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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Börsenkrisis

bin, um die alte früher Brest und Gelpkesche Bank. Da die Baisse weiter
verkaufte, so siel im Frühjahr die Kronenrente ein wenig unter den Kurs, zu
dem sie zuerst an die Börse gebracht worden war, unter 97 Prozent.

Bank-, Transport- und Jndustrieaktien waren noch höher getrieben worden
als die Staatspapiere, so das leitende Spekulationspapier der österreichischen
Börsen, die Kreditaktie, von 292 Gulden (mit 160 Gulden eingezahlt) auf
359 Gulden im Frühjahr 1893. Der Rückgang geschah im folgenden Sommer
auf der ganzen Linie, "Kredit" fiel auf 330, und der Report, der Zins für
Prolongation verpfändeter Wertpapiere, stieg Ende August 1893 auf 8 Prozent.

Da kam der Wiener Hauffe der Krach einer ganzen Anzahl "exotischer"
Anlagen zu Hilfe. Es sielen gewaltig Argentinier, Mexikaner, Australier,
Portugiesen, Griechen, Serben, Spanier, nordamerikanische Eisenbahnfonds
und Ende des Jahres 1893 auch noch die Italiener, deren Zinsen um 6^ Pro¬
zent reduzirt wurden. Zwar wirkte der Schreck anfangs auch erniedrigend auf
deu Kurs österreichischer Staatspapiere und Aktien, aber bald suchten sich die
erschreckten Rentiers in Frankreich, Deutschland und Österreich der "exotischen"
Papiere zu entledigen und waren nun mit europäischen Staatspapieren mit
niedriger Verzinsung zufrieden.

Diese Gunst der Umstünde benutzte die Wiener Haussepartei sehr geschickt.
Sie gewann den Pariser Markt für österreichisch-ungarische Renten in großem
Umfange und eroberte siegreich Berlin, wo, wie gesagt, eine organistrte Kontre-
mine oder Vaissepartei bestand. Diese hatte die gesunde Vernunft für sich:
der Kurs, auf den die österreichisch-ungarischen Fonds aller Art getrieben wurden,
war ersichtlich zu hoch, namentlich sür Dividendenpapiere, die stets niedriger
gehandelt worden sind als Fonds mit fester Verzinsung. Aber die Berliner
Kontremine hatte erstens die Umstände gegen sich, die bewirkten, daß sich das
Kapital aus überseeischen oder Halbinselanlagen (Griechen, Portugiesen usw.)
in österreichische und deutsche Anlagen flüchtete, und zweitens die vereinte Macht
der europäischen Häute Finanee in Wien, Paris, London und sogar in Berlin
selbst, wo die Diskontogesellschast und das Bankhaus Bleichröder zur Rvth-
schildgruppe gehören. Sie wurde in wiederholten Mvnatsregulirungen geschlagen
und erlitt ungeheure Verluste, bis zur vollen finanziellen Erschöpfung ihrer
Leiter. Da mußte sie sich ergeben, und seitdem giebt es keine Vaissepartei ans
dem Kontinent, trotz der Behauptung des jetzigen Finanzministers v. Bninski
im Wiener Reichstage. Das war aber ein großes Unglück, denn nun konnte
die Hauffe die Kurse widerstandslos und unvernünftig in die Höhe treiben.

Und sie that es. Sie wollte aber nicht bloß hohe Kurse haben, um an
ihnen zu verdienen, sondern auch die Unmasse von Fonds aller Art, die sie
in der Kampfzeit um die Wende von 1892193 hatte aufkaufen müssen, an das
kleine Publikum absetzen oder es doch mit dem Risiko dafür belasten. Ganz
irrig ist die Behauptung der Kreuzzeitung vom 12. November: "Der eigene-


Die Börsenkrisis

bin, um die alte früher Brest und Gelpkesche Bank. Da die Baisse weiter
verkaufte, so siel im Frühjahr die Kronenrente ein wenig unter den Kurs, zu
dem sie zuerst an die Börse gebracht worden war, unter 97 Prozent.

Bank-, Transport- und Jndustrieaktien waren noch höher getrieben worden
als die Staatspapiere, so das leitende Spekulationspapier der österreichischen
Börsen, die Kreditaktie, von 292 Gulden (mit 160 Gulden eingezahlt) auf
359 Gulden im Frühjahr 1893. Der Rückgang geschah im folgenden Sommer
auf der ganzen Linie, „Kredit" fiel auf 330, und der Report, der Zins für
Prolongation verpfändeter Wertpapiere, stieg Ende August 1893 auf 8 Prozent.

Da kam der Wiener Hauffe der Krach einer ganzen Anzahl „exotischer"
Anlagen zu Hilfe. Es sielen gewaltig Argentinier, Mexikaner, Australier,
Portugiesen, Griechen, Serben, Spanier, nordamerikanische Eisenbahnfonds
und Ende des Jahres 1893 auch noch die Italiener, deren Zinsen um 6^ Pro¬
zent reduzirt wurden. Zwar wirkte der Schreck anfangs auch erniedrigend auf
deu Kurs österreichischer Staatspapiere und Aktien, aber bald suchten sich die
erschreckten Rentiers in Frankreich, Deutschland und Österreich der „exotischen"
Papiere zu entledigen und waren nun mit europäischen Staatspapieren mit
niedriger Verzinsung zufrieden.

Diese Gunst der Umstünde benutzte die Wiener Haussepartei sehr geschickt.
Sie gewann den Pariser Markt für österreichisch-ungarische Renten in großem
Umfange und eroberte siegreich Berlin, wo, wie gesagt, eine organistrte Kontre-
mine oder Vaissepartei bestand. Diese hatte die gesunde Vernunft für sich:
der Kurs, auf den die österreichisch-ungarischen Fonds aller Art getrieben wurden,
war ersichtlich zu hoch, namentlich sür Dividendenpapiere, die stets niedriger
gehandelt worden sind als Fonds mit fester Verzinsung. Aber die Berliner
Kontremine hatte erstens die Umstände gegen sich, die bewirkten, daß sich das
Kapital aus überseeischen oder Halbinselanlagen (Griechen, Portugiesen usw.)
in österreichische und deutsche Anlagen flüchtete, und zweitens die vereinte Macht
der europäischen Häute Finanee in Wien, Paris, London und sogar in Berlin
selbst, wo die Diskontogesellschast und das Bankhaus Bleichröder zur Rvth-
schildgruppe gehören. Sie wurde in wiederholten Mvnatsregulirungen geschlagen
und erlitt ungeheure Verluste, bis zur vollen finanziellen Erschöpfung ihrer
Leiter. Da mußte sie sich ergeben, und seitdem giebt es keine Vaissepartei ans
dem Kontinent, trotz der Behauptung des jetzigen Finanzministers v. Bninski
im Wiener Reichstage. Das war aber ein großes Unglück, denn nun konnte
die Hauffe die Kurse widerstandslos und unvernünftig in die Höhe treiben.

Und sie that es. Sie wollte aber nicht bloß hohe Kurse haben, um an
ihnen zu verdienen, sondern auch die Unmasse von Fonds aller Art, die sie
in der Kampfzeit um die Wende von 1892193 hatte aufkaufen müssen, an das
kleine Publikum absetzen oder es doch mit dem Risiko dafür belasten. Ganz
irrig ist die Behauptung der Kreuzzeitung vom 12. November: „Der eigene-


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[0476] Die Börsenkrisis bin, um die alte früher Brest und Gelpkesche Bank. Da die Baisse weiter verkaufte, so siel im Frühjahr die Kronenrente ein wenig unter den Kurs, zu dem sie zuerst an die Börse gebracht worden war, unter 97 Prozent. Bank-, Transport- und Jndustrieaktien waren noch höher getrieben worden als die Staatspapiere, so das leitende Spekulationspapier der österreichischen Börsen, die Kreditaktie, von 292 Gulden (mit 160 Gulden eingezahlt) auf 359 Gulden im Frühjahr 1893. Der Rückgang geschah im folgenden Sommer auf der ganzen Linie, „Kredit" fiel auf 330, und der Report, der Zins für Prolongation verpfändeter Wertpapiere, stieg Ende August 1893 auf 8 Prozent. Da kam der Wiener Hauffe der Krach einer ganzen Anzahl „exotischer" Anlagen zu Hilfe. Es sielen gewaltig Argentinier, Mexikaner, Australier, Portugiesen, Griechen, Serben, Spanier, nordamerikanische Eisenbahnfonds und Ende des Jahres 1893 auch noch die Italiener, deren Zinsen um 6^ Pro¬ zent reduzirt wurden. Zwar wirkte der Schreck anfangs auch erniedrigend auf deu Kurs österreichischer Staatspapiere und Aktien, aber bald suchten sich die erschreckten Rentiers in Frankreich, Deutschland und Österreich der „exotischen" Papiere zu entledigen und waren nun mit europäischen Staatspapieren mit niedriger Verzinsung zufrieden. Diese Gunst der Umstünde benutzte die Wiener Haussepartei sehr geschickt. Sie gewann den Pariser Markt für österreichisch-ungarische Renten in großem Umfange und eroberte siegreich Berlin, wo, wie gesagt, eine organistrte Kontre- mine oder Vaissepartei bestand. Diese hatte die gesunde Vernunft für sich: der Kurs, auf den die österreichisch-ungarischen Fonds aller Art getrieben wurden, war ersichtlich zu hoch, namentlich sür Dividendenpapiere, die stets niedriger gehandelt worden sind als Fonds mit fester Verzinsung. Aber die Berliner Kontremine hatte erstens die Umstände gegen sich, die bewirkten, daß sich das Kapital aus überseeischen oder Halbinselanlagen (Griechen, Portugiesen usw.) in österreichische und deutsche Anlagen flüchtete, und zweitens die vereinte Macht der europäischen Häute Finanee in Wien, Paris, London und sogar in Berlin selbst, wo die Diskontogesellschast und das Bankhaus Bleichröder zur Rvth- schildgruppe gehören. Sie wurde in wiederholten Mvnatsregulirungen geschlagen und erlitt ungeheure Verluste, bis zur vollen finanziellen Erschöpfung ihrer Leiter. Da mußte sie sich ergeben, und seitdem giebt es keine Vaissepartei ans dem Kontinent, trotz der Behauptung des jetzigen Finanzministers v. Bninski im Wiener Reichstage. Das war aber ein großes Unglück, denn nun konnte die Hauffe die Kurse widerstandslos und unvernünftig in die Höhe treiben. Und sie that es. Sie wollte aber nicht bloß hohe Kurse haben, um an ihnen zu verdienen, sondern auch die Unmasse von Fonds aller Art, die sie in der Kampfzeit um die Wende von 1892193 hatte aufkaufen müssen, an das kleine Publikum absetzen oder es doch mit dem Risiko dafür belasten. Ganz irrig ist die Behauptung der Kreuzzeitung vom 12. November: „Der eigene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/476>, abgerufen am 22.06.2024.