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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

nicht anders Ausdruck zu geben wissen als in maßlosem Trinken und Zügel-
losigkeit der Sitten, ist eine unleugbare und oft beklagte Thatsache. Nur ist
mit einer solchen Klage nichts gethan, sondern wo die Einsicht eingekehrt ist
von dem hohen Wert, den Volksfeste im edeln (d. h. im eigentlichen) Sinne
des Wortes haben, da ist es unsre Aufgabe, nach den Ursachen dieses trau¬
rigen Niedergangs zu forschen, und es müßte seltsam sein, wenn sich mit der
Erkenntnis der Krankheitsursachen nicht die Mittel zur Heilung finden ließen.
Neuere Schriftsteller haben mit wehmütiger Ergebung in die Thatsache und
mit liebevollem und erstaunlichem Fleiße sowohl den Glanz jener alten Feste
zu beschreiben wie auch die letzten Trümmer, die uns -- über ganz Deutsch¬
land zerstreut -- davon geblieben sind, aufzubewahren gewußt; aber den Weg,
auf dem das festliche Leben unsers an geselligen Hilfsquellen so überaus reichen
Volks zu neuer Blüte geführt werden kann, haben sie, von vereinzelten Aus¬
nahmen und unpraktischen Borschlägen abgesehen, nicht gezeigt. Dieser Weg
aber muß sich finden lasse", wenn wir ausgehend von den Merkmalen eines
echten Volksfestes nach den Ursachen forschen, die zu seiner Verkümmerung in
deutschen Landen führen mußten. Was wir dann in Trümmern liegend vor¬
finden, das mag getrost als unwiederbringlich verloren gelten; an uns ist es
nur, neues Leben aus den Ruinen erblühen zu lassen.

Rolandinus Pntavinus erzählt in seiner Chronik: "Im besagten Jahre
1208, als der Herr Visconti Podeste in Padua war, wurde ein großes Fest
im Prato della Vcille gefeiert, und alle Reviere von Padua schmückten sich,
jedes in gleicher Weise und mit denselben Abzeichen, mit neuen Kleidern. Und
dann kamen an besagtem Orte die Damen mit den Rittern, der Adel mit dem
niedern Volke, die Greise mit den jüngern Leuten in großer Festlichkeit zu¬
sammen und waren zu Pfingsten (den 25. Mai) und einige Tage vorher und
nachher singend und musizirend so heiter und guter Dinge, als ob sie alle
Brüder, alle Genossen, alle Verwandte wären, einmütig und durch das Band
innigster Liebe verbunden."*)

Und Neimcmn erwähnt im Vorwort zu seiner Schrift: "Deutsche Volks¬
feste im neunzehnten Jahrhundert" (Weimar, 1839) einen ihm unbekannten
Schriftsteller, der die Volksfeste in folgender Weise charakterisirt: "Unter
Volksfesten verstehen wir nicht Auftritte und Belustigungen, wo die eine
Hälfte der Bevölkerung bloß ihren Sinnen fröhnt und im wilden Taumel
der niedrigsten Lust ihre Nichtigkeit zu vergessen sucht, und wo die andre Hälfte
bloß zusieht, was die, die in ihrem Wörterbuch Pöbel heißen, für Sprünge
machei?, Belustigungen, die der Sittlichkeit unendlich schaden, indem sie Ge¬
legenheit zur Unmäßigkeit, Ausschweifung und zum Spielen (!) geben, und wo
die Beispiele der Alten schon früh die Jugend verderben. Ein Volksfest in



*) A. Schultz, Das lMsche Leben im Zeitalter der Minnesänger I, 448.
Unsre Volksfeste

nicht anders Ausdruck zu geben wissen als in maßlosem Trinken und Zügel-
losigkeit der Sitten, ist eine unleugbare und oft beklagte Thatsache. Nur ist
mit einer solchen Klage nichts gethan, sondern wo die Einsicht eingekehrt ist
von dem hohen Wert, den Volksfeste im edeln (d. h. im eigentlichen) Sinne
des Wortes haben, da ist es unsre Aufgabe, nach den Ursachen dieses trau¬
rigen Niedergangs zu forschen, und es müßte seltsam sein, wenn sich mit der
Erkenntnis der Krankheitsursachen nicht die Mittel zur Heilung finden ließen.
Neuere Schriftsteller haben mit wehmütiger Ergebung in die Thatsache und
mit liebevollem und erstaunlichem Fleiße sowohl den Glanz jener alten Feste
zu beschreiben wie auch die letzten Trümmer, die uns — über ganz Deutsch¬
land zerstreut — davon geblieben sind, aufzubewahren gewußt; aber den Weg,
auf dem das festliche Leben unsers an geselligen Hilfsquellen so überaus reichen
Volks zu neuer Blüte geführt werden kann, haben sie, von vereinzelten Aus¬
nahmen und unpraktischen Borschlägen abgesehen, nicht gezeigt. Dieser Weg
aber muß sich finden lasse», wenn wir ausgehend von den Merkmalen eines
echten Volksfestes nach den Ursachen forschen, die zu seiner Verkümmerung in
deutschen Landen führen mußten. Was wir dann in Trümmern liegend vor¬
finden, das mag getrost als unwiederbringlich verloren gelten; an uns ist es
nur, neues Leben aus den Ruinen erblühen zu lassen.

Rolandinus Pntavinus erzählt in seiner Chronik: „Im besagten Jahre
1208, als der Herr Visconti Podeste in Padua war, wurde ein großes Fest
im Prato della Vcille gefeiert, und alle Reviere von Padua schmückten sich,
jedes in gleicher Weise und mit denselben Abzeichen, mit neuen Kleidern. Und
dann kamen an besagtem Orte die Damen mit den Rittern, der Adel mit dem
niedern Volke, die Greise mit den jüngern Leuten in großer Festlichkeit zu¬
sammen und waren zu Pfingsten (den 25. Mai) und einige Tage vorher und
nachher singend und musizirend so heiter und guter Dinge, als ob sie alle
Brüder, alle Genossen, alle Verwandte wären, einmütig und durch das Band
innigster Liebe verbunden."*)

Und Neimcmn erwähnt im Vorwort zu seiner Schrift: „Deutsche Volks¬
feste im neunzehnten Jahrhundert" (Weimar, 1839) einen ihm unbekannten
Schriftsteller, der die Volksfeste in folgender Weise charakterisirt: „Unter
Volksfesten verstehen wir nicht Auftritte und Belustigungen, wo die eine
Hälfte der Bevölkerung bloß ihren Sinnen fröhnt und im wilden Taumel
der niedrigsten Lust ihre Nichtigkeit zu vergessen sucht, und wo die andre Hälfte
bloß zusieht, was die, die in ihrem Wörterbuch Pöbel heißen, für Sprünge
machei?, Belustigungen, die der Sittlichkeit unendlich schaden, indem sie Ge¬
legenheit zur Unmäßigkeit, Ausschweifung und zum Spielen (!) geben, und wo
die Beispiele der Alten schon früh die Jugend verderben. Ein Volksfest in



*) A. Schultz, Das lMsche Leben im Zeitalter der Minnesänger I, 448.
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[0393] Unsre Volksfeste nicht anders Ausdruck zu geben wissen als in maßlosem Trinken und Zügel- losigkeit der Sitten, ist eine unleugbare und oft beklagte Thatsache. Nur ist mit einer solchen Klage nichts gethan, sondern wo die Einsicht eingekehrt ist von dem hohen Wert, den Volksfeste im edeln (d. h. im eigentlichen) Sinne des Wortes haben, da ist es unsre Aufgabe, nach den Ursachen dieses trau¬ rigen Niedergangs zu forschen, und es müßte seltsam sein, wenn sich mit der Erkenntnis der Krankheitsursachen nicht die Mittel zur Heilung finden ließen. Neuere Schriftsteller haben mit wehmütiger Ergebung in die Thatsache und mit liebevollem und erstaunlichem Fleiße sowohl den Glanz jener alten Feste zu beschreiben wie auch die letzten Trümmer, die uns — über ganz Deutsch¬ land zerstreut — davon geblieben sind, aufzubewahren gewußt; aber den Weg, auf dem das festliche Leben unsers an geselligen Hilfsquellen so überaus reichen Volks zu neuer Blüte geführt werden kann, haben sie, von vereinzelten Aus¬ nahmen und unpraktischen Borschlägen abgesehen, nicht gezeigt. Dieser Weg aber muß sich finden lasse», wenn wir ausgehend von den Merkmalen eines echten Volksfestes nach den Ursachen forschen, die zu seiner Verkümmerung in deutschen Landen führen mußten. Was wir dann in Trümmern liegend vor¬ finden, das mag getrost als unwiederbringlich verloren gelten; an uns ist es nur, neues Leben aus den Ruinen erblühen zu lassen. Rolandinus Pntavinus erzählt in seiner Chronik: „Im besagten Jahre 1208, als der Herr Visconti Podeste in Padua war, wurde ein großes Fest im Prato della Vcille gefeiert, und alle Reviere von Padua schmückten sich, jedes in gleicher Weise und mit denselben Abzeichen, mit neuen Kleidern. Und dann kamen an besagtem Orte die Damen mit den Rittern, der Adel mit dem niedern Volke, die Greise mit den jüngern Leuten in großer Festlichkeit zu¬ sammen und waren zu Pfingsten (den 25. Mai) und einige Tage vorher und nachher singend und musizirend so heiter und guter Dinge, als ob sie alle Brüder, alle Genossen, alle Verwandte wären, einmütig und durch das Band innigster Liebe verbunden."*) Und Neimcmn erwähnt im Vorwort zu seiner Schrift: „Deutsche Volks¬ feste im neunzehnten Jahrhundert" (Weimar, 1839) einen ihm unbekannten Schriftsteller, der die Volksfeste in folgender Weise charakterisirt: „Unter Volksfesten verstehen wir nicht Auftritte und Belustigungen, wo die eine Hälfte der Bevölkerung bloß ihren Sinnen fröhnt und im wilden Taumel der niedrigsten Lust ihre Nichtigkeit zu vergessen sucht, und wo die andre Hälfte bloß zusieht, was die, die in ihrem Wörterbuch Pöbel heißen, für Sprünge machei?, Belustigungen, die der Sittlichkeit unendlich schaden, indem sie Ge¬ legenheit zur Unmäßigkeit, Ausschweifung und zum Spielen (!) geben, und wo die Beispiele der Alten schon früh die Jugend verderben. Ein Volksfest in *) A. Schultz, Das lMsche Leben im Zeitalter der Minnesänger I, 448.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/393>, abgerufen am 29.06.2024.