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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lörsenkrisis

Oktober; Ende Oktober erreichten sie schon die Höhe von 12 bis 14 Prozent
für die sehr "feinen" Ungarischen Kreditaktien -- einen Zinsfuß wie zu Kriegs-
zeiten. Da die Reportsätze einzig von den großen Banken abhängen, so konnte
man sehen, daß diese eine Krisis entweder kommen sahen oder herbeiführen
wollten. Wie genau sie es wußten, daß die Krisis kommen würde, geht auch
daraus hervor, daß einige der größten Banken des Kontinents sich verschmolzen,
andre ihr Grundkapital durch Ausgabe neuer Aktien bedeutend erhöhten, um
bei Ausbruch des Krachs "liquid" zu sein.

Zu diesen allgemeinen, aus der Konversion und aus Valutagoldanleihen
Österreich-Ungarns herrührenden Ursachen der Krisis giebt es noch eine weitere,
speziell ungarische. In Ungarn hat man in den letzten drei Jahren viel neue
und sehr große Fabriken gebaut und durch langjährige Steuerprivilegieu ge¬
fördert, die nun in diesem volkswirtschaftlich "neuen" Lande meist nichts ab¬
werfen. Hierbei ist auch viel deutsches Kapital gefährdet, namentlich in Zucker¬
fabriken, die große deutsche Bankhäuser dort gegründet haben. Dazu kommt
in Pest, Prag und andern Städten ein großartiger Bauschwindel. Krachstoff
ist also genug vorhanden, anch ohne Goldaktien. Warnungen lagen auch vor.

Für Österreich-Ungarn trifft die jetzt hie und da aufgestellte Behauptung
nicht zu, die niedrigen Preise der Produkte hätten die Produktion eingeschränkt,
neue Unternehmungen seien nicht begründet worden, und dadurch sei viel Ka¬
pital für die Spekulation an der Börse "frei" geworden, ihr von Privat¬
leuten aufgedrungen worden. Man hat es vielmehr dnrch vorgespiegelten
schnellen Kursgewinn an die Börse gelockt.

Die Börsenpresse Deutschlands hat nun der deutscheu Reichsbank vor¬
geworfen, daß sie den Diskont nicht früher, etwa Ende des Sommers, erhöht
habe, um das Publikum zu warnen. Darüber ist die Kreuzzeitung vom
12. November empört. Sie sagt: "Diese verdrehte Logik kann man Wohl auf
Rechnung der Nervenerschütterung vom Sonnabend setzen. Seit wann hat
die Reichsbank die Aufgabe, die Spekulation zu bemuttern?" Antwort: Seit
sie besteht! Die Liberalen und die Konservativen haben früher der Notenbank
eine regulirende Ziusfußpolitik zugestanden; der Unterschied bestand nur darin,
daß die Liberalen eine Privataktien-, die Konservativen eine Staatsbank ver¬
langten. Ich habe im vorigen Artikel Marxens Prophezeiung des Krachs
vom Januar 1873 mitgeteilt. Damals lasen die Staatsanwälte noch nicht
und die Staatsmänner noch die wichtigern neuen sozialdemokratischen Druck¬
sachen, und von Wagener weiß ich, von Lothar Bucher nehme ich als sicher
an, daß sie beide früh genug die Ansicht von Marx kannten, und bei der
engen Verbindung, in der Bucher zu Bismarck und zum Hause Hansemann
stand, ist diese Prophezeiung zweifellos zur Kenntnis der maßgebendsten Finanz¬
kreise Berlins gekommen. Ich will hiermit Bucher nicht etwa verdächtigen.
Wenn er Hansemnnu gewarnt haben sollte, war es eine verständige Handlung.


Die Lörsenkrisis

Oktober; Ende Oktober erreichten sie schon die Höhe von 12 bis 14 Prozent
für die sehr „feinen" Ungarischen Kreditaktien — einen Zinsfuß wie zu Kriegs-
zeiten. Da die Reportsätze einzig von den großen Banken abhängen, so konnte
man sehen, daß diese eine Krisis entweder kommen sahen oder herbeiführen
wollten. Wie genau sie es wußten, daß die Krisis kommen würde, geht auch
daraus hervor, daß einige der größten Banken des Kontinents sich verschmolzen,
andre ihr Grundkapital durch Ausgabe neuer Aktien bedeutend erhöhten, um
bei Ausbruch des Krachs „liquid" zu sein.

Zu diesen allgemeinen, aus der Konversion und aus Valutagoldanleihen
Österreich-Ungarns herrührenden Ursachen der Krisis giebt es noch eine weitere,
speziell ungarische. In Ungarn hat man in den letzten drei Jahren viel neue
und sehr große Fabriken gebaut und durch langjährige Steuerprivilegieu ge¬
fördert, die nun in diesem volkswirtschaftlich „neuen" Lande meist nichts ab¬
werfen. Hierbei ist auch viel deutsches Kapital gefährdet, namentlich in Zucker¬
fabriken, die große deutsche Bankhäuser dort gegründet haben. Dazu kommt
in Pest, Prag und andern Städten ein großartiger Bauschwindel. Krachstoff
ist also genug vorhanden, anch ohne Goldaktien. Warnungen lagen auch vor.

Für Österreich-Ungarn trifft die jetzt hie und da aufgestellte Behauptung
nicht zu, die niedrigen Preise der Produkte hätten die Produktion eingeschränkt,
neue Unternehmungen seien nicht begründet worden, und dadurch sei viel Ka¬
pital für die Spekulation an der Börse „frei" geworden, ihr von Privat¬
leuten aufgedrungen worden. Man hat es vielmehr dnrch vorgespiegelten
schnellen Kursgewinn an die Börse gelockt.

Die Börsenpresse Deutschlands hat nun der deutscheu Reichsbank vor¬
geworfen, daß sie den Diskont nicht früher, etwa Ende des Sommers, erhöht
habe, um das Publikum zu warnen. Darüber ist die Kreuzzeitung vom
12. November empört. Sie sagt: „Diese verdrehte Logik kann man Wohl auf
Rechnung der Nervenerschütterung vom Sonnabend setzen. Seit wann hat
die Reichsbank die Aufgabe, die Spekulation zu bemuttern?" Antwort: Seit
sie besteht! Die Liberalen und die Konservativen haben früher der Notenbank
eine regulirende Ziusfußpolitik zugestanden; der Unterschied bestand nur darin,
daß die Liberalen eine Privataktien-, die Konservativen eine Staatsbank ver¬
langten. Ich habe im vorigen Artikel Marxens Prophezeiung des Krachs
vom Januar 1873 mitgeteilt. Damals lasen die Staatsanwälte noch nicht
und die Staatsmänner noch die wichtigern neuen sozialdemokratischen Druck¬
sachen, und von Wagener weiß ich, von Lothar Bucher nehme ich als sicher
an, daß sie beide früh genug die Ansicht von Marx kannten, und bei der
engen Verbindung, in der Bucher zu Bismarck und zum Hause Hansemann
stand, ist diese Prophezeiung zweifellos zur Kenntnis der maßgebendsten Finanz¬
kreise Berlins gekommen. Ich will hiermit Bucher nicht etwa verdächtigen.
Wenn er Hansemnnu gewarnt haben sollte, war es eine verständige Handlung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/479>, abgerufen am 02.07.2024.