Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Unsre Volksfeste die Kunst, ja wie die Wissenschaft selber, die ihre Jünger hinausweist an die Wir müssen es dahin bringen, daß unsre Schulen der körperlichen Er¬ Ich weiß sehr wohl, wie tief eine solche Forderung in die geltenden An¬ Unsre Volksfeste die Kunst, ja wie die Wissenschaft selber, die ihre Jünger hinausweist an die Wir müssen es dahin bringen, daß unsre Schulen der körperlichen Er¬ Ich weiß sehr wohl, wie tief eine solche Forderung in die geltenden An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221415"/> <fw type="header" place="top"> Unsre Volksfeste</fw><lb/> <p xml:id="ID_1453" prev="#ID_1452"> die Kunst, ja wie die Wissenschaft selber, die ihre Jünger hinausweist an die<lb/> Brust der Natur und der ewigen Mutter Erde, weil sie erkennt, daß es mehr<lb/> Dinge zwischen Himmel und Erde giebt als Bücherweisheit, daß wir nicht<lb/> bloß Geist und Nerven, sondern auch Fleisch und Bein sind, und daß der<lb/> laute Schrei nach Licht und Luft, der unser ganzes öffentliches Leben durch¬<lb/> hallt, vor allen Dingen auch unsern Kindern in den Schulstuben gilt, damit<lb/> sie nicht bloß geistig, sondern auch Physisch gerüstet in den schweren Kampf<lb/> ums Dasein eintreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1454"> Wir müssen es dahin bringen, daß unsre Schulen der körperlichen Er¬<lb/> ziehung die gleiche Sorgfalt zuwenden wie der geistigen. Beide haben gleichen<lb/> Wert, wenn wir nicht gar den körperlich gesunden Menschen, das Zooä animal,<lb/> höher stellen müssen. Ungleichmäßig hat Mutter Natur des Geistes Gaben<lb/> verteilt; dem eiuen hat sie einen raschem und schärfern, dem andern einen<lb/> langsamern und tiefern, dem dritten einen schwerfälligen und mühsamen Ver¬<lb/> stand gegeben: vor der Erziehung sollten alle drei gleich sein. Was dem einen<lb/> an Verstände fehlt, gleicht die Natur durch körperliche Leistungsfähigkeit aus, und<lb/> jenes nervös überreizte Hirn erhält Gegengewicht und Ruhe durch die Pflege<lb/> des Körpers. Beide sind „reif," wenn sie für den Kampf ums Dasei« ge¬<lb/> rüstet erscheinen, nicht bloß geistig, sondern vor allem auch leiblich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1455" next="#ID_1456"> Ich weiß sehr wohl, wie tief eine solche Forderung in die geltenden An¬<lb/> schauungen eingreift, und der Gedanke, ein Lehrerzeugnis ersten Grades auch,<lb/> und zwar wesentlich, auf Grund körperlicher Leistungen auszustellen, erscheint<lb/> fast als etwas Ungeheuerliches. Dennoch ist der Weg der richtige, und über kurz<lb/> oder lang wird auch an der Stelle die Einsicht dafür durchbrechen, von der aus<lb/> eine wirksame Reform allein möglich ist. Wir sind ja im besten Zuge, den Eng¬<lb/> ländern ihre prächtigen „Spiele" abzunehmen und sie bei uns — denen sie nie<lb/> entschwunden sein sollten — wieder heimisch zu machen. Wohlan, in England<lb/> wird mindestens die Hälfte der Woche zur Pflege athletischer Spiele verwendet,<lb/> dort nimmt ein Schuldirektor mit besondrer Vorliebe Lehrer, die in Milötios<lb/> etwas Tüchtiges leisten. Ich weiß ans eigner Erfahrung, daß bei der Wahl<lb/> zwischen einem wissenschaftlich recht brauchbaren Manne und einem vortreff¬<lb/> lichen Kricketspieler (von „Ruf!") dieser, der Kricketspieler, die freigewordue<lb/> Lehrerstelle an einer großen Schule bekam. Wie lange noch wird uns „ge¬<lb/> bildeten Menschen" diese Wertschätzung auch der körperlichen Erziehung unge¬<lb/> heuerlich vorkommen, und wie lange noch wird man meinen, so etwas „ginge<lb/> bei uns nicht"? Lassen wir einmal die mit Bier, Tabak, Mensuren und<lb/> römischem Recht groß gewordnen Juristen absterben, die bei uns — seltsam<lb/> genug — die regierende Kaste vorstellen; lassen wir an ihre Stelle Männer<lb/> treten, die bei tüchtiger Schulung des Geistes den freien Blick bewahrt haben,<lb/> den alle körperliche Erziehung unter Gottes freiem Himmel giebt: sicher<lb/> werden dann auch die Tage kommen, wo unsre Jungen ebenso viel Stunden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0441]
Unsre Volksfeste
die Kunst, ja wie die Wissenschaft selber, die ihre Jünger hinausweist an die
Brust der Natur und der ewigen Mutter Erde, weil sie erkennt, daß es mehr
Dinge zwischen Himmel und Erde giebt als Bücherweisheit, daß wir nicht
bloß Geist und Nerven, sondern auch Fleisch und Bein sind, und daß der
laute Schrei nach Licht und Luft, der unser ganzes öffentliches Leben durch¬
hallt, vor allen Dingen auch unsern Kindern in den Schulstuben gilt, damit
sie nicht bloß geistig, sondern auch Physisch gerüstet in den schweren Kampf
ums Dasein eintreten.
Wir müssen es dahin bringen, daß unsre Schulen der körperlichen Er¬
ziehung die gleiche Sorgfalt zuwenden wie der geistigen. Beide haben gleichen
Wert, wenn wir nicht gar den körperlich gesunden Menschen, das Zooä animal,
höher stellen müssen. Ungleichmäßig hat Mutter Natur des Geistes Gaben
verteilt; dem eiuen hat sie einen raschem und schärfern, dem andern einen
langsamern und tiefern, dem dritten einen schwerfälligen und mühsamen Ver¬
stand gegeben: vor der Erziehung sollten alle drei gleich sein. Was dem einen
an Verstände fehlt, gleicht die Natur durch körperliche Leistungsfähigkeit aus, und
jenes nervös überreizte Hirn erhält Gegengewicht und Ruhe durch die Pflege
des Körpers. Beide sind „reif," wenn sie für den Kampf ums Dasei« ge¬
rüstet erscheinen, nicht bloß geistig, sondern vor allem auch leiblich.
Ich weiß sehr wohl, wie tief eine solche Forderung in die geltenden An¬
schauungen eingreift, und der Gedanke, ein Lehrerzeugnis ersten Grades auch,
und zwar wesentlich, auf Grund körperlicher Leistungen auszustellen, erscheint
fast als etwas Ungeheuerliches. Dennoch ist der Weg der richtige, und über kurz
oder lang wird auch an der Stelle die Einsicht dafür durchbrechen, von der aus
eine wirksame Reform allein möglich ist. Wir sind ja im besten Zuge, den Eng¬
ländern ihre prächtigen „Spiele" abzunehmen und sie bei uns — denen sie nie
entschwunden sein sollten — wieder heimisch zu machen. Wohlan, in England
wird mindestens die Hälfte der Woche zur Pflege athletischer Spiele verwendet,
dort nimmt ein Schuldirektor mit besondrer Vorliebe Lehrer, die in Milötios
etwas Tüchtiges leisten. Ich weiß ans eigner Erfahrung, daß bei der Wahl
zwischen einem wissenschaftlich recht brauchbaren Manne und einem vortreff¬
lichen Kricketspieler (von „Ruf!") dieser, der Kricketspieler, die freigewordue
Lehrerstelle an einer großen Schule bekam. Wie lange noch wird uns „ge¬
bildeten Menschen" diese Wertschätzung auch der körperlichen Erziehung unge¬
heuerlich vorkommen, und wie lange noch wird man meinen, so etwas „ginge
bei uns nicht"? Lassen wir einmal die mit Bier, Tabak, Mensuren und
römischem Recht groß gewordnen Juristen absterben, die bei uns — seltsam
genug — die regierende Kaste vorstellen; lassen wir an ihre Stelle Männer
treten, die bei tüchtiger Schulung des Geistes den freien Blick bewahrt haben,
den alle körperliche Erziehung unter Gottes freiem Himmel giebt: sicher
werden dann auch die Tage kommen, wo unsre Jungen ebenso viel Stunden
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