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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Wie ist sie zu ersetzen? Reimami läßt uns im Stich; seine Phrasen ver¬
fliegen in der Luft. Montcmus scheint mit einer "sinnreichen Deutung und
Weihe durch Volksbräuche" die Lücke ausfüllen zu wollen, und wie er sich
das denkt, zeigt folgende Beschreibung: "In dem Dorfe Schlebusch sah man
das Frühlingsfest in den dem Jahre 1843 vorhergehenden Jahren in schöner
Weise gefeiert. Man hatte die Erinnerungen an die frühere Feier bewahrt,
gesammelt, hatte die Lieder zusammengestellt und zur dramatischen Vorstellung
des Winters und Sommers sinnreiche Gewänder und Ausstaffirungen ver¬
schafft. Der dortige Organist, ein musikverständiger, volksfreundlicher, für alte
Sitten aufmerksamer Mann, hatte eine Instrumentalbegleitung zu den Liedern
gesetzt und die Burschen zur Ausübung eingeübt. Man hatte das Fest des
Todaustreibeus mit dem Pfingsteierholen verbunden und auf Pfingstmontag
verlegt, dabei die alten Sittenregeln der Junggesellenschaft wieder hervorgesucht,
um der Einrichtung einen rechten Halt und Würde zu geben. Nie ist ein Volksfest
gefeiert worden, das so allgemeine Teilnahme gefunden, so große Freude ge¬
schaffen und der Unsittlichkeit so entgegengestanden hat. Es hat bewiesen, was
derartige Feste bei rechter Leitung Gutes wirken können. Es wuchs von Jahr zu
Jahr an Glanz, Bedeutsamkeit und Besuch, bis das Jahr 1848 es umstieß."
Auch Lippert, ebenfalls ein "für alte Sitten aufmerksamer" Mann, führt
diesen Bericht sichtlich erfreut an.") Und gewiß war nur so, wie es der
alte treffliche Organist versuchte, im Ausbau der gegebnen Volksbrüuche näm¬
lich, die Möglichkeit vorhanden, die alten Feste einer ihnen fremd gewordnen
Zeit und Bevölkerung wieder nahe zu bringen. Beide Volksfreunde aber hätte
der letzte Satz "bis das Jahr 1848 es umstieß" bedenklich machen sollen;
denn was so leicht wieder zusammenfällt, kann wohl ein kunstvoller und inter¬
essanter Versuch sein, nicht aber ein festgefügter Van, der den Stürmen trotzt.
Der feste Baugrund war eben verloren gegangen, und daß daher anch Mon-
tanus nur an der Oberflüche bleibt, wenn er bald "fremdsüchtige Beschränkt¬
heit der sogenannten "hohen" Kreise der Zopfzeit," bald den "alles zerwühlenden
kleinstaatlichen Gesetzgebuugsdrachen," bald "die Polizei und den Branntwein,"
den "tollen Unverstand seiner Landesväter und Afterweisheit seiner Stuben¬
gelehrten, die alles verachteten, was nicht griechisch oder römisch war, und die
ekelhafte Nachäfferei der Pariser Mode" dafür verantwortlich macht, daß wir
unsre schönen Volksfeste verloren haben, liegt umsomehr auf der Hand, als es
ja heute diese Dinge kaum mehr giebt, eine Reform der Feste also etwas sehr
Einfaches sein müßte. Auch Lippert stellt nur fest: "Die Bessern haben sich
fern gehalten, die Schlechter" Unfug getrieben; so schaffte man die Sitte ab,"
aber er sagt nicht, weshalb die einen fern blieben, die andern aber die Ober¬
hand gewannen.



/') Festbriinclie. Prag, 18S4,
Grenzboten IV 189550
Unsre Volksfeste

Wie ist sie zu ersetzen? Reimami läßt uns im Stich; seine Phrasen ver¬
fliegen in der Luft. Montcmus scheint mit einer „sinnreichen Deutung und
Weihe durch Volksbräuche" die Lücke ausfüllen zu wollen, und wie er sich
das denkt, zeigt folgende Beschreibung: „In dem Dorfe Schlebusch sah man
das Frühlingsfest in den dem Jahre 1843 vorhergehenden Jahren in schöner
Weise gefeiert. Man hatte die Erinnerungen an die frühere Feier bewahrt,
gesammelt, hatte die Lieder zusammengestellt und zur dramatischen Vorstellung
des Winters und Sommers sinnreiche Gewänder und Ausstaffirungen ver¬
schafft. Der dortige Organist, ein musikverständiger, volksfreundlicher, für alte
Sitten aufmerksamer Mann, hatte eine Instrumentalbegleitung zu den Liedern
gesetzt und die Burschen zur Ausübung eingeübt. Man hatte das Fest des
Todaustreibeus mit dem Pfingsteierholen verbunden und auf Pfingstmontag
verlegt, dabei die alten Sittenregeln der Junggesellenschaft wieder hervorgesucht,
um der Einrichtung einen rechten Halt und Würde zu geben. Nie ist ein Volksfest
gefeiert worden, das so allgemeine Teilnahme gefunden, so große Freude ge¬
schaffen und der Unsittlichkeit so entgegengestanden hat. Es hat bewiesen, was
derartige Feste bei rechter Leitung Gutes wirken können. Es wuchs von Jahr zu
Jahr an Glanz, Bedeutsamkeit und Besuch, bis das Jahr 1848 es umstieß."
Auch Lippert, ebenfalls ein „für alte Sitten aufmerksamer" Mann, führt
diesen Bericht sichtlich erfreut an.") Und gewiß war nur so, wie es der
alte treffliche Organist versuchte, im Ausbau der gegebnen Volksbrüuche näm¬
lich, die Möglichkeit vorhanden, die alten Feste einer ihnen fremd gewordnen
Zeit und Bevölkerung wieder nahe zu bringen. Beide Volksfreunde aber hätte
der letzte Satz „bis das Jahr 1848 es umstieß" bedenklich machen sollen;
denn was so leicht wieder zusammenfällt, kann wohl ein kunstvoller und inter¬
essanter Versuch sein, nicht aber ein festgefügter Van, der den Stürmen trotzt.
Der feste Baugrund war eben verloren gegangen, und daß daher anch Mon-
tanus nur an der Oberflüche bleibt, wenn er bald „fremdsüchtige Beschränkt¬
heit der sogenannten »hohen« Kreise der Zopfzeit," bald den „alles zerwühlenden
kleinstaatlichen Gesetzgebuugsdrachen," bald „die Polizei und den Branntwein,"
den „tollen Unverstand seiner Landesväter und Afterweisheit seiner Stuben¬
gelehrten, die alles verachteten, was nicht griechisch oder römisch war, und die
ekelhafte Nachäfferei der Pariser Mode" dafür verantwortlich macht, daß wir
unsre schönen Volksfeste verloren haben, liegt umsomehr auf der Hand, als es
ja heute diese Dinge kaum mehr giebt, eine Reform der Feste also etwas sehr
Einfaches sein müßte. Auch Lippert stellt nur fest: „Die Bessern haben sich
fern gehalten, die Schlechter« Unfug getrieben; so schaffte man die Sitte ab,"
aber er sagt nicht, weshalb die einen fern blieben, die andern aber die Ober¬
hand gewannen.



/') Festbriinclie. Prag, 18S4,
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[0395] Unsre Volksfeste Wie ist sie zu ersetzen? Reimami läßt uns im Stich; seine Phrasen ver¬ fliegen in der Luft. Montcmus scheint mit einer „sinnreichen Deutung und Weihe durch Volksbräuche" die Lücke ausfüllen zu wollen, und wie er sich das denkt, zeigt folgende Beschreibung: „In dem Dorfe Schlebusch sah man das Frühlingsfest in den dem Jahre 1843 vorhergehenden Jahren in schöner Weise gefeiert. Man hatte die Erinnerungen an die frühere Feier bewahrt, gesammelt, hatte die Lieder zusammengestellt und zur dramatischen Vorstellung des Winters und Sommers sinnreiche Gewänder und Ausstaffirungen ver¬ schafft. Der dortige Organist, ein musikverständiger, volksfreundlicher, für alte Sitten aufmerksamer Mann, hatte eine Instrumentalbegleitung zu den Liedern gesetzt und die Burschen zur Ausübung eingeübt. Man hatte das Fest des Todaustreibeus mit dem Pfingsteierholen verbunden und auf Pfingstmontag verlegt, dabei die alten Sittenregeln der Junggesellenschaft wieder hervorgesucht, um der Einrichtung einen rechten Halt und Würde zu geben. Nie ist ein Volksfest gefeiert worden, das so allgemeine Teilnahme gefunden, so große Freude ge¬ schaffen und der Unsittlichkeit so entgegengestanden hat. Es hat bewiesen, was derartige Feste bei rechter Leitung Gutes wirken können. Es wuchs von Jahr zu Jahr an Glanz, Bedeutsamkeit und Besuch, bis das Jahr 1848 es umstieß." Auch Lippert, ebenfalls ein „für alte Sitten aufmerksamer" Mann, führt diesen Bericht sichtlich erfreut an.") Und gewiß war nur so, wie es der alte treffliche Organist versuchte, im Ausbau der gegebnen Volksbrüuche näm¬ lich, die Möglichkeit vorhanden, die alten Feste einer ihnen fremd gewordnen Zeit und Bevölkerung wieder nahe zu bringen. Beide Volksfreunde aber hätte der letzte Satz „bis das Jahr 1848 es umstieß" bedenklich machen sollen; denn was so leicht wieder zusammenfällt, kann wohl ein kunstvoller und inter¬ essanter Versuch sein, nicht aber ein festgefügter Van, der den Stürmen trotzt. Der feste Baugrund war eben verloren gegangen, und daß daher anch Mon- tanus nur an der Oberflüche bleibt, wenn er bald „fremdsüchtige Beschränkt¬ heit der sogenannten »hohen« Kreise der Zopfzeit," bald den „alles zerwühlenden kleinstaatlichen Gesetzgebuugsdrachen," bald „die Polizei und den Branntwein," den „tollen Unverstand seiner Landesväter und Afterweisheit seiner Stuben¬ gelehrten, die alles verachteten, was nicht griechisch oder römisch war, und die ekelhafte Nachäfferei der Pariser Mode" dafür verantwortlich macht, daß wir unsre schönen Volksfeste verloren haben, liegt umsomehr auf der Hand, als es ja heute diese Dinge kaum mehr giebt, eine Reform der Feste also etwas sehr Einfaches sein müßte. Auch Lippert stellt nur fest: „Die Bessern haben sich fern gehalten, die Schlechter« Unfug getrieben; so schaffte man die Sitte ab," aber er sagt nicht, weshalb die einen fern blieben, die andern aber die Ober¬ hand gewannen. /') Festbriinclie. Prag, 18S4, Grenzboten IV 189550

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/395>, abgerufen am 04.07.2024.