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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Vereine und das bürgerliche Gesetzbuch

vergolten wird und den oft gehörten Verdächtigungen, daß es die Staats¬
gewalt mit den Unternehmern halte, immer von neuem wieder den Boden be¬
reitet. Die praktische Handhabung des Vereins - und Versammluugsrechts
trägt an dieser unheilvollen Verbitterung einen großen Teil der Schuld und
macht es allein schon erklärlich, daß in der deutschen Arbeiterschaft kein Dank
für die sozialen Segnungen aufkommen will, die ihnen die Arbeiterversichcrungs-
gesetzgebung gebracht hat. Soll auch das große Werk der Begründung eines
gemeinsamen deutschen Privatrechts in unsern Arbeitern den Stachel zurück¬
lasse", daß sie mit einer Forderung zu kurz gekommen sind, die ihren eng¬
lischen und französischen Genossen schon seit Jahren anstandslos gewährt ist,
und die auch in Deutschland vou der Wissenschaft sowohl wie von ernsten
Männern aller Volkskreise schlechthin als gerecht anerkannt wird? Die Motive
zum ersten Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs (I, S. 90) erkennen selbst an:
"Eine gesicherte Grundlage gewinnen die Vereine erst durch die Vermvgens-
sä'higkeit; mit ihr erlangen sie einen festen Halt, Stetigkeit der Organisation
und die Gewähr dauernden Bestandes. So ausgerüstet, treten sie bei Ver-
folgung ihrer Zwecke nicht mehr als lose Gesellschaften, sondern als fest¬
gegliederte Körperschaften in die Schranken." Wenn es dort weiter heißt:
"und sind einer Machtentfaltung fähig, die sich im voraus nicht ermessen läßt,"
und gerade damit die ablehnende Haltung gegen die Kvrporatiousfreihcit ge¬
rechtfertigt werden soll, so ist dagegen zu erinnern, erstens, daß der Macht-
entfaltung der Gewerkvereine, namentlich sobald sie in Übermut ausartete,
durch die Gegentvalition der Unternehmer noch immer sehr fühlbare und bis
jetzt übermächtige Schranken gezogen worden sind. Zum andern, daß es ein
falscher Schluß ist, den Gebrauch eines an sich erlaubten, ja des im Lohnkampf
einzig tauglichen Mittels deshalb zu verwehren oder bis zur Unmöglichkeit zu
erschweren, weil die Gefahr des Mißbrauchs nicht ausgeschlossen ist. Eine weise
Gesetzgebung wird sich vielmehr bemühen, diese Gefahr durch genaue, aber
uicht engherzige Uiuschrcibnng des Wirkungskreises jeuer Vereine, innerhalb
dessen ihnen freie Bewegung gestattet sein soll, aber anch nicht verschränkt
werden darf, zu verhüten. Die Grenzboten haben hierfür schou früher") die
Bestimmungen des französischen Gesetzes vom 21. März 1884 als brauchbares
Vorbild empfohlen. Es steht ferner nichts im Wege, den Korporationen der
Arbeiter -- ebenso natürlich anch denen der Unternehmer -- die Verpflichtung
aufzuerlegen, nicht ohne vorherige Anrufung der Einignngsämter oder Schieds¬
gerichte zu allgemeinen Arbeitseinstellungen zu schreiten, vielleicht auch -- wie
es bei deu großen englischen Unionen die Regel bildet -- vor dem Ausstaned
eine Abstimmung sämtlicher Mitglieder ins Werk zu setzen. Die Befolgung
solcher Vorschriften, die niemand als unbillig bezeichnen könnte, ließe sich durch



Jahrgang 1L92, Heft ".
Die Vereine und das bürgerliche Gesetzbuch

vergolten wird und den oft gehörten Verdächtigungen, daß es die Staats¬
gewalt mit den Unternehmern halte, immer von neuem wieder den Boden be¬
reitet. Die praktische Handhabung des Vereins - und Versammluugsrechts
trägt an dieser unheilvollen Verbitterung einen großen Teil der Schuld und
macht es allein schon erklärlich, daß in der deutschen Arbeiterschaft kein Dank
für die sozialen Segnungen aufkommen will, die ihnen die Arbeiterversichcrungs-
gesetzgebung gebracht hat. Soll auch das große Werk der Begründung eines
gemeinsamen deutschen Privatrechts in unsern Arbeitern den Stachel zurück¬
lasse», daß sie mit einer Forderung zu kurz gekommen sind, die ihren eng¬
lischen und französischen Genossen schon seit Jahren anstandslos gewährt ist,
und die auch in Deutschland vou der Wissenschaft sowohl wie von ernsten
Männern aller Volkskreise schlechthin als gerecht anerkannt wird? Die Motive
zum ersten Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs (I, S. 90) erkennen selbst an:
„Eine gesicherte Grundlage gewinnen die Vereine erst durch die Vermvgens-
sä'higkeit; mit ihr erlangen sie einen festen Halt, Stetigkeit der Organisation
und die Gewähr dauernden Bestandes. So ausgerüstet, treten sie bei Ver-
folgung ihrer Zwecke nicht mehr als lose Gesellschaften, sondern als fest¬
gegliederte Körperschaften in die Schranken." Wenn es dort weiter heißt:
„und sind einer Machtentfaltung fähig, die sich im voraus nicht ermessen läßt,"
und gerade damit die ablehnende Haltung gegen die Kvrporatiousfreihcit ge¬
rechtfertigt werden soll, so ist dagegen zu erinnern, erstens, daß der Macht-
entfaltung der Gewerkvereine, namentlich sobald sie in Übermut ausartete,
durch die Gegentvalition der Unternehmer noch immer sehr fühlbare und bis
jetzt übermächtige Schranken gezogen worden sind. Zum andern, daß es ein
falscher Schluß ist, den Gebrauch eines an sich erlaubten, ja des im Lohnkampf
einzig tauglichen Mittels deshalb zu verwehren oder bis zur Unmöglichkeit zu
erschweren, weil die Gefahr des Mißbrauchs nicht ausgeschlossen ist. Eine weise
Gesetzgebung wird sich vielmehr bemühen, diese Gefahr durch genaue, aber
uicht engherzige Uiuschrcibnng des Wirkungskreises jeuer Vereine, innerhalb
dessen ihnen freie Bewegung gestattet sein soll, aber anch nicht verschränkt
werden darf, zu verhüten. Die Grenzboten haben hierfür schou früher") die
Bestimmungen des französischen Gesetzes vom 21. März 1884 als brauchbares
Vorbild empfohlen. Es steht ferner nichts im Wege, den Korporationen der
Arbeiter — ebenso natürlich anch denen der Unternehmer — die Verpflichtung
aufzuerlegen, nicht ohne vorherige Anrufung der Einignngsämter oder Schieds¬
gerichte zu allgemeinen Arbeitseinstellungen zu schreiten, vielleicht auch — wie
es bei deu großen englischen Unionen die Regel bildet — vor dem Ausstaned
eine Abstimmung sämtlicher Mitglieder ins Werk zu setzen. Die Befolgung
solcher Vorschriften, die niemand als unbillig bezeichnen könnte, ließe sich durch



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[0429] Die Vereine und das bürgerliche Gesetzbuch vergolten wird und den oft gehörten Verdächtigungen, daß es die Staats¬ gewalt mit den Unternehmern halte, immer von neuem wieder den Boden be¬ reitet. Die praktische Handhabung des Vereins - und Versammluugsrechts trägt an dieser unheilvollen Verbitterung einen großen Teil der Schuld und macht es allein schon erklärlich, daß in der deutschen Arbeiterschaft kein Dank für die sozialen Segnungen aufkommen will, die ihnen die Arbeiterversichcrungs- gesetzgebung gebracht hat. Soll auch das große Werk der Begründung eines gemeinsamen deutschen Privatrechts in unsern Arbeitern den Stachel zurück¬ lasse», daß sie mit einer Forderung zu kurz gekommen sind, die ihren eng¬ lischen und französischen Genossen schon seit Jahren anstandslos gewährt ist, und die auch in Deutschland vou der Wissenschaft sowohl wie von ernsten Männern aller Volkskreise schlechthin als gerecht anerkannt wird? Die Motive zum ersten Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs (I, S. 90) erkennen selbst an: „Eine gesicherte Grundlage gewinnen die Vereine erst durch die Vermvgens- sä'higkeit; mit ihr erlangen sie einen festen Halt, Stetigkeit der Organisation und die Gewähr dauernden Bestandes. So ausgerüstet, treten sie bei Ver- folgung ihrer Zwecke nicht mehr als lose Gesellschaften, sondern als fest¬ gegliederte Körperschaften in die Schranken." Wenn es dort weiter heißt: „und sind einer Machtentfaltung fähig, die sich im voraus nicht ermessen läßt," und gerade damit die ablehnende Haltung gegen die Kvrporatiousfreihcit ge¬ rechtfertigt werden soll, so ist dagegen zu erinnern, erstens, daß der Macht- entfaltung der Gewerkvereine, namentlich sobald sie in Übermut ausartete, durch die Gegentvalition der Unternehmer noch immer sehr fühlbare und bis jetzt übermächtige Schranken gezogen worden sind. Zum andern, daß es ein falscher Schluß ist, den Gebrauch eines an sich erlaubten, ja des im Lohnkampf einzig tauglichen Mittels deshalb zu verwehren oder bis zur Unmöglichkeit zu erschweren, weil die Gefahr des Mißbrauchs nicht ausgeschlossen ist. Eine weise Gesetzgebung wird sich vielmehr bemühen, diese Gefahr durch genaue, aber uicht engherzige Uiuschrcibnng des Wirkungskreises jeuer Vereine, innerhalb dessen ihnen freie Bewegung gestattet sein soll, aber anch nicht verschränkt werden darf, zu verhüten. Die Grenzboten haben hierfür schou früher") die Bestimmungen des französischen Gesetzes vom 21. März 1884 als brauchbares Vorbild empfohlen. Es steht ferner nichts im Wege, den Korporationen der Arbeiter — ebenso natürlich anch denen der Unternehmer — die Verpflichtung aufzuerlegen, nicht ohne vorherige Anrufung der Einignngsämter oder Schieds¬ gerichte zu allgemeinen Arbeitseinstellungen zu schreiten, vielleicht auch — wie es bei deu großen englischen Unionen die Regel bildet — vor dem Ausstaned eine Abstimmung sämtlicher Mitglieder ins Werk zu setzen. Die Befolgung solcher Vorschriften, die niemand als unbillig bezeichnen könnte, ließe sich durch Jahrgang 1L92, Heft ».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/429>, abgerufen am 04.07.2024.