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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Börsenkrisis

Mit diesem war er etwa 1867 oder 1868 durch Nodbertus in Verbindung
gebracht wurden in einer Weise, die allen dreien nur Ehre machen konnte.

Endlich griff denn auch der deutsche Neichsbankdirektor, Herr v. Dechend,
ein. Schon im September 1872 erhöhte er den Bankdiskont. Trotzdem schöpften
die Wiener Gründer in Berlin und entnahmen der deutschen Neichsbauk bis
fünfzig Millionen Thaler auf "Rittwechsel." Nun wies die Bank im Dezember
alle Wechsel zurück, denen "kein legitimes Geschäft zu Grunde lag," auch vou
ersten Häusern. Hierüber interpellirte Herr o. Benda die Regierung im Abgeord-
netenhause, und es wurde ein solcher Druck aus Herrn v. Dechend ausgeübt, daß
er die Breslauer Filiale anwies, wieder Gründcrwechsel anzunehmen! Der
damalige Bankpräsident hat also die Spekulation "bemuttert," soweit er durfte,
und das ist ihm später hoch angerechnet worden.

Die preußische Regierung war kurzsichtiger. Der Finanzminister Camp¬
hausen lieh der Diskontogesellschaft drei Millionen Thaler zu 2^ Prozent,
und die königlich preußische Seehandlung diskontirte große Summen; endlich
kaufte seit dem 1. Februar 1873 die Regierung großen Banken sür den Jn-
validenfonds fast für hundert Millionen Thaler Eisenbahupapiere ab. Die
unseelige Hauffe dauerte dank der Staatsunterstützung also fort, aber am
9. Mai 1873 kam der "große Krach." Dies war das erste mal, daß in
Deutschland die Börse aus Staatsmitteln in großem Maße unterstützt wurde.

' Die deutsche Neichsbauk hat vor dem jetzigen Krach leider nicht gewarnt,
aber die englische ist, wenn auch spät, eingeschritten. Sie that im Oktober
1895 dasselbe, was Herr v. Dechend im Dezember 1872 gethan hat. Sie wies
etwa zweihundert Millionen Franks französische "Finanzwechsel" allererster
Häuser einfach vom Eskompte zurück. Sie hat den Krach in Paris verschärft,
aber in London gemildert, daher werden anch von dort fast gar keine Zahlungs¬
einstellungen gemeldet. Warum haben die Neichsbank und die Österreichisch-
Ungarische Bank nicht im Sommer 1895 gethan, was Decheud 1872 that?

Die Kreuzzeitung verteidigt endlich noch die großen Banken gegen den
Bvrwnrf, daß sie am 9. November nicht "intervenirt," nicht laufend ein¬
gegriffen hätten. Sie hätten sich nicht so schnell verständigen können und
würden es wohl am Sonntag (10. November) gethan haben, meint das Blatt.
Beides ist falsch. Sie wußten recht gut, daß die Krisis nicht fern war, als sie
ihr Grundkapital verstärkten und sich bei Prolongationen riesige Wucherzinsen
zahlen ließen. Sie konnten sich also rechtzeitig verabreden, wie sie den Krach
mildern könnten, wenn er hereinbräche. Aber konnte das ihre Absicht sein?
Herr Scharf, ein Wiener Journalist und, die Kreuzzeitung wolle mir verzeihen:
ein Jude, aber ein Mann, der die Börse kennt, sagte am 11. November: "Jede
solche Börsenkrisis, wie die jüngst erlebte, ist für die Banken die Zeit des
großen Schnitts." Wer hat Recht?

Sie haben auch nachher nicht sonderlich eingegriffen. Zwar halfen sie


Die Börsenkrisis

Mit diesem war er etwa 1867 oder 1868 durch Nodbertus in Verbindung
gebracht wurden in einer Weise, die allen dreien nur Ehre machen konnte.

Endlich griff denn auch der deutsche Neichsbankdirektor, Herr v. Dechend,
ein. Schon im September 1872 erhöhte er den Bankdiskont. Trotzdem schöpften
die Wiener Gründer in Berlin und entnahmen der deutschen Neichsbauk bis
fünfzig Millionen Thaler auf „Rittwechsel." Nun wies die Bank im Dezember
alle Wechsel zurück, denen „kein legitimes Geschäft zu Grunde lag," auch vou
ersten Häusern. Hierüber interpellirte Herr o. Benda die Regierung im Abgeord-
netenhause, und es wurde ein solcher Druck aus Herrn v. Dechend ausgeübt, daß
er die Breslauer Filiale anwies, wieder Gründcrwechsel anzunehmen! Der
damalige Bankpräsident hat also die Spekulation „bemuttert," soweit er durfte,
und das ist ihm später hoch angerechnet worden.

Die preußische Regierung war kurzsichtiger. Der Finanzminister Camp¬
hausen lieh der Diskontogesellschaft drei Millionen Thaler zu 2^ Prozent,
und die königlich preußische Seehandlung diskontirte große Summen; endlich
kaufte seit dem 1. Februar 1873 die Regierung großen Banken sür den Jn-
validenfonds fast für hundert Millionen Thaler Eisenbahupapiere ab. Die
unseelige Hauffe dauerte dank der Staatsunterstützung also fort, aber am
9. Mai 1873 kam der „große Krach." Dies war das erste mal, daß in
Deutschland die Börse aus Staatsmitteln in großem Maße unterstützt wurde.

' Die deutsche Neichsbauk hat vor dem jetzigen Krach leider nicht gewarnt,
aber die englische ist, wenn auch spät, eingeschritten. Sie that im Oktober
1895 dasselbe, was Herr v. Dechend im Dezember 1872 gethan hat. Sie wies
etwa zweihundert Millionen Franks französische „Finanzwechsel" allererster
Häuser einfach vom Eskompte zurück. Sie hat den Krach in Paris verschärft,
aber in London gemildert, daher werden anch von dort fast gar keine Zahlungs¬
einstellungen gemeldet. Warum haben die Neichsbank und die Österreichisch-
Ungarische Bank nicht im Sommer 1895 gethan, was Decheud 1872 that?

Die Kreuzzeitung verteidigt endlich noch die großen Banken gegen den
Bvrwnrf, daß sie am 9. November nicht „intervenirt," nicht laufend ein¬
gegriffen hätten. Sie hätten sich nicht so schnell verständigen können und
würden es wohl am Sonntag (10. November) gethan haben, meint das Blatt.
Beides ist falsch. Sie wußten recht gut, daß die Krisis nicht fern war, als sie
ihr Grundkapital verstärkten und sich bei Prolongationen riesige Wucherzinsen
zahlen ließen. Sie konnten sich also rechtzeitig verabreden, wie sie den Krach
mildern könnten, wenn er hereinbräche. Aber konnte das ihre Absicht sein?
Herr Scharf, ein Wiener Journalist und, die Kreuzzeitung wolle mir verzeihen:
ein Jude, aber ein Mann, der die Börse kennt, sagte am 11. November: „Jede
solche Börsenkrisis, wie die jüngst erlebte, ist für die Banken die Zeit des
großen Schnitts." Wer hat Recht?

Sie haben auch nachher nicht sonderlich eingegriffen. Zwar halfen sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/480>, abgerufen am 04.07.2024.