Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unsre Volksfeste

unserm Sinne soll alle Alter und Klassen der Staatsbürger an einem, wo¬
möglich durch geschichtliche Wichtigkeit ausgezeichneten Tage, zu einer einfachen,
sinnvollen und erwecklichen Feier vereinen; der Reiche vergißt auf einen Tag
wenigstens seinen Geldkasten, der Arme seine Sorgen, der Handwerker seine
Werkstütte, der Staatsmann das Regieren, der Gelehrte seine Bücher; der Un¬
gebildete lernt von dem Gebildeten Anstand; der Gebildete erwärmt sich an der
natürlich kräftigen Fröhlichkeit der arbeitenden Klasse; der Greis verjüngt sich
am Feuer des Jünglings, und der Jüngling wird durch die Gegenwart der
Alten in den Schranken der Mäßigung erhalten.... Manches Vorurteil wird
getilgt im Jubel eines Volksfestes; es bildet und erhebt das Volk, es erwacht
in ihm das Bewußtsein seines Wertes.. .. Minister, Räte, Gelehrte, Pfarrer,
Offiziere, Kaufleute, Handwerker und Bauern sind an dem festlichen Tage in
bunten Kreisen gemischt; weder Anmaßung noch Prunk findet Platz; keine hohe,
vornehme Miene schreckt den einfachen, ehrbaren Handwerker zurück, kein weg¬
werfender Blick, kein spöttisches Lächeln der Vornehmern beleidigt den Ge¬
meinen; der Fürst selbst mit seiner Familie erscheint in der Mitte seines fröh¬
lichen Volks, erhöht die Freude des Festes durch seine Teilnahme, und der
Jubel und Segen seiner Unterthanen begleitet ihn in die stillen Gemächer
seines Schlosses zurück."

Zwei charakteristische Schilderungen, die des alten Paducmers von einem
Volksfeste, wie es einst wirklich war, die von dem Deutschen "der dreißiger
Jahre," wie es sein sollte, wie es sich seine volksfreundliche Bürgernatur aus¬
malt. Damen und Ritter kamen wirklich bei dem Alten, der Adel und das
niedre Volk, Greise und jüngere Leute "in großer Fröhlichkeit" zusammen;
der Deutsche aus den Tagen des Julikönigtums zählt alle die "Klassen der
Staatsbürger" auf, die da kommen sollten, die Minister, Räte, Gelehrten,
Pfarrer, Offiziere usw., er sieht nicht, daß es so lange kein wahres Volksfest
giebt, als sich dieses selbst in scharfgetrennte "Klassen" scheidet, die einander
nicht verstehen, sich über einander erheben und weder in der Form noch in
der Gesinnung etwas Gemeinsames zu haben wünschen. Auch Montanus
-- gewiß einer der besten Kenner der Seelenkunde des Volks -- weiß, daß
"wahrhafte Volksfeste alle Schichten der Bevölkerung verbinden, indem sie die¬
selben ohne Unterschied des Ranges und Standes zur Feier dessen heranziehen,
was jedem Menschenherzen teuer ist und in der Brust des gebildeten Städters
sowohl als des einfachsten Landmanns anklingt"; aber er weiß ebenso gut,
daß diese Gemeinsamkeit der Anschauungen längst verloren gegangen ist. "Der
Verlust einer gemütvollen Gemeinsamkeit und einer sinnreichen Deutung und
Weihe durch Volksbräuche hat eine Lücke und Leere gelassen, die keine mode¬
gemäße Bildung und Verfeinerung ersetzen kann."'")



*) Montcmns, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberseld, 18S4.
Unsre Volksfeste

unserm Sinne soll alle Alter und Klassen der Staatsbürger an einem, wo¬
möglich durch geschichtliche Wichtigkeit ausgezeichneten Tage, zu einer einfachen,
sinnvollen und erwecklichen Feier vereinen; der Reiche vergißt auf einen Tag
wenigstens seinen Geldkasten, der Arme seine Sorgen, der Handwerker seine
Werkstütte, der Staatsmann das Regieren, der Gelehrte seine Bücher; der Un¬
gebildete lernt von dem Gebildeten Anstand; der Gebildete erwärmt sich an der
natürlich kräftigen Fröhlichkeit der arbeitenden Klasse; der Greis verjüngt sich
am Feuer des Jünglings, und der Jüngling wird durch die Gegenwart der
Alten in den Schranken der Mäßigung erhalten.... Manches Vorurteil wird
getilgt im Jubel eines Volksfestes; es bildet und erhebt das Volk, es erwacht
in ihm das Bewußtsein seines Wertes.. .. Minister, Räte, Gelehrte, Pfarrer,
Offiziere, Kaufleute, Handwerker und Bauern sind an dem festlichen Tage in
bunten Kreisen gemischt; weder Anmaßung noch Prunk findet Platz; keine hohe,
vornehme Miene schreckt den einfachen, ehrbaren Handwerker zurück, kein weg¬
werfender Blick, kein spöttisches Lächeln der Vornehmern beleidigt den Ge¬
meinen; der Fürst selbst mit seiner Familie erscheint in der Mitte seines fröh¬
lichen Volks, erhöht die Freude des Festes durch seine Teilnahme, und der
Jubel und Segen seiner Unterthanen begleitet ihn in die stillen Gemächer
seines Schlosses zurück."

Zwei charakteristische Schilderungen, die des alten Paducmers von einem
Volksfeste, wie es einst wirklich war, die von dem Deutschen „der dreißiger
Jahre," wie es sein sollte, wie es sich seine volksfreundliche Bürgernatur aus¬
malt. Damen und Ritter kamen wirklich bei dem Alten, der Adel und das
niedre Volk, Greise und jüngere Leute „in großer Fröhlichkeit" zusammen;
der Deutsche aus den Tagen des Julikönigtums zählt alle die „Klassen der
Staatsbürger" auf, die da kommen sollten, die Minister, Räte, Gelehrten,
Pfarrer, Offiziere usw., er sieht nicht, daß es so lange kein wahres Volksfest
giebt, als sich dieses selbst in scharfgetrennte „Klassen" scheidet, die einander
nicht verstehen, sich über einander erheben und weder in der Form noch in
der Gesinnung etwas Gemeinsames zu haben wünschen. Auch Montanus
— gewiß einer der besten Kenner der Seelenkunde des Volks — weiß, daß
„wahrhafte Volksfeste alle Schichten der Bevölkerung verbinden, indem sie die¬
selben ohne Unterschied des Ranges und Standes zur Feier dessen heranziehen,
was jedem Menschenherzen teuer ist und in der Brust des gebildeten Städters
sowohl als des einfachsten Landmanns anklingt"; aber er weiß ebenso gut,
daß diese Gemeinsamkeit der Anschauungen längst verloren gegangen ist. „Der
Verlust einer gemütvollen Gemeinsamkeit und einer sinnreichen Deutung und
Weihe durch Volksbräuche hat eine Lücke und Leere gelassen, die keine mode¬
gemäße Bildung und Verfeinerung ersetzen kann."'")



*) Montcmns, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberseld, 18S4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221368"/>
            <fw type="header" place="top"> Unsre Volksfeste</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1337" prev="#ID_1336"> unserm Sinne soll alle Alter und Klassen der Staatsbürger an einem, wo¬<lb/>
möglich durch geschichtliche Wichtigkeit ausgezeichneten Tage, zu einer einfachen,<lb/>
sinnvollen und erwecklichen Feier vereinen; der Reiche vergißt auf einen Tag<lb/>
wenigstens seinen Geldkasten, der Arme seine Sorgen, der Handwerker seine<lb/>
Werkstütte, der Staatsmann das Regieren, der Gelehrte seine Bücher; der Un¬<lb/>
gebildete lernt von dem Gebildeten Anstand; der Gebildete erwärmt sich an der<lb/>
natürlich kräftigen Fröhlichkeit der arbeitenden Klasse; der Greis verjüngt sich<lb/>
am Feuer des Jünglings, und der Jüngling wird durch die Gegenwart der<lb/>
Alten in den Schranken der Mäßigung erhalten.... Manches Vorurteil wird<lb/>
getilgt im Jubel eines Volksfestes; es bildet und erhebt das Volk, es erwacht<lb/>
in ihm das Bewußtsein seines Wertes.. .. Minister, Räte, Gelehrte, Pfarrer,<lb/>
Offiziere, Kaufleute, Handwerker und Bauern sind an dem festlichen Tage in<lb/>
bunten Kreisen gemischt; weder Anmaßung noch Prunk findet Platz; keine hohe,<lb/>
vornehme Miene schreckt den einfachen, ehrbaren Handwerker zurück, kein weg¬<lb/>
werfender Blick, kein spöttisches Lächeln der Vornehmern beleidigt den Ge¬<lb/>
meinen; der Fürst selbst mit seiner Familie erscheint in der Mitte seines fröh¬<lb/>
lichen Volks, erhöht die Freude des Festes durch seine Teilnahme, und der<lb/>
Jubel und Segen seiner Unterthanen begleitet ihn in die stillen Gemächer<lb/>
seines Schlosses zurück."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1338"> Zwei charakteristische Schilderungen, die des alten Paducmers von einem<lb/>
Volksfeste, wie es einst wirklich war, die von dem Deutschen &#x201E;der dreißiger<lb/>
Jahre," wie es sein sollte, wie es sich seine volksfreundliche Bürgernatur aus¬<lb/>
malt. Damen und Ritter kamen wirklich bei dem Alten, der Adel und das<lb/>
niedre Volk, Greise und jüngere Leute &#x201E;in großer Fröhlichkeit" zusammen;<lb/>
der Deutsche aus den Tagen des Julikönigtums zählt alle die &#x201E;Klassen der<lb/>
Staatsbürger" auf, die da kommen sollten, die Minister, Räte, Gelehrten,<lb/>
Pfarrer, Offiziere usw., er sieht nicht, daß es so lange kein wahres Volksfest<lb/>
giebt, als sich dieses selbst in scharfgetrennte &#x201E;Klassen" scheidet, die einander<lb/>
nicht verstehen, sich über einander erheben und weder in der Form noch in<lb/>
der Gesinnung etwas Gemeinsames zu haben wünschen. Auch Montanus<lb/>
&#x2014; gewiß einer der besten Kenner der Seelenkunde des Volks &#x2014; weiß, daß<lb/>
&#x201E;wahrhafte Volksfeste alle Schichten der Bevölkerung verbinden, indem sie die¬<lb/>
selben ohne Unterschied des Ranges und Standes zur Feier dessen heranziehen,<lb/>
was jedem Menschenherzen teuer ist und in der Brust des gebildeten Städters<lb/>
sowohl als des einfachsten Landmanns anklingt"; aber er weiß ebenso gut,<lb/>
daß diese Gemeinsamkeit der Anschauungen längst verloren gegangen ist. &#x201E;Der<lb/>
Verlust einer gemütvollen Gemeinsamkeit und einer sinnreichen Deutung und<lb/>
Weihe durch Volksbräuche hat eine Lücke und Leere gelassen, die keine mode¬<lb/>
gemäße Bildung und Verfeinerung ersetzen kann."'")</p><lb/>
            <note xml:id="FID_44" place="foot"> *) Montcmns, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberseld, 18S4.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Unsre Volksfeste unserm Sinne soll alle Alter und Klassen der Staatsbürger an einem, wo¬ möglich durch geschichtliche Wichtigkeit ausgezeichneten Tage, zu einer einfachen, sinnvollen und erwecklichen Feier vereinen; der Reiche vergißt auf einen Tag wenigstens seinen Geldkasten, der Arme seine Sorgen, der Handwerker seine Werkstütte, der Staatsmann das Regieren, der Gelehrte seine Bücher; der Un¬ gebildete lernt von dem Gebildeten Anstand; der Gebildete erwärmt sich an der natürlich kräftigen Fröhlichkeit der arbeitenden Klasse; der Greis verjüngt sich am Feuer des Jünglings, und der Jüngling wird durch die Gegenwart der Alten in den Schranken der Mäßigung erhalten.... Manches Vorurteil wird getilgt im Jubel eines Volksfestes; es bildet und erhebt das Volk, es erwacht in ihm das Bewußtsein seines Wertes.. .. Minister, Räte, Gelehrte, Pfarrer, Offiziere, Kaufleute, Handwerker und Bauern sind an dem festlichen Tage in bunten Kreisen gemischt; weder Anmaßung noch Prunk findet Platz; keine hohe, vornehme Miene schreckt den einfachen, ehrbaren Handwerker zurück, kein weg¬ werfender Blick, kein spöttisches Lächeln der Vornehmern beleidigt den Ge¬ meinen; der Fürst selbst mit seiner Familie erscheint in der Mitte seines fröh¬ lichen Volks, erhöht die Freude des Festes durch seine Teilnahme, und der Jubel und Segen seiner Unterthanen begleitet ihn in die stillen Gemächer seines Schlosses zurück." Zwei charakteristische Schilderungen, die des alten Paducmers von einem Volksfeste, wie es einst wirklich war, die von dem Deutschen „der dreißiger Jahre," wie es sein sollte, wie es sich seine volksfreundliche Bürgernatur aus¬ malt. Damen und Ritter kamen wirklich bei dem Alten, der Adel und das niedre Volk, Greise und jüngere Leute „in großer Fröhlichkeit" zusammen; der Deutsche aus den Tagen des Julikönigtums zählt alle die „Klassen der Staatsbürger" auf, die da kommen sollten, die Minister, Räte, Gelehrten, Pfarrer, Offiziere usw., er sieht nicht, daß es so lange kein wahres Volksfest giebt, als sich dieses selbst in scharfgetrennte „Klassen" scheidet, die einander nicht verstehen, sich über einander erheben und weder in der Form noch in der Gesinnung etwas Gemeinsames zu haben wünschen. Auch Montanus — gewiß einer der besten Kenner der Seelenkunde des Volks — weiß, daß „wahrhafte Volksfeste alle Schichten der Bevölkerung verbinden, indem sie die¬ selben ohne Unterschied des Ranges und Standes zur Feier dessen heranziehen, was jedem Menschenherzen teuer ist und in der Brust des gebildeten Städters sowohl als des einfachsten Landmanns anklingt"; aber er weiß ebenso gut, daß diese Gemeinsamkeit der Anschauungen längst verloren gegangen ist. „Der Verlust einer gemütvollen Gemeinsamkeit und einer sinnreichen Deutung und Weihe durch Volksbräuche hat eine Lücke und Leere gelassen, die keine mode¬ gemäße Bildung und Verfeinerung ersetzen kann."'") *) Montcmns, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberseld, 18S4.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/394>, abgerufen am 01.07.2024.