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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Nachbarvölker sein."") Wie viel wird dagegen gepredigt -- vergeblich! Es
werden Bereine dagegen gegründet, und sie sind stolz, wenn sich ans der
Jahresversammlung herausstellt, daß ein paar Tausend Liter Bier weniger
getrunken sind als im "Vorjahr." Wir möchte" der Sache von einer andern
Seite her beikommen, die sich mittelbar mit unserm Thema berührt. Unsre
Hoffnung beruht nicht auf Predigten und Vereinen, sondern auf der Erziehung
unsrer Jugend.

Mehr als irgend ein andres Volk ist das deutsche "erzogen"; größer als
anderswo ist daher auch bei uns die Einwirkung und die Wichtigkeit der
Schule. Auf den Spielplätzen von Eton wurden die Leute erzogen, die bei
Waterloo der französischen Garde siegreichen Widerstand leisteten. Wer die
deutsche Schule hat, der wird nicht nur deutsche Siege gewinnen, sondern er
hat die gesamte Kulturentwicklung des deutschen Volks in der Hand. Auf den
vorliegenden Fall angewendet, würde es also darauf ankommen, schon in
unsrer Jugend mit aller Kraft den Gemeinsinn zu entwickeln und zu stärke"
und die gesunde" Triebe zu Pflegen, die der deutschen Trinklust naturgemäß
entgegenstehen; wäre beides erreicht, so wäre ein weiterer Schritt zum Ideal
des Volksfestes gethan. Es fragt sich, welche praktischen Mittel zu diesem
Ziele führen.

Der sogenannte "gebildete" Deutsche macht einen seltsamen Bildungsgang
dnrch. Während unsre Schulen außerordentlich wirksame Pflanzstätten eines
starken und edeln Gemeinsinnes sind, hört seine Pflege mit dem Abgang von
der Schule nicht nur auf, sondern es wird mit dem Berufe geradezu ein starker
Kastengeist anerzogen, der mit Rang und Würden immer mehr zunimmt. Wird
der Jüngling Offizier, so nimmt ihn schon nach wenigen Monaten ein Gefühl
der Überlegenheit über alle andern "Stände" gefangen, die oft genug den Spott
reizt, immer aber dem Volksfreunde Grund zu ernsten, ja wehmütigen Betrach¬
tungen geben muß. Aber auch auf der Hochschule, wo doch erst die selbstän¬
dige und rein menschliche Bildung erworben werden -- sollte, schwindet der
auf der Schule anerzogne humane Gemeinsinn meistens mit erschreckender
Schnelligkeit. Der Korpsstudent blickt als "vornehmster" Vertreter der Stu¬
dentenschaft ans den "Finken," der Jurist auf den Philologen herab; Arm
und Reich, Hoch und Niedrig trennen sich in scharf erkennbaren Gruppen und
Verewigungen. Hie und da sind sogar Aoelsbricfe Bedingung, es werden
Äußerlichkeiten ausschlaggebend, die auf den Unbefangnen einen seltsame", ja
lächerlichen Eindruck machen. Auf der deutschen Hochschule! Die Stätten, die
berufen sind, das Höchste und Edelste zu Pflegen, dessen der deutsche Charakter
fähig ist: höchste Liebe zu Wahrheit und Wissenschaft, edle Geselligkeit und
Humanität, treuen und tapfern Sinn in allen Lagen des Lebens, sie bilden



") Rosegger, Dus Trinken ein deutsches Laster, Zukunft, 1894, S. 229.
Unsre Volksfeste

Nachbarvölker sein."") Wie viel wird dagegen gepredigt — vergeblich! Es
werden Bereine dagegen gegründet, und sie sind stolz, wenn sich ans der
Jahresversammlung herausstellt, daß ein paar Tausend Liter Bier weniger
getrunken sind als im „Vorjahr." Wir möchte» der Sache von einer andern
Seite her beikommen, die sich mittelbar mit unserm Thema berührt. Unsre
Hoffnung beruht nicht auf Predigten und Vereinen, sondern auf der Erziehung
unsrer Jugend.

Mehr als irgend ein andres Volk ist das deutsche „erzogen"; größer als
anderswo ist daher auch bei uns die Einwirkung und die Wichtigkeit der
Schule. Auf den Spielplätzen von Eton wurden die Leute erzogen, die bei
Waterloo der französischen Garde siegreichen Widerstand leisteten. Wer die
deutsche Schule hat, der wird nicht nur deutsche Siege gewinnen, sondern er
hat die gesamte Kulturentwicklung des deutschen Volks in der Hand. Auf den
vorliegenden Fall angewendet, würde es also darauf ankommen, schon in
unsrer Jugend mit aller Kraft den Gemeinsinn zu entwickeln und zu stärke»
und die gesunde» Triebe zu Pflegen, die der deutschen Trinklust naturgemäß
entgegenstehen; wäre beides erreicht, so wäre ein weiterer Schritt zum Ideal
des Volksfestes gethan. Es fragt sich, welche praktischen Mittel zu diesem
Ziele führen.

Der sogenannte „gebildete" Deutsche macht einen seltsamen Bildungsgang
dnrch. Während unsre Schulen außerordentlich wirksame Pflanzstätten eines
starken und edeln Gemeinsinnes sind, hört seine Pflege mit dem Abgang von
der Schule nicht nur auf, sondern es wird mit dem Berufe geradezu ein starker
Kastengeist anerzogen, der mit Rang und Würden immer mehr zunimmt. Wird
der Jüngling Offizier, so nimmt ihn schon nach wenigen Monaten ein Gefühl
der Überlegenheit über alle andern „Stände" gefangen, die oft genug den Spott
reizt, immer aber dem Volksfreunde Grund zu ernsten, ja wehmütigen Betrach¬
tungen geben muß. Aber auch auf der Hochschule, wo doch erst die selbstän¬
dige und rein menschliche Bildung erworben werden — sollte, schwindet der
auf der Schule anerzogne humane Gemeinsinn meistens mit erschreckender
Schnelligkeit. Der Korpsstudent blickt als „vornehmster" Vertreter der Stu¬
dentenschaft ans den „Finken," der Jurist auf den Philologen herab; Arm
und Reich, Hoch und Niedrig trennen sich in scharf erkennbaren Gruppen und
Verewigungen. Hie und da sind sogar Aoelsbricfe Bedingung, es werden
Äußerlichkeiten ausschlaggebend, die auf den Unbefangnen einen seltsame», ja
lächerlichen Eindruck machen. Auf der deutschen Hochschule! Die Stätten, die
berufen sind, das Höchste und Edelste zu Pflegen, dessen der deutsche Charakter
fähig ist: höchste Liebe zu Wahrheit und Wissenschaft, edle Geselligkeit und
Humanität, treuen und tapfern Sinn in allen Lagen des Lebens, sie bilden



") Rosegger, Dus Trinken ein deutsches Laster, Zukunft, 1894, S. 229.
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[0439] Unsre Volksfeste Nachbarvölker sein."") Wie viel wird dagegen gepredigt — vergeblich! Es werden Bereine dagegen gegründet, und sie sind stolz, wenn sich ans der Jahresversammlung herausstellt, daß ein paar Tausend Liter Bier weniger getrunken sind als im „Vorjahr." Wir möchte» der Sache von einer andern Seite her beikommen, die sich mittelbar mit unserm Thema berührt. Unsre Hoffnung beruht nicht auf Predigten und Vereinen, sondern auf der Erziehung unsrer Jugend. Mehr als irgend ein andres Volk ist das deutsche „erzogen"; größer als anderswo ist daher auch bei uns die Einwirkung und die Wichtigkeit der Schule. Auf den Spielplätzen von Eton wurden die Leute erzogen, die bei Waterloo der französischen Garde siegreichen Widerstand leisteten. Wer die deutsche Schule hat, der wird nicht nur deutsche Siege gewinnen, sondern er hat die gesamte Kulturentwicklung des deutschen Volks in der Hand. Auf den vorliegenden Fall angewendet, würde es also darauf ankommen, schon in unsrer Jugend mit aller Kraft den Gemeinsinn zu entwickeln und zu stärke» und die gesunde» Triebe zu Pflegen, die der deutschen Trinklust naturgemäß entgegenstehen; wäre beides erreicht, so wäre ein weiterer Schritt zum Ideal des Volksfestes gethan. Es fragt sich, welche praktischen Mittel zu diesem Ziele führen. Der sogenannte „gebildete" Deutsche macht einen seltsamen Bildungsgang dnrch. Während unsre Schulen außerordentlich wirksame Pflanzstätten eines starken und edeln Gemeinsinnes sind, hört seine Pflege mit dem Abgang von der Schule nicht nur auf, sondern es wird mit dem Berufe geradezu ein starker Kastengeist anerzogen, der mit Rang und Würden immer mehr zunimmt. Wird der Jüngling Offizier, so nimmt ihn schon nach wenigen Monaten ein Gefühl der Überlegenheit über alle andern „Stände" gefangen, die oft genug den Spott reizt, immer aber dem Volksfreunde Grund zu ernsten, ja wehmütigen Betrach¬ tungen geben muß. Aber auch auf der Hochschule, wo doch erst die selbstän¬ dige und rein menschliche Bildung erworben werden — sollte, schwindet der auf der Schule anerzogne humane Gemeinsinn meistens mit erschreckender Schnelligkeit. Der Korpsstudent blickt als „vornehmster" Vertreter der Stu¬ dentenschaft ans den „Finken," der Jurist auf den Philologen herab; Arm und Reich, Hoch und Niedrig trennen sich in scharf erkennbaren Gruppen und Verewigungen. Hie und da sind sogar Aoelsbricfe Bedingung, es werden Äußerlichkeiten ausschlaggebend, die auf den Unbefangnen einen seltsame», ja lächerlichen Eindruck machen. Auf der deutschen Hochschule! Die Stätten, die berufen sind, das Höchste und Edelste zu Pflegen, dessen der deutsche Charakter fähig ist: höchste Liebe zu Wahrheit und Wissenschaft, edle Geselligkeit und Humanität, treuen und tapfern Sinn in allen Lagen des Lebens, sie bilden ") Rosegger, Dus Trinken ein deutsches Laster, Zukunft, 1894, S. 229.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/439>, abgerufen am 24.07.2024.