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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

gvgen schon längst Hütte aufmerksam machen sollen. In einem Kricket-Elf
findet sich der Lord mit dem Farmerssvhn kameradschaftlich zusammen. Beide
verkehren mit einander wie Gleiche, die sich gegenseitig schätzen und bereit sind,
das, was hier gemeinsam im Spiel geleistet wird, auch auf den großen Wett¬
kampf des Lebens zu übertragen.

Aber noch mehr. Ich meine, die Schulen, die Geist und Körper gleich¬
müßig Pflegen, würden das Laster des Kneipens eindämmen, zunächst in unsrer
Jugend, damit aber auch für das ganze spätere Leben. Freilich würde hier
ein Hinweis auf England nicht glücklich sein; es ist mir wohlbekannt, daß
die Trunksucht dort -- trotz aller athletischen Erziehung -- größer ist als
bei uns: es giebt dort mehr Gewohnheitssäufer, tief unter sowohl, wo es
mehr Armut, als auch hoch oben, wo es mehr Reichtum giebt. Was es aber
dort weniger giebt, und was mir als besonders abschaffenswert gilt, das ist
jenes Kneipenleben, dem der Deutsche mit einer wahrhaft erschreckenden Leiden¬
schaft huldigt. Niemand wird ja etwas arges darin finden, in fröhlicher Ge¬
sellschaft gelegentlich ein Glas zu leeren, und nichts liegt mir ferner, als
jenen heuchlerischen Pnritauismus zu predigen, der ebenso unnötig wie un¬
natürlich erscheint. Was ich mit dem Worte "Kneipen" bezeichne, ist mehr
als ein harmloses Vergnügen oder gelegentliches Fröhlichsein im Kreise froher
Menschen; es ist das zur Lebensgewohnheit gewordne Laster, das unsre Nation
zur Versimplung und Versumpfung führt. Auf der Schule fängt es an; die
berüchtigten "Verbindungen" haben keinen andern Zweck als die Pflege der
Kneipe. Auf der Hochschule wird sie zum Selbstzweck, das Trinken selber
wird zu einer Virtuosität ausgebildet, die einer bessern Sache würdig wäre.
Dann ist die Gewohnheit erreicht, und um folgt der Beruf mit seinen Sorgen
und seinem Aktenstaub: vor beiden wird Rettung gesucht in der geliebten
Kneipe. Wer möchte mich der Übertreibung zeihen, wenn ich behaupte, daß
in der "Kneipe" mehr Familienglück, mehr Fleiß und Ordnungssinn, mehr
Thatkraft und Arbeitsliebe begraben liegen, als sich ausdenken läßt? Nun
meine ich -- und ich spreche aus Erfahrung --, daß ein junger Mann, in
dessen Erziehung sich geistige und körperliche Anstrengung das Gleichgewicht
halten, das stundenlange Verweilen bei Tabaksqualm und Bierdunst gar nicht
als eine sonderlich große Annehmlichkeit oder gar als eine "That," die ihn
andern gleichstellt, empfinden wird. Ein frischer Trunk nach hartem Wett¬
kampf wird ihm sicherlich behagen; aber die Brust, die sich gewöhnt hat, sich
in frischer Luft zu weiten und in vollen Zügen den freien Gottesodem ein-
zusaugen, wird schwerlich ein Vergnügen daran finden, in überheizten, mit
Tabaksqualm und Gasluft geschwängerten Räumen zu verweilen und im Bier-
genuß zu schwelgen. Die Kneipsucht ist eine Folge unsrer einseitig geistigen
Erziehung: man ergänze diese durch ebenso gründliche körperliche Übungen,
und das Kneipen wird dem harmlosen Gelegenheitstrunk Platz machen, und


Grenzboten IV 189S 56
Unsre Volksfeste

gvgen schon längst Hütte aufmerksam machen sollen. In einem Kricket-Elf
findet sich der Lord mit dem Farmerssvhn kameradschaftlich zusammen. Beide
verkehren mit einander wie Gleiche, die sich gegenseitig schätzen und bereit sind,
das, was hier gemeinsam im Spiel geleistet wird, auch auf den großen Wett¬
kampf des Lebens zu übertragen.

Aber noch mehr. Ich meine, die Schulen, die Geist und Körper gleich¬
müßig Pflegen, würden das Laster des Kneipens eindämmen, zunächst in unsrer
Jugend, damit aber auch für das ganze spätere Leben. Freilich würde hier
ein Hinweis auf England nicht glücklich sein; es ist mir wohlbekannt, daß
die Trunksucht dort — trotz aller athletischen Erziehung — größer ist als
bei uns: es giebt dort mehr Gewohnheitssäufer, tief unter sowohl, wo es
mehr Armut, als auch hoch oben, wo es mehr Reichtum giebt. Was es aber
dort weniger giebt, und was mir als besonders abschaffenswert gilt, das ist
jenes Kneipenleben, dem der Deutsche mit einer wahrhaft erschreckenden Leiden¬
schaft huldigt. Niemand wird ja etwas arges darin finden, in fröhlicher Ge¬
sellschaft gelegentlich ein Glas zu leeren, und nichts liegt mir ferner, als
jenen heuchlerischen Pnritauismus zu predigen, der ebenso unnötig wie un¬
natürlich erscheint. Was ich mit dem Worte „Kneipen" bezeichne, ist mehr
als ein harmloses Vergnügen oder gelegentliches Fröhlichsein im Kreise froher
Menschen; es ist das zur Lebensgewohnheit gewordne Laster, das unsre Nation
zur Versimplung und Versumpfung führt. Auf der Schule fängt es an; die
berüchtigten „Verbindungen" haben keinen andern Zweck als die Pflege der
Kneipe. Auf der Hochschule wird sie zum Selbstzweck, das Trinken selber
wird zu einer Virtuosität ausgebildet, die einer bessern Sache würdig wäre.
Dann ist die Gewohnheit erreicht, und um folgt der Beruf mit seinen Sorgen
und seinem Aktenstaub: vor beiden wird Rettung gesucht in der geliebten
Kneipe. Wer möchte mich der Übertreibung zeihen, wenn ich behaupte, daß
in der „Kneipe" mehr Familienglück, mehr Fleiß und Ordnungssinn, mehr
Thatkraft und Arbeitsliebe begraben liegen, als sich ausdenken läßt? Nun
meine ich — und ich spreche aus Erfahrung —, daß ein junger Mann, in
dessen Erziehung sich geistige und körperliche Anstrengung das Gleichgewicht
halten, das stundenlange Verweilen bei Tabaksqualm und Bierdunst gar nicht
als eine sonderlich große Annehmlichkeit oder gar als eine „That," die ihn
andern gleichstellt, empfinden wird. Ein frischer Trunk nach hartem Wett¬
kampf wird ihm sicherlich behagen; aber die Brust, die sich gewöhnt hat, sich
in frischer Luft zu weiten und in vollen Zügen den freien Gottesodem ein-
zusaugen, wird schwerlich ein Vergnügen daran finden, in überheizten, mit
Tabaksqualm und Gasluft geschwängerten Räumen zu verweilen und im Bier-
genuß zu schwelgen. Die Kneipsucht ist eine Folge unsrer einseitig geistigen
Erziehung: man ergänze diese durch ebenso gründliche körperliche Übungen,
und das Kneipen wird dem harmlosen Gelegenheitstrunk Platz machen, und


Grenzboten IV 189S 56
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[0443] Unsre Volksfeste gvgen schon längst Hütte aufmerksam machen sollen. In einem Kricket-Elf findet sich der Lord mit dem Farmerssvhn kameradschaftlich zusammen. Beide verkehren mit einander wie Gleiche, die sich gegenseitig schätzen und bereit sind, das, was hier gemeinsam im Spiel geleistet wird, auch auf den großen Wett¬ kampf des Lebens zu übertragen. Aber noch mehr. Ich meine, die Schulen, die Geist und Körper gleich¬ müßig Pflegen, würden das Laster des Kneipens eindämmen, zunächst in unsrer Jugend, damit aber auch für das ganze spätere Leben. Freilich würde hier ein Hinweis auf England nicht glücklich sein; es ist mir wohlbekannt, daß die Trunksucht dort — trotz aller athletischen Erziehung — größer ist als bei uns: es giebt dort mehr Gewohnheitssäufer, tief unter sowohl, wo es mehr Armut, als auch hoch oben, wo es mehr Reichtum giebt. Was es aber dort weniger giebt, und was mir als besonders abschaffenswert gilt, das ist jenes Kneipenleben, dem der Deutsche mit einer wahrhaft erschreckenden Leiden¬ schaft huldigt. Niemand wird ja etwas arges darin finden, in fröhlicher Ge¬ sellschaft gelegentlich ein Glas zu leeren, und nichts liegt mir ferner, als jenen heuchlerischen Pnritauismus zu predigen, der ebenso unnötig wie un¬ natürlich erscheint. Was ich mit dem Worte „Kneipen" bezeichne, ist mehr als ein harmloses Vergnügen oder gelegentliches Fröhlichsein im Kreise froher Menschen; es ist das zur Lebensgewohnheit gewordne Laster, das unsre Nation zur Versimplung und Versumpfung führt. Auf der Schule fängt es an; die berüchtigten „Verbindungen" haben keinen andern Zweck als die Pflege der Kneipe. Auf der Hochschule wird sie zum Selbstzweck, das Trinken selber wird zu einer Virtuosität ausgebildet, die einer bessern Sache würdig wäre. Dann ist die Gewohnheit erreicht, und um folgt der Beruf mit seinen Sorgen und seinem Aktenstaub: vor beiden wird Rettung gesucht in der geliebten Kneipe. Wer möchte mich der Übertreibung zeihen, wenn ich behaupte, daß in der „Kneipe" mehr Familienglück, mehr Fleiß und Ordnungssinn, mehr Thatkraft und Arbeitsliebe begraben liegen, als sich ausdenken läßt? Nun meine ich — und ich spreche aus Erfahrung —, daß ein junger Mann, in dessen Erziehung sich geistige und körperliche Anstrengung das Gleichgewicht halten, das stundenlange Verweilen bei Tabaksqualm und Bierdunst gar nicht als eine sonderlich große Annehmlichkeit oder gar als eine „That," die ihn andern gleichstellt, empfinden wird. Ein frischer Trunk nach hartem Wett¬ kampf wird ihm sicherlich behagen; aber die Brust, die sich gewöhnt hat, sich in frischer Luft zu weiten und in vollen Zügen den freien Gottesodem ein- zusaugen, wird schwerlich ein Vergnügen daran finden, in überheizten, mit Tabaksqualm und Gasluft geschwängerten Räumen zu verweilen und im Bier- genuß zu schwelgen. Die Kneipsucht ist eine Folge unsrer einseitig geistigen Erziehung: man ergänze diese durch ebenso gründliche körperliche Übungen, und das Kneipen wird dem harmlosen Gelegenheitstrunk Platz machen, und Grenzboten IV 189S 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/443>, abgerufen am 24.07.2024.