft zu wirken. Aber hochgeehrte Exzellenz! Warum denn gar so stolz?
Die Vorgänger waren viel liebenswürdiger. Wenn Herr v. Dunajewski seine
Mürzrente teuer anbringen wollte, griff er tief in die Tasche, fütterte die
Börse mit Geld und hatte keineswegs eine so geringschätzige Auffassung von
seinem Berufe, den Zinsfuß an der Börse zu drücken. Als Herr Dr. Steinbach
seine großen Konversionen durchführte, war er gescheit genug, nicht den keuschen
Joseph zu spielen, sondern bemühte sich nach Kräften, aus seinen Beständen
soviel Geld als möglich in den Verkehr zu bringen. . . . Und glaubt Herr
v. Bninski, daß der Umfang der Spekulation, über den er jammert, über¬
haupt so groß geworden wäre ohne die bedeutenden Summen, die die beiden
Regierungen früher dem Markte zur Verfügung gestellt hatten? Der Verkehr
hat mit diesem Vorräte gerechnet, sich ihm angepaßt."

Mit vollem Recht werden die frühern Regierungen jetzt vom Börsenorgan
angeklagt, die wilde Spekulationssucht genährt zu haben — natürlich hatte
das Blatt damals nichts dagegen. Aber es fordert als einen Gebrauch, der wegen
lauger Dauer fast zum Recht wurde, daß das die Regierung immer thue!
Das heißt, die Regierung soll von den Unterthanen, die bei den niedrigen
Produktenpreisen so leiden, daß sich manche das Geld zur Steuerzahlung zu
mindestens 7 Prozent borgen müssen, mehr Steuern erheben, als der Staats-
bedars erfordert, und dann große Summen davon der Österreichisch-Ungarischen
Bank zinslos, den andern Banken zu 2 bis 2V-- Prozent leihen, wenn diese
das Geld zur Hauffe oder zur Aufrechterhaltung von Haussepositionen braucht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/482>, abgerufen am 24.07.2024.