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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

handelt, sei es, daß wir den Namens- oder Geburtstag des Landesherrn, das
Andenken an Siege und Helden oder eine in der örtlichen Erinnerung lebende
Ruhmesthat feiern wollen. Dadurch würde dem Feste nicht nur ein all¬
gemeiner und würdiger Inhalt und Mittelpunkt gegeben werden, es würden
sich auch weit leichter alte Bräuche und Festsitten erhalten oder wieder er¬
wecken lassen, als wenn man ein Fest sozusagen abstrakt in die Luft baut.
Ganz von selber würden an einem auf Pfingsten verlegten Volksfeste die alten
Maifeste mit Maiblumen, Maikönigen und Maigrafen wieder aufleben -- alte
Bräuche stellen sich wieder ein, ohne daß es besondrer Künste bedürfte, denn
der Schatz, den das Volk an schönen alten Branchen bewahrt, ist ungemein
reich, bei keiner Nation aber reicher als bei der deutschen. Welch stolzere
und liebere Veranlassung böte sich uns dar, als die Feier von Kaisers
Geburtstag? Aber was ist dies Fest jetzt? Papst Sixtus V. schrieb, wie
Moutcmus hervorhebt, dem Einflüsse der Volksfeste zu, daß die deutschen
Volkstugenden: Treue, Wort, Ehrenhaftigkeit, Keuschheit und Hilfsbercit-
willigkeit für Unterdrückte genährt und erhalten würden. Wer könnte diese
Wirkungen in den Vordergrund stellen, wenn es sich um die moralischen Er¬
gebnisse einer Kaisergeburtstagsfeier handelt, wie sie heute vor sich geht? Ist
es nicht, als ob sich jeder "loyale" Deutsche für verpflichtet hielte, sich an
diesem Tage zu Ehren seines Kaisers möglichst unmäßig im Essen und Trinken
zu zeigen? Und doch wäre kaum ein Tag geeigneter, das gesamte Volk, ins¬
besondre auch sein stolzes Heer, zu einem gemeinsamen Feste zu vereinige",
das ein Spiegelbild der deutschen Tugenden der Treue und des frommen
Sinns, der gemütvollen Geselligkeit und des altgermanischen Kampfesmutes
sein könnte! Heute steht es unter dem Zeichen des "Liebesmahls" und des
Kommersch!

Ja der Trunk! AIs Alleinherrscher thront er gebietend in der Mitte aller
deutschen Festfreude. Um ihn dreht sich die taumelnde Welt, wie einst die
Juden um das goldne Kalb; er ist es, der die berühmte deutsche "Gemütlich¬
keit" schafft, jenen bequemen Deckmantel für Schlaffheit, Philistersinn und
Versumpfung; er beherrscht die Jugend aller Klassen, im Bierkult und beim
Festessen vereinigt sich der "gebildete Deutsche" mit den untersten Volks¬
schichten. Der Tod macht alle Menschen, das Vier alle Deutschen gleich.
Ein trefflicher Kenner und warmer Freund unsers Volkes hat uns jüngst die
bittern, aber wahren Worte zugerufen: "Wenn ihr das Laster des Suffs, das
ohnehin im deutschen Blute liegt, auch noch in jeder Generation systematisch
groß zieht, wo inmitten starker und schlau lauernder Nachbarn ein klarer Kopf,
ein nüchterner Sinn noch notwendiger ist als ein scharfes Schwert -- wenn
ihr eure nationale Begeisterung erst mit Bier auffrischen, eure Zeit und eure
Sorgen und euer Geld in Bier und Schnaps versenken müßt, dann werdet
ihr immer mehr versimpeln und versumpfen und endlich ein Spott der


Unsre Volksfeste

handelt, sei es, daß wir den Namens- oder Geburtstag des Landesherrn, das
Andenken an Siege und Helden oder eine in der örtlichen Erinnerung lebende
Ruhmesthat feiern wollen. Dadurch würde dem Feste nicht nur ein all¬
gemeiner und würdiger Inhalt und Mittelpunkt gegeben werden, es würden
sich auch weit leichter alte Bräuche und Festsitten erhalten oder wieder er¬
wecken lassen, als wenn man ein Fest sozusagen abstrakt in die Luft baut.
Ganz von selber würden an einem auf Pfingsten verlegten Volksfeste die alten
Maifeste mit Maiblumen, Maikönigen und Maigrafen wieder aufleben — alte
Bräuche stellen sich wieder ein, ohne daß es besondrer Künste bedürfte, denn
der Schatz, den das Volk an schönen alten Branchen bewahrt, ist ungemein
reich, bei keiner Nation aber reicher als bei der deutschen. Welch stolzere
und liebere Veranlassung böte sich uns dar, als die Feier von Kaisers
Geburtstag? Aber was ist dies Fest jetzt? Papst Sixtus V. schrieb, wie
Moutcmus hervorhebt, dem Einflüsse der Volksfeste zu, daß die deutschen
Volkstugenden: Treue, Wort, Ehrenhaftigkeit, Keuschheit und Hilfsbercit-
willigkeit für Unterdrückte genährt und erhalten würden. Wer könnte diese
Wirkungen in den Vordergrund stellen, wenn es sich um die moralischen Er¬
gebnisse einer Kaisergeburtstagsfeier handelt, wie sie heute vor sich geht? Ist
es nicht, als ob sich jeder „loyale" Deutsche für verpflichtet hielte, sich an
diesem Tage zu Ehren seines Kaisers möglichst unmäßig im Essen und Trinken
zu zeigen? Und doch wäre kaum ein Tag geeigneter, das gesamte Volk, ins¬
besondre auch sein stolzes Heer, zu einem gemeinsamen Feste zu vereinige»,
das ein Spiegelbild der deutschen Tugenden der Treue und des frommen
Sinns, der gemütvollen Geselligkeit und des altgermanischen Kampfesmutes
sein könnte! Heute steht es unter dem Zeichen des „Liebesmahls" und des
Kommersch!

Ja der Trunk! AIs Alleinherrscher thront er gebietend in der Mitte aller
deutschen Festfreude. Um ihn dreht sich die taumelnde Welt, wie einst die
Juden um das goldne Kalb; er ist es, der die berühmte deutsche „Gemütlich¬
keit" schafft, jenen bequemen Deckmantel für Schlaffheit, Philistersinn und
Versumpfung; er beherrscht die Jugend aller Klassen, im Bierkult und beim
Festessen vereinigt sich der „gebildete Deutsche" mit den untersten Volks¬
schichten. Der Tod macht alle Menschen, das Vier alle Deutschen gleich.
Ein trefflicher Kenner und warmer Freund unsers Volkes hat uns jüngst die
bittern, aber wahren Worte zugerufen: „Wenn ihr das Laster des Suffs, das
ohnehin im deutschen Blute liegt, auch noch in jeder Generation systematisch
groß zieht, wo inmitten starker und schlau lauernder Nachbarn ein klarer Kopf,
ein nüchterner Sinn noch notwendiger ist als ein scharfes Schwert — wenn
ihr eure nationale Begeisterung erst mit Bier auffrischen, eure Zeit und eure
Sorgen und euer Geld in Bier und Schnaps versenken müßt, dann werdet
ihr immer mehr versimpeln und versumpfen und endlich ein Spott der


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[0438] Unsre Volksfeste handelt, sei es, daß wir den Namens- oder Geburtstag des Landesherrn, das Andenken an Siege und Helden oder eine in der örtlichen Erinnerung lebende Ruhmesthat feiern wollen. Dadurch würde dem Feste nicht nur ein all¬ gemeiner und würdiger Inhalt und Mittelpunkt gegeben werden, es würden sich auch weit leichter alte Bräuche und Festsitten erhalten oder wieder er¬ wecken lassen, als wenn man ein Fest sozusagen abstrakt in die Luft baut. Ganz von selber würden an einem auf Pfingsten verlegten Volksfeste die alten Maifeste mit Maiblumen, Maikönigen und Maigrafen wieder aufleben — alte Bräuche stellen sich wieder ein, ohne daß es besondrer Künste bedürfte, denn der Schatz, den das Volk an schönen alten Branchen bewahrt, ist ungemein reich, bei keiner Nation aber reicher als bei der deutschen. Welch stolzere und liebere Veranlassung böte sich uns dar, als die Feier von Kaisers Geburtstag? Aber was ist dies Fest jetzt? Papst Sixtus V. schrieb, wie Moutcmus hervorhebt, dem Einflüsse der Volksfeste zu, daß die deutschen Volkstugenden: Treue, Wort, Ehrenhaftigkeit, Keuschheit und Hilfsbercit- willigkeit für Unterdrückte genährt und erhalten würden. Wer könnte diese Wirkungen in den Vordergrund stellen, wenn es sich um die moralischen Er¬ gebnisse einer Kaisergeburtstagsfeier handelt, wie sie heute vor sich geht? Ist es nicht, als ob sich jeder „loyale" Deutsche für verpflichtet hielte, sich an diesem Tage zu Ehren seines Kaisers möglichst unmäßig im Essen und Trinken zu zeigen? Und doch wäre kaum ein Tag geeigneter, das gesamte Volk, ins¬ besondre auch sein stolzes Heer, zu einem gemeinsamen Feste zu vereinige», das ein Spiegelbild der deutschen Tugenden der Treue und des frommen Sinns, der gemütvollen Geselligkeit und des altgermanischen Kampfesmutes sein könnte! Heute steht es unter dem Zeichen des „Liebesmahls" und des Kommersch! Ja der Trunk! AIs Alleinherrscher thront er gebietend in der Mitte aller deutschen Festfreude. Um ihn dreht sich die taumelnde Welt, wie einst die Juden um das goldne Kalb; er ist es, der die berühmte deutsche „Gemütlich¬ keit" schafft, jenen bequemen Deckmantel für Schlaffheit, Philistersinn und Versumpfung; er beherrscht die Jugend aller Klassen, im Bierkult und beim Festessen vereinigt sich der „gebildete Deutsche" mit den untersten Volks¬ schichten. Der Tod macht alle Menschen, das Vier alle Deutschen gleich. Ein trefflicher Kenner und warmer Freund unsers Volkes hat uns jüngst die bittern, aber wahren Worte zugerufen: „Wenn ihr das Laster des Suffs, das ohnehin im deutschen Blute liegt, auch noch in jeder Generation systematisch groß zieht, wo inmitten starker und schlau lauernder Nachbarn ein klarer Kopf, ein nüchterner Sinn noch notwendiger ist als ein scharfes Schwert — wenn ihr eure nationale Begeisterung erst mit Bier auffrischen, eure Zeit und eure Sorgen und euer Geld in Bier und Schnaps versenken müßt, dann werdet ihr immer mehr versimpeln und versumpfen und endlich ein Spott der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/438>, abgerufen am 24.07.2024.