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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

laufen, turnen, schwimmen und fechten, wie sie jetzt "lernen" müssen, wo sie
nicht bloß nach ihren griechischen und lateinischen, sondern auch nach ihren
körperlichen "Exerzitien" beurteilt werden. Die Mittel dazu liegen in der
Pflege des Turnens, vor allen Dingen aber auch der körperlichen Wettspiele,
der Athletik im allgemeinen Sinne des Worts. Die Ergebnisse aber dieser
Wettkämpfe sollen sich -- wie alle Schüler darau teilnehmen -- anch vor
versammeltem Volke zeigen: bei dem Volksfeste.

Damit ist der Kreis geschlossen, der die Schule bei der gleichmäßigen
Ausbildung von Körper und Geist mit der vorliegenden Frage verknüpft. Es
ist hier uicht der Ort, auf Art und Wert jener Wettspiele näher einzugehen;
vortrefflichere Federn haben sich längst damit beschäftigt, und der Zentral¬
ausschuß des "Vereins für Jugend- und Volksspiele," sowie neuerdings der
kräftig emporblühende "Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen" haben
mit großer Umsicht und Energie die Möglichkeit geschaffen, überall Einrich¬
tungen zu diesen Zwecken zu treffen. Ich möchte hier nur kurz darauf hin¬
weisen , daß durch Einfügung der Wettspiele in die Volksfeste als wesentliche
Bestandteile eine Veredlung der Feste erzielt werden muß. Nehmen wir einmal
als bereits erreicht an, was eben als Forderung an unsre Schulen gestellt
wurde: gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung, so liegt ans der Hand,
daß bei der Allgemeinheit unsrer Bildung auch das gesamte Volk an den End¬
zielen der Jugenderziehung mit dem regsten Interesse teilnehmen wird. Wo
anders nun könnten sich die Ergebnisse einer solchen Erziehung zweckmäßiger
vor der Öffentlichkeit zeigen (wie es denn thatsächlich in England geschieht)
als an den großen Volksfesten, wie wir sie uns gern in veredelter Gestalt
vorstellen? Ist erst einmal unsre Jugend so herangebildet, daß Geist und
Körper im Gleichgewicht entwickelt erscheinen, so wird diese Entwicklung auch
nicht mit der Schule aufhören, sondern sich im Leben fortsetzen, und unsre
Hochschulen werden die Pflege des Kneipkomments und eines öden Kasten¬
geistes mit Mcnsurspielerei durch die Pflege körperlicher Wettkämpfe ersetzen
und auch im reifern Alter den Volksfesten neben kritischen Beurteilern auch
mannesreife Kämpen zuführen, wie sie -- oft in silberweißem Haar -- der
Fremde mit Erstaunen in England sehen kann.

Wenn so eine einseitig geistige und gesellschaftliche Bildung durch das
Hinzutreten einer körperlichen Erziehung in öffentlichem Wettkampf erweitert
würde, so würde auch jeuer allem Kastengeist zur Unterlage dienende Dünkel
in den Hintergrund treten, der das Schulwissen über alles stellt. Wem das
als graue Theorie erscheinen sollte, den bitten wir wieder, sich einmal an¬
zusehen, zu welch außerordentlicher Stärke der Gemeinsinn gerade bei den
athletischen Spielen in England entwickelt ist. Dieselbe Disziplin, aber auch
dieselbe Kameradschaft, die der Deutsche durch sein Heer erhält, erwirbt der
Engländer im freien körperlichen Wettkampf ^ ein Umstand, der unsre Päda-


Unsre Volksfeste

laufen, turnen, schwimmen und fechten, wie sie jetzt „lernen" müssen, wo sie
nicht bloß nach ihren griechischen und lateinischen, sondern auch nach ihren
körperlichen „Exerzitien" beurteilt werden. Die Mittel dazu liegen in der
Pflege des Turnens, vor allen Dingen aber auch der körperlichen Wettspiele,
der Athletik im allgemeinen Sinne des Worts. Die Ergebnisse aber dieser
Wettkämpfe sollen sich — wie alle Schüler darau teilnehmen — anch vor
versammeltem Volke zeigen: bei dem Volksfeste.

Damit ist der Kreis geschlossen, der die Schule bei der gleichmäßigen
Ausbildung von Körper und Geist mit der vorliegenden Frage verknüpft. Es
ist hier uicht der Ort, auf Art und Wert jener Wettspiele näher einzugehen;
vortrefflichere Federn haben sich längst damit beschäftigt, und der Zentral¬
ausschuß des „Vereins für Jugend- und Volksspiele," sowie neuerdings der
kräftig emporblühende „Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen" haben
mit großer Umsicht und Energie die Möglichkeit geschaffen, überall Einrich¬
tungen zu diesen Zwecken zu treffen. Ich möchte hier nur kurz darauf hin¬
weisen , daß durch Einfügung der Wettspiele in die Volksfeste als wesentliche
Bestandteile eine Veredlung der Feste erzielt werden muß. Nehmen wir einmal
als bereits erreicht an, was eben als Forderung an unsre Schulen gestellt
wurde: gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung, so liegt ans der Hand,
daß bei der Allgemeinheit unsrer Bildung auch das gesamte Volk an den End¬
zielen der Jugenderziehung mit dem regsten Interesse teilnehmen wird. Wo
anders nun könnten sich die Ergebnisse einer solchen Erziehung zweckmäßiger
vor der Öffentlichkeit zeigen (wie es denn thatsächlich in England geschieht)
als an den großen Volksfesten, wie wir sie uns gern in veredelter Gestalt
vorstellen? Ist erst einmal unsre Jugend so herangebildet, daß Geist und
Körper im Gleichgewicht entwickelt erscheinen, so wird diese Entwicklung auch
nicht mit der Schule aufhören, sondern sich im Leben fortsetzen, und unsre
Hochschulen werden die Pflege des Kneipkomments und eines öden Kasten¬
geistes mit Mcnsurspielerei durch die Pflege körperlicher Wettkämpfe ersetzen
und auch im reifern Alter den Volksfesten neben kritischen Beurteilern auch
mannesreife Kämpen zuführen, wie sie — oft in silberweißem Haar — der
Fremde mit Erstaunen in England sehen kann.

Wenn so eine einseitig geistige und gesellschaftliche Bildung durch das
Hinzutreten einer körperlichen Erziehung in öffentlichem Wettkampf erweitert
würde, so würde auch jeuer allem Kastengeist zur Unterlage dienende Dünkel
in den Hintergrund treten, der das Schulwissen über alles stellt. Wem das
als graue Theorie erscheinen sollte, den bitten wir wieder, sich einmal an¬
zusehen, zu welch außerordentlicher Stärke der Gemeinsinn gerade bei den
athletischen Spielen in England entwickelt ist. Dieselbe Disziplin, aber auch
dieselbe Kameradschaft, die der Deutsche durch sein Heer erhält, erwirbt der
Engländer im freien körperlichen Wettkampf ^ ein Umstand, der unsre Päda-


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[0442] Unsre Volksfeste laufen, turnen, schwimmen und fechten, wie sie jetzt „lernen" müssen, wo sie nicht bloß nach ihren griechischen und lateinischen, sondern auch nach ihren körperlichen „Exerzitien" beurteilt werden. Die Mittel dazu liegen in der Pflege des Turnens, vor allen Dingen aber auch der körperlichen Wettspiele, der Athletik im allgemeinen Sinne des Worts. Die Ergebnisse aber dieser Wettkämpfe sollen sich — wie alle Schüler darau teilnehmen — anch vor versammeltem Volke zeigen: bei dem Volksfeste. Damit ist der Kreis geschlossen, der die Schule bei der gleichmäßigen Ausbildung von Körper und Geist mit der vorliegenden Frage verknüpft. Es ist hier uicht der Ort, auf Art und Wert jener Wettspiele näher einzugehen; vortrefflichere Federn haben sich längst damit beschäftigt, und der Zentral¬ ausschuß des „Vereins für Jugend- und Volksspiele," sowie neuerdings der kräftig emporblühende „Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen" haben mit großer Umsicht und Energie die Möglichkeit geschaffen, überall Einrich¬ tungen zu diesen Zwecken zu treffen. Ich möchte hier nur kurz darauf hin¬ weisen , daß durch Einfügung der Wettspiele in die Volksfeste als wesentliche Bestandteile eine Veredlung der Feste erzielt werden muß. Nehmen wir einmal als bereits erreicht an, was eben als Forderung an unsre Schulen gestellt wurde: gleichmäßige geistige und körperliche Erziehung, so liegt ans der Hand, daß bei der Allgemeinheit unsrer Bildung auch das gesamte Volk an den End¬ zielen der Jugenderziehung mit dem regsten Interesse teilnehmen wird. Wo anders nun könnten sich die Ergebnisse einer solchen Erziehung zweckmäßiger vor der Öffentlichkeit zeigen (wie es denn thatsächlich in England geschieht) als an den großen Volksfesten, wie wir sie uns gern in veredelter Gestalt vorstellen? Ist erst einmal unsre Jugend so herangebildet, daß Geist und Körper im Gleichgewicht entwickelt erscheinen, so wird diese Entwicklung auch nicht mit der Schule aufhören, sondern sich im Leben fortsetzen, und unsre Hochschulen werden die Pflege des Kneipkomments und eines öden Kasten¬ geistes mit Mcnsurspielerei durch die Pflege körperlicher Wettkämpfe ersetzen und auch im reifern Alter den Volksfesten neben kritischen Beurteilern auch mannesreife Kämpen zuführen, wie sie — oft in silberweißem Haar — der Fremde mit Erstaunen in England sehen kann. Wenn so eine einseitig geistige und gesellschaftliche Bildung durch das Hinzutreten einer körperlichen Erziehung in öffentlichem Wettkampf erweitert würde, so würde auch jeuer allem Kastengeist zur Unterlage dienende Dünkel in den Hintergrund treten, der das Schulwissen über alles stellt. Wem das als graue Theorie erscheinen sollte, den bitten wir wieder, sich einmal an¬ zusehen, zu welch außerordentlicher Stärke der Gemeinsinn gerade bei den athletischen Spielen in England entwickelt ist. Dieselbe Disziplin, aber auch dieselbe Kameradschaft, die der Deutsche durch sein Heer erhält, erwirbt der Engländer im freien körperlichen Wettkampf ^ ein Umstand, der unsre Päda-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/442>, abgerufen am 24.07.2024.