Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Börseuktisis

liebe Hausseschwindel ist gegen den Willen der großen Banken aufgeschossen,
vornehmlich auf dem abseits der Börse ohne Zuthun der Banken so üppig
gediehenen Gvldminenaktien in London, Paris und Wien. In diesem Falle
sind aber die Schuldigen die kleinern Börsenmenscheu, die teils für eigne Rech¬
nung, meist aber für Rechnung der schlau herbeigelockte" Kundschaft das Hausse¬
treiben fortsetzten." "

An der Wiener Börse habe" sich äußerst wenig Personen an dem Minen-
schwindel beteiligt, die Masse des an der Börse spielenden Publikums so gut
wie gar nicht, und in Berlin ist es fast ebenso gewesen. Und die "kleinen
Börsenmenschen," Wechsel- und Winkelstnben- und -Komtoirbesitzcr sind einfach
Agenten der großen Banken gewesen. Sie konnten ohne deren tägliche Unter¬
stützung gar nicht aufkommen und sind zahlreich zu Grunde gegangen, als
ihnen diese am 9. November plötzlich den weitern Kredit versagten. Sie sind
alle die Geschöpfe und nun teilweise die Opfer der großen Banken, und diese
allein tragen die Schuld um der wilden Spekulation. Eine "epidemische Krank¬
heit, eine moralische Verirrung von ansteckender Kraft, das Spielfieber," nennt
die Kreuzzeitung das, was vorging, sie wälzt damit von den Ansteckern, den
Verführer", die Schuld auf die Angesteckten und Verlockten ub. Das ist an
sich schon ein höchst ernstes Zeichen der Zeit, das Hauptblatt der Kon¬
servativen als Advokat der Großfincmz! Das war doch früher nicht so.
So weit ist man auch in Österreich noch nicht gekommen. Der Leitartikler
der Kreuzzeitung weiß anch augenscheinlich nicht, daß dieser Stab von Zu-
treibern und Winkelagenten den großen Bankiers noch nicht genügte. Einige
stiege" selbst zum "kleinen Mann" herab, um ihn zu erleichtern. Sie richtete"
"Parteienbüreaus," förmliche Börsenkvmtoirs mit Bvrsenspieltundschaft ein.
Diese genossen natürlich mehr Vertraue" als der Rat vou kleinen Wechsel-
stnbenbesitzern, verführten also erfolgreicher. Wenn sie sich begnügt hätten,
den Komtvirbesitzern und dem Publikum die Papiere, die sie mit Gewinn los¬
werden wollten, gegen Vollzahlung zu verkaufe", so konnte sie niema"d vor
gewisse" Verlusten rette", wen" die Papiere nachher fielen, aber sie konnten
nie ihr ganzes Vermögen dabei verlieren. Wer eine Buschtierader Aktie im
September für 1680 Gulden kaufte, würde heute 100 Gulden verloren haben;
das wäre schmerzlich, aber nicht ruinös, er behielte doch "och 1580 Gulden.
Nein, sie verkauften die Fonds gegen eine sehr geringe Anzcchlnng, sie sollen
sich mit 15 bis 20 Prozent Anzahlung begnügt haben. Die drei großen Papiere,
deren Schicksal bezeichnend für alle ander" ist, Ungarischer und Österreichischer
Kredit und Staatsbahu, siud seit Beginn der Hauffe, von Frühjahr 1892 bis
zum Sommer 1895, um 50 Prozent ihres damaligen Kurswerts gestiegen,
auf das zweiuudeinhnlbfache ihrer ursprüngliche" Einzahlung, und sind von da
bis zum 9. November, zum "schwarzen Sanistag," nur nur etwa 25 Prozent
ihres Kurses vou 1892 gefallen, d. h. nur der halbe Kursgewinn hersetzten


Die Börseuktisis

liebe Hausseschwindel ist gegen den Willen der großen Banken aufgeschossen,
vornehmlich auf dem abseits der Börse ohne Zuthun der Banken so üppig
gediehenen Gvldminenaktien in London, Paris und Wien. In diesem Falle
sind aber die Schuldigen die kleinern Börsenmenscheu, die teils für eigne Rech¬
nung, meist aber für Rechnung der schlau herbeigelockte» Kundschaft das Hausse¬
treiben fortsetzten." "

An der Wiener Börse habe» sich äußerst wenig Personen an dem Minen-
schwindel beteiligt, die Masse des an der Börse spielenden Publikums so gut
wie gar nicht, und in Berlin ist es fast ebenso gewesen. Und die „kleinen
Börsenmenschen," Wechsel- und Winkelstnben- und -Komtoirbesitzcr sind einfach
Agenten der großen Banken gewesen. Sie konnten ohne deren tägliche Unter¬
stützung gar nicht aufkommen und sind zahlreich zu Grunde gegangen, als
ihnen diese am 9. November plötzlich den weitern Kredit versagten. Sie sind
alle die Geschöpfe und nun teilweise die Opfer der großen Banken, und diese
allein tragen die Schuld um der wilden Spekulation. Eine „epidemische Krank¬
heit, eine moralische Verirrung von ansteckender Kraft, das Spielfieber," nennt
die Kreuzzeitung das, was vorging, sie wälzt damit von den Ansteckern, den
Verführer», die Schuld auf die Angesteckten und Verlockten ub. Das ist an
sich schon ein höchst ernstes Zeichen der Zeit, das Hauptblatt der Kon¬
servativen als Advokat der Großfincmz! Das war doch früher nicht so.
So weit ist man auch in Österreich noch nicht gekommen. Der Leitartikler
der Kreuzzeitung weiß anch augenscheinlich nicht, daß dieser Stab von Zu-
treibern und Winkelagenten den großen Bankiers noch nicht genügte. Einige
stiege» selbst zum „kleinen Mann" herab, um ihn zu erleichtern. Sie richtete»
„Parteienbüreaus," förmliche Börsenkvmtoirs mit Bvrsenspieltundschaft ein.
Diese genossen natürlich mehr Vertraue» als der Rat vou kleinen Wechsel-
stnbenbesitzern, verführten also erfolgreicher. Wenn sie sich begnügt hätten,
den Komtvirbesitzern und dem Publikum die Papiere, die sie mit Gewinn los¬
werden wollten, gegen Vollzahlung zu verkaufe«, so konnte sie niema»d vor
gewisse» Verlusten rette», wen» die Papiere nachher fielen, aber sie konnten
nie ihr ganzes Vermögen dabei verlieren. Wer eine Buschtierader Aktie im
September für 1680 Gulden kaufte, würde heute 100 Gulden verloren haben;
das wäre schmerzlich, aber nicht ruinös, er behielte doch »och 1580 Gulden.
Nein, sie verkauften die Fonds gegen eine sehr geringe Anzcchlnng, sie sollen
sich mit 15 bis 20 Prozent Anzahlung begnügt haben. Die drei großen Papiere,
deren Schicksal bezeichnend für alle ander» ist, Ungarischer und Österreichischer
Kredit und Staatsbahu, siud seit Beginn der Hauffe, von Frühjahr 1892 bis
zum Sommer 1895, um 50 Prozent ihres damaligen Kurswerts gestiegen,
auf das zweiuudeinhnlbfache ihrer ursprüngliche» Einzahlung, und sind von da
bis zum 9. November, zum „schwarzen Sanistag," nur nur etwa 25 Prozent
ihres Kurses vou 1892 gefallen, d. h. nur der halbe Kursgewinn hersetzten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221451"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Börseuktisis</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1591" prev="#ID_1590"> liebe Hausseschwindel ist gegen den Willen der großen Banken aufgeschossen,<lb/>
vornehmlich auf dem abseits der Börse ohne Zuthun der Banken so üppig<lb/>
gediehenen Gvldminenaktien in London, Paris und Wien. In diesem Falle<lb/>
sind aber die Schuldigen die kleinern Börsenmenscheu, die teils für eigne Rech¬<lb/>
nung, meist aber für Rechnung der schlau herbeigelockte» Kundschaft das Hausse¬<lb/>
treiben fortsetzten." "</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" next="#ID_1593"> An der Wiener Börse habe» sich äußerst wenig Personen an dem Minen-<lb/>
schwindel beteiligt, die Masse des an der Börse spielenden Publikums so gut<lb/>
wie gar nicht, und in Berlin ist es fast ebenso gewesen. Und die &#x201E;kleinen<lb/>
Börsenmenschen," Wechsel- und Winkelstnben- und -Komtoirbesitzcr sind einfach<lb/>
Agenten der großen Banken gewesen. Sie konnten ohne deren tägliche Unter¬<lb/>
stützung gar nicht aufkommen und sind zahlreich zu Grunde gegangen, als<lb/>
ihnen diese am 9. November plötzlich den weitern Kredit versagten. Sie sind<lb/>
alle die Geschöpfe und nun teilweise die Opfer der großen Banken, und diese<lb/>
allein tragen die Schuld um der wilden Spekulation. Eine &#x201E;epidemische Krank¬<lb/>
heit, eine moralische Verirrung von ansteckender Kraft, das Spielfieber," nennt<lb/>
die Kreuzzeitung das, was vorging, sie wälzt damit von den Ansteckern, den<lb/>
Verführer», die Schuld auf die Angesteckten und Verlockten ub. Das ist an<lb/>
sich schon ein höchst ernstes Zeichen der Zeit, das Hauptblatt der Kon¬<lb/>
servativen als Advokat der Großfincmz! Das war doch früher nicht so.<lb/>
So weit ist man auch in Österreich noch nicht gekommen. Der Leitartikler<lb/>
der Kreuzzeitung weiß anch augenscheinlich nicht, daß dieser Stab von Zu-<lb/>
treibern und Winkelagenten den großen Bankiers noch nicht genügte. Einige<lb/>
stiege» selbst zum &#x201E;kleinen Mann" herab, um ihn zu erleichtern. Sie richtete»<lb/>
&#x201E;Parteienbüreaus," förmliche Börsenkvmtoirs mit Bvrsenspieltundschaft ein.<lb/>
Diese genossen natürlich mehr Vertraue» als der Rat vou kleinen Wechsel-<lb/>
stnbenbesitzern, verführten also erfolgreicher. Wenn sie sich begnügt hätten,<lb/>
den Komtvirbesitzern und dem Publikum die Papiere, die sie mit Gewinn los¬<lb/>
werden wollten, gegen Vollzahlung zu verkaufe«, so konnte sie niema»d vor<lb/>
gewisse» Verlusten rette», wen» die Papiere nachher fielen, aber sie konnten<lb/>
nie ihr ganzes Vermögen dabei verlieren. Wer eine Buschtierader Aktie im<lb/>
September für 1680 Gulden kaufte, würde heute 100 Gulden verloren haben;<lb/>
das wäre schmerzlich, aber nicht ruinös, er behielte doch »och 1580 Gulden.<lb/>
Nein, sie verkauften die Fonds gegen eine sehr geringe Anzcchlnng, sie sollen<lb/>
sich mit 15 bis 20 Prozent Anzahlung begnügt haben. Die drei großen Papiere,<lb/>
deren Schicksal bezeichnend für alle ander» ist, Ungarischer und Österreichischer<lb/>
Kredit und Staatsbahu, siud seit Beginn der Hauffe, von Frühjahr 1892 bis<lb/>
zum Sommer 1895, um 50 Prozent ihres damaligen Kurswerts gestiegen,<lb/>
auf das zweiuudeinhnlbfache ihrer ursprüngliche» Einzahlung, und sind von da<lb/>
bis zum 9. November, zum &#x201E;schwarzen Sanistag," nur nur etwa 25 Prozent<lb/>
ihres Kurses vou 1892 gefallen, d. h. nur der halbe Kursgewinn hersetzten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] Die Börseuktisis liebe Hausseschwindel ist gegen den Willen der großen Banken aufgeschossen, vornehmlich auf dem abseits der Börse ohne Zuthun der Banken so üppig gediehenen Gvldminenaktien in London, Paris und Wien. In diesem Falle sind aber die Schuldigen die kleinern Börsenmenscheu, die teils für eigne Rech¬ nung, meist aber für Rechnung der schlau herbeigelockte» Kundschaft das Hausse¬ treiben fortsetzten." " An der Wiener Börse habe» sich äußerst wenig Personen an dem Minen- schwindel beteiligt, die Masse des an der Börse spielenden Publikums so gut wie gar nicht, und in Berlin ist es fast ebenso gewesen. Und die „kleinen Börsenmenschen," Wechsel- und Winkelstnben- und -Komtoirbesitzcr sind einfach Agenten der großen Banken gewesen. Sie konnten ohne deren tägliche Unter¬ stützung gar nicht aufkommen und sind zahlreich zu Grunde gegangen, als ihnen diese am 9. November plötzlich den weitern Kredit versagten. Sie sind alle die Geschöpfe und nun teilweise die Opfer der großen Banken, und diese allein tragen die Schuld um der wilden Spekulation. Eine „epidemische Krank¬ heit, eine moralische Verirrung von ansteckender Kraft, das Spielfieber," nennt die Kreuzzeitung das, was vorging, sie wälzt damit von den Ansteckern, den Verführer», die Schuld auf die Angesteckten und Verlockten ub. Das ist an sich schon ein höchst ernstes Zeichen der Zeit, das Hauptblatt der Kon¬ servativen als Advokat der Großfincmz! Das war doch früher nicht so. So weit ist man auch in Österreich noch nicht gekommen. Der Leitartikler der Kreuzzeitung weiß anch augenscheinlich nicht, daß dieser Stab von Zu- treibern und Winkelagenten den großen Bankiers noch nicht genügte. Einige stiege» selbst zum „kleinen Mann" herab, um ihn zu erleichtern. Sie richtete» „Parteienbüreaus," förmliche Börsenkvmtoirs mit Bvrsenspieltundschaft ein. Diese genossen natürlich mehr Vertraue» als der Rat vou kleinen Wechsel- stnbenbesitzern, verführten also erfolgreicher. Wenn sie sich begnügt hätten, den Komtvirbesitzern und dem Publikum die Papiere, die sie mit Gewinn los¬ werden wollten, gegen Vollzahlung zu verkaufe«, so konnte sie niema»d vor gewisse» Verlusten rette», wen» die Papiere nachher fielen, aber sie konnten nie ihr ganzes Vermögen dabei verlieren. Wer eine Buschtierader Aktie im September für 1680 Gulden kaufte, würde heute 100 Gulden verloren haben; das wäre schmerzlich, aber nicht ruinös, er behielte doch »och 1580 Gulden. Nein, sie verkauften die Fonds gegen eine sehr geringe Anzcchlnng, sie sollen sich mit 15 bis 20 Prozent Anzahlung begnügt haben. Die drei großen Papiere, deren Schicksal bezeichnend für alle ander» ist, Ungarischer und Österreichischer Kredit und Staatsbahu, siud seit Beginn der Hauffe, von Frühjahr 1892 bis zum Sommer 1895, um 50 Prozent ihres damaligen Kurswerts gestiegen, auf das zweiuudeinhnlbfache ihrer ursprüngliche» Einzahlung, und sind von da bis zum 9. November, zum „schwarzen Sanistag," nur nur etwa 25 Prozent ihres Kurses vou 1892 gefallen, d. h. nur der halbe Kursgewinn hersetzten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/477>, abgerufen am 27.06.2024.